Montag, 23.07.2012
Altdöbern nach Burg (Spreewald)
7 h / 30 km
Auch Lübbenau platzt vor Touristen. Überall radelnde Rentner. Die einzigen Läden in Reichweite sind ein Ghetto-Netto, ein Zeitschriftenkiosk (der trotz Montag keinen Spiegel vorrätig hat) und ein Blumenladen. Nicht exakt die Auswahl, die ich zum Start in den Tag bevorzuge.
Ansonsten ist Prachtwetter. Nur ein paar schüchterne Wolken zu sehen und -- es ist warm. Suddenly: Summer! Schon nach ein paar hundert Metern gibt es außer Wald, Maisfeldern und blauem Himmel rein gar nichts mehr zu sehen. Ich mache einen kleinen übermütigen Schlenker, um das "ND Opferstein" zu besichtigen, was mir aber nur eine halbe Stunde Rudern im nassen hüfthohen Gras, Brennnesseln und Mückenparty einbringt. Dem Opferstein widme ich kaum einen Blick, denn wenn ich stehenbleibe, schwirrt alle 5 Sekunden eine zusätzliche Mücke um mich herum. Biester, auf die bin ich gar nicht eingerichtet, mir fehlt quasi noch die Jagdstrategie.
Auf einem kleinen Stück Feld sehe ich außer Landschaftskunst die ersten Störche, die die frisch gemähte Wiese inspizieren. Und Brandenburg ist stolz darauf. Im Dorf sehe ich große Tafeln, auf denen akribisch Daten und Jahre eingetragen wurden, wann hier ein Storchenpaar genistet hat, alles ordentlich für die Touristen ausgehängt. Aber die gibt es hier anscheinend kaum. Ich sehe ab und zu mal ein paar Radfahrer, aber ich bin weit und breit der einzige Fußgänger. In den Dörfern setzen mir die starrenden Blicke hinter den Gartenzäunen schwer zu. Noch mehr als in den letzten Tagen. Es wird noch schlimmer werden, aber bald ist es geschafft...
Die nächsten Stunden sind ein ständiger Wechsel von Asphalt und Sand, leerem Wald und glühenden Feldern. Muckwar, Ogrosen, Missen, Eichow. Kleine Dörfer mit seltsamen sorbischen Namen, die für mich heute nichts weiter sind als kurze Pausen zwischen den schier endlosen Wald- und Feldetappen. So leer wie die Landschaft ist auch mein Kopf, ich gehe automatisch. Genieße ich den Tag? Irgendwie ja, irgendwie nein. Es ist ein schöner Tag, außer den Mücken stört absolut nichts, aber ich merke, daß ich es hinter mich bringen will. Noch viereinhalb Tage. Hoffentlich geht mir der Schwung nicht noch auf den letzten Metern flöten...
Als ich auf einer einsamen Autobahnbrücke die A15 überquere, ist der Flow sofort wieder da. Ein polnischer LKW-Fahrer hupt mir kurz zu, ich winke zurück. Und denke wieder an meine Kindheit, wie ich auf der Autobahnbrücke hinter unserem Haus stand, den LKWs zuwinkte und eine Ahnung von Fernweh spürte. Heute ist es mehr als das, es ist wieder eine kleine Geste von einem Fremden, es ist wieder ein kleines "Daumen hoch", das ich vom Wegesrand aufsammele.
Hinter der Bahnlinie: Mehr asphaltierte Radwege, mehr öde Kilometer. Hinter der Bahnlinie ändert sich das Land schlagartig. Weite Wiesenflächen ohne Wege, nur noch die großen Straßen führen im Zick-Zack-Kurs von Siedlung zu Siedlung. Ich laufe absurde Umwege, verzichte aber darauf, mich querfeldein zu schlagen, weil mir das Risiko zu groß ist, irgendwo am Feldrand vor einem breiten Wassergraben zu stehen. Und das ist im Spreewald gar nicht mal so abwegig...
Kurz vor Burg treffe ich noch eine Herde Kühe auf der Weide, die neugierig von allen Seiten her angetrabt kommen, es dann aber doch mit der Angst zu tun bekommen und nur näher kommen, wenn ich ihnen den Rücken zudrehe. Mit dem Konzert aus sich überschlagenen Muh!-Rufen mache ich mich an die letzten Kilometer bis Burg.
Dort schwelge ich aufatmend aus dem Vollen der touristischen Infrastruktur. Postfiliale für das letzte Paket nach Hause? Check. Spiegel am Kiosk? Check. Eisdiele? Double-Check. Mein Hotel für heute ist Gott sei Dank etwas schicker als die mittelmäßigen Buden der letzten Tage, ich kann's irgendwie gebrauchen.
Noch vier Tage liegen vor mir. Endspurt. Nach bisher 133 Tagen...
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