Donnerstag, 05.07.2012
Neusorg nach Konnersreuth
7,5 h / 28 km
Gestern
Abend hat anscheinend noch eine Horde polnischer Motorradfahrer den
Laden geentert. Ich verstehe beim Frühstück außer "dzien dobry" nur
Bahnhof. Der Morgen ist dampfig wie nie zuvor, nachdem kurz nach
Sonnenaufgang nochmal ein kräftiges Gewitter runterkam.
Zwei
Gartenzäune weiter frage ich einen älteren Herrn nach einem Bäcker im
Ort, über seine verquasten Wegbeschreibungen kommen wir ins Quatschen,
er erzählt von den vielen Touristen, die früher hier im Ort Urlaub
gemacht haben und inzwischen Jahr für Jahr weniger werden. Weil sie
einfach wegsterben. Und von seinen Jahren in Dortmund. Als ich ihm von
meinem Woher und Wohin und Warum erzähle, denkt er nicht lange nach
sondern findet sofort, daß ich das Richtige tue. Wieder eine kurze
starke Begegnung, in der mir ein Fremder quasi seinen Segen mitgibt.
Den
Bäcker finde ich trotzdem nicht, aber der überraschende Rewe am
Dorfende versorgt mich mit allem Nötigen. Die Kilometer dahinter sind
seltsam. Leere Feldwege, leere Landstraßen. Ich laufe viel querfeldein
und mogele mich zwischen den ganzen Hügeln hindurch. Jeder Höhenmeter
ist bei den heutigen Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit eine Qual.
Lieber gehe ich einen Umweg, als einen Extra-Hügel besteigen zu müssen.
In
Helmbrechts schallt das nächste "Und wohin geht's heit?" über den
Gartenzaun. Ich sehe ihn erst nicht, aber hinter dem Holzstapel bastelt
ein kleiner dicker und sehr alter Mann an seinem Wintergarten. Auch er
ist durch den Rucksack neugierig geworden und fragt mich aus. Im
Nachhinein ärgere ich mich, denn wahrscheinlich wäre eine Einladung zum
Mittagessen nur einen einzigen Satz entfernt gewesen. Auf seine Frage
"Und wia mochst es mit'm Middagessn?" hätte ich einfach antworten
müssen: "Keine Ahnung, vielleicht gibt's im nächsten Dorf ein
Gasthaus.", statt wahrheitsgemäß auf die Brezeln im Rucksack
hinzuweisen. Denn im nächsten Dorf gibt es natürlich kein Gasthaus und
drinnen war die Mutti gerade mit den letzten Handgriffen dessen
beschäftigt, was deutsche Hausfrauen um 12:50 Uhr eben in der Regel so
beschäftigt. Statt dessen sitze ich eine halbe Stunde später auf einem
Holzstapel im Wald, erlege erstmal alle Bremsen in Reichweite, futtere
meinen Rucksack leer und lese ein Stündchen.
Hinter
Groschlattengrün schaue ich mir aus Versehen mal den Himmel an, der
inzwischen einfach richtig Scheiße aussieht. Ich hatte den ganzen Tag
immer in Richtung Osten gelinst, von wo der Wind eigentlich kam.
Irgendwann hat der allerdings gedreht und eine fette Gewitterfront von
hinten heran in Stellung gebracht. Und so stehe ich erstmal wie der
letzte Depp auf der Autobahnbrücke und schaue mir nochmal genau an, von
wo der Wind kommt. Sieht nicht gut aus. Rundherum ist der Himmel schon
mächtig dunkel und es ist klar, daß es bald kracht. In einem kurzen
Anflug von spontanem Sicherheitsdenken laufe ich nicht geradeaus weiter
in den Wald und hoch auf den Hügel, sondern biege nach rechts ab und
laufe an der Autobahn entlang. Das sind zwar locker 3 Kilometer Umweg,
aber für den Fall der Fälle ist bestimmt die nächste Autobahnbrücke zum
Unterstellen nicht weit.
Der
Fall der Fälle tritt 500 Meter weiter ein, die nächste Unterführung
sind nochmal 100 Meter und da sitze ich dann erstmal in der Betonröhre.
Der Wind dreht auf, erste Hagelkörner kommen runter und ich verziehe
mich in eine kleine Ecke neben der Brücke, weil der Wind wie in einem
Windkanal durch die Betonröhre peitscht. Eine kleine Katze läuft panisch
an mir vorbei (welch Parallele...), dreht sich nochmal kurz nach mir
um, als ich sie rufe, flitzt dann aber doch weiter auf's Feld.
Und
dann sitze ich da eine gute Stunde, schaue mir den Regen an, lese ein
bißchen, schaue mir wieder den Regen an, und bin einfach heilfroh, daß
ich bei diesem Wetter nicht draußen sein muß. Das Gewitter zieht genau
über mich und meine Autobahnbrücke drüber, irgendwo in der Nähe schlägt
der Blitz ein und obwohl ich weiß, daß das hier ein guter Platz ist,
schnellt mein Adrenalinpegel wieder in ungeahnte Höhen. Und über allem
liegt das zufriedene Wissen, daß ich es heute endlich mal richtig
gemacht habe. Im Wald wäre ich nicht nur wieder zum Verzweifeln naß
geworden, sondern hätte auch nicht wirklich gewußt, wohin mit mir.
Als
der ganze Mist vorübergezogen ist, warte ich nochmal zwanzig Minuten,
bis sich auch die letzten Donnerschläge sehr weit weg anhören. Auf der
anderen Seite der Autobahn ist der Himmel schon wieder blau, im Losgehen
bedanke ich mich im Geiste bei meiner kleinen Betonbrücke. Drüben im
Wald lerne ich allerdings sofort, woher die Regenbremsen (die häufigsten
einheimischen Vertreter der Bremsen) ihren Namen haben. Weil sie bei
oder kurz nach Regenschauern besonders aktiv sind. Wo sind 2-3 Biester
um mich herumsausen, sind es jetzt 10-12. Entsprechend gerät meine
"stehenbleiben-abwarten-erlegen-Taktik" in Schwierigkeiten, weil ich
einfach zuviele Viecher gleichzeitig erschlagen müsste. Also mit Vollgas
durch den Wald, um möglichst schnell raus aufs Feld zu kommen. Die
knappe Stunde bis dahin ist echt harte Arbeit, vor allem Geduldsarbeit,
um nicht dank der ständigen Attacken einfach mal auszuflippen.
Wenigstens erwische ich noch eine tschechische Damenbegleitung der
stundenweisen Art mit ihrem Kunden im Wald, die sich in der Enge des
Autos sehr hektisch versuchen anzuziehen. Aber bevor alles wieder nach
züchtigem Yoga im Auto aussieht, bin ich auch schon mit einem breiten
Grinsen vorbeigelaufen.
Konnersreuth
versöhnt mich dann doch wieder mit dem Tag: Eisdiele am Marktplatz.
Riesige Kugeln. Selbstgemachtes Eis. Mein Privatzimmer heute Abend ist
mit 20 EUR pro Nacht so günstig, daß ich schon wieder mißtrauisch bin.
Aber ohne Grund: Gutes Zimmer, gute Wirtin, alles da. Sogar eine extra
Teeküche mit SB-Getränkekühlschrank. Eigentlich sogar viel schöner als
einige Übernachtungen für 35-45 EUR, die ich bisher so gesehen habe. Ich
muß die Wirtin morgen mal fragen, ob sie die Pension nur aus
Nächstenliebe führt. Aber das mache ich erst NACH dem Frühstück...
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