Freitag, 6. Juli 2012

Und ab ins nächste Gewitter...

Donnerstag, 05.07.2012
Neusorg nach Konnersreuth
7,5 h / 28 km

Gestern Abend hat anscheinend noch eine Horde polnischer Motorradfahrer den Laden geentert. Ich verstehe beim Frühstück außer "dzien dobry" nur Bahnhof. Der Morgen ist dampfig wie nie zuvor, nachdem kurz nach Sonnenaufgang nochmal ein kräftiges Gewitter runterkam.

Zwei Gartenzäune weiter frage ich einen älteren Herrn nach einem Bäcker im Ort, über seine verquasten Wegbeschreibungen kommen wir ins Quatschen, er erzählt von den vielen Touristen, die früher hier im Ort Urlaub gemacht haben und inzwischen Jahr für Jahr weniger werden. Weil sie einfach wegsterben. Und von seinen Jahren in Dortmund. Als ich ihm von meinem Woher und Wohin und Warum erzähle, denkt er nicht lange nach sondern findet sofort, daß ich das Richtige tue. Wieder eine kurze starke Begegnung, in der mir ein Fremder quasi seinen Segen mitgibt.

Den Bäcker finde ich trotzdem nicht, aber der überraschende Rewe am Dorfende versorgt mich mit allem Nötigen. Die Kilometer dahinter sind seltsam. Leere Feldwege, leere Landstraßen. Ich laufe viel querfeldein und mogele mich zwischen den ganzen Hügeln hindurch. Jeder Höhenmeter ist bei den heutigen Temperaturen und der Luftfeuchtigkeit eine Qual. Lieber gehe ich einen Umweg, als einen Extra-Hügel besteigen zu müssen.

In Helmbrechts schallt das nächste "Und wohin geht's heit?" über den Gartenzaun. Ich sehe ihn erst nicht, aber hinter dem Holzstapel bastelt ein kleiner dicker und sehr alter Mann an seinem Wintergarten. Auch er ist durch den Rucksack neugierig geworden und fragt mich aus. Im Nachhinein ärgere ich mich, denn wahrscheinlich wäre eine Einladung zum Mittagessen nur einen einzigen Satz entfernt gewesen. Auf seine Frage "Und wia mochst es mit'm Middagessn?" hätte ich einfach antworten müssen: "Keine Ahnung, vielleicht gibt's im nächsten Dorf ein Gasthaus.", statt wahrheitsgemäß auf die Brezeln im Rucksack hinzuweisen. Denn im nächsten Dorf gibt es natürlich kein Gasthaus und drinnen war die Mutti gerade mit den letzten Handgriffen dessen beschäftigt, was deutsche Hausfrauen um 12:50 Uhr eben in der Regel so beschäftigt. Statt dessen sitze ich eine halbe Stunde später auf einem Holzstapel im Wald, erlege erstmal alle Bremsen in Reichweite, futtere meinen Rucksack leer und lese ein Stündchen.

Hinter Groschlattengrün schaue ich mir aus Versehen mal den Himmel an, der inzwischen einfach richtig Scheiße aussieht. Ich hatte den ganzen Tag immer in Richtung Osten gelinst, von wo der Wind eigentlich kam. Irgendwann hat der allerdings gedreht und eine fette Gewitterfront von hinten heran in Stellung gebracht. Und so stehe ich erstmal wie der letzte Depp auf der Autobahnbrücke und schaue mir nochmal genau an, von wo der Wind kommt. Sieht nicht gut aus. Rundherum ist der Himmel schon mächtig dunkel und es ist klar, daß es bald kracht. In einem kurzen Anflug von spontanem Sicherheitsdenken laufe ich nicht geradeaus weiter in den Wald und hoch auf den Hügel, sondern biege nach rechts ab und laufe an der Autobahn entlang. Das sind zwar locker 3 Kilometer Umweg, aber für den Fall der Fälle ist bestimmt die nächste Autobahnbrücke zum Unterstellen nicht weit. 

Der Fall der Fälle tritt 500 Meter weiter ein, die nächste Unterführung sind nochmal 100 Meter und da sitze ich dann erstmal in der Betonröhre. Der Wind dreht auf, erste Hagelkörner kommen runter und ich verziehe mich in eine kleine Ecke neben der Brücke, weil der Wind wie in einem Windkanal durch die Betonröhre peitscht. Eine kleine Katze läuft panisch an mir vorbei (welch Parallele...), dreht sich nochmal kurz nach mir um, als ich sie rufe, flitzt dann aber doch weiter auf's Feld.

Und dann sitze ich da eine gute Stunde, schaue mir den Regen an, lese ein bißchen, schaue mir wieder den Regen an, und bin einfach heilfroh, daß ich bei diesem Wetter nicht draußen sein muß. Das Gewitter zieht genau über mich und meine Autobahnbrücke drüber, irgendwo in der Nähe schlägt der Blitz ein und obwohl ich weiß, daß das hier ein guter Platz ist, schnellt mein Adrenalinpegel wieder in ungeahnte Höhen. Und über allem liegt das zufriedene Wissen, daß ich es heute endlich mal richtig gemacht habe. Im Wald wäre ich nicht nur wieder zum Verzweifeln naß geworden, sondern hätte auch nicht wirklich gewußt, wohin mit mir.

Als der ganze Mist vorübergezogen ist, warte ich nochmal zwanzig Minuten, bis sich auch die letzten Donnerschläge sehr weit weg anhören. Auf der anderen Seite der Autobahn ist der Himmel schon wieder blau, im Losgehen bedanke ich mich im Geiste bei meiner kleinen Betonbrücke. Drüben im Wald lerne ich allerdings sofort, woher die Regenbremsen (die häufigsten einheimischen Vertreter der Bremsen) ihren Namen haben. Weil sie bei oder kurz nach Regenschauern besonders aktiv sind. Wo sind 2-3 Biester um mich herumsausen, sind es jetzt 10-12. Entsprechend gerät meine "stehenbleiben-abwarten-erlegen-Taktik" in Schwierigkeiten, weil ich einfach zuviele Viecher gleichzeitig erschlagen müsste. Also mit Vollgas durch den Wald, um möglichst schnell raus aufs Feld zu kommen. Die knappe Stunde bis dahin ist echt harte Arbeit, vor allem Geduldsarbeit, um nicht dank der ständigen Attacken einfach mal auszuflippen. Wenigstens erwische ich noch eine tschechische Damenbegleitung der stundenweisen Art mit ihrem Kunden im Wald, die sich in der Enge des Autos sehr hektisch versuchen anzuziehen. Aber bevor alles wieder nach züchtigem Yoga im Auto aussieht, bin ich auch schon mit einem breiten Grinsen vorbeigelaufen.

Konnersreuth versöhnt mich dann doch wieder mit dem Tag: Eisdiele am Marktplatz. Riesige Kugeln. Selbstgemachtes Eis. Mein Privatzimmer heute Abend ist mit 20 EUR pro Nacht so günstig, daß ich schon wieder mißtrauisch bin. Aber ohne Grund: Gutes Zimmer, gute Wirtin, alles da. Sogar eine extra Teeküche mit SB-Getränkekühlschrank. Eigentlich sogar viel schöner als einige Übernachtungen für 35-45 EUR, die ich bisher so gesehen habe. Ich muß die Wirtin morgen mal fragen, ob sie die Pension nur aus Nächstenliebe führt. Aber das mache ich erst NACH dem Frühstück...

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