Mittwoch, 18.07.2012
Berggießhübel ins Polenztal
6,5 h / 25 km
Der Bäcker, den ich gestern Nachmittag noch in den Augenwinkeln gesehen habe, entpuppt sich heute früh als die urig-ostigste Bäckerei, die ich bisher gesehen habe. Ein Laden schmal wie ein Handtuch, Mutti in stilechter Kittelschürze, nebenan die Backstube. Die Auswahl ist leider mager, aber die Brötchen endlich mal knusprig (was sonst hier im Erzgebirge offensichtlich überhaupt nicht angesagt ist). Auf dem Weg raus aus dem Ort kommt leider nix mehr, ich hätte gerne noch ein paar Schweinereien eingekauft, dafür störe ich drei Straßenmeister mit ihren drei orangenen Golfs beim Frühstücksplausch. Und nur, weil sie sich schon so irritiert nach mir umdrehen, verzichte auf ein herzhaft gerufenes: "Höllenjob, wa?"
Der Regen macht's heute andersherum am sonst: Beim Start ist es trocken, dafür beginnt es eine halbe Stunde später zu regnen. Ich grummele kurz und entscheide mich statt der Straße für den Forellensteig am Fluß entlang, da bin ich wenigstens im Wald. Eine weise Entscheidung, alleine schon wegen der Optik. Ich will schon lauthals spotten, daß in DER Brühe bestimmt keine Forellen leben, da sehe ich schon die ersten Kleinen um den nächsten Stein huschen. Und so gibt es einen schönen verwunschenen Weg über Stock und Stein zum Frühstück, immer am Bach entlang, zwischen riesigen Felsbrocken hindurch. Schicke Sache. Beim Anstieg auf dem Tal raus geht es weiter, überall Felsen, der Sandstein der Sächsischen Schweiz kommt langsam durch. In Langenhennersdorf kann ich natürlich nicht am Dorf-Edeka vorbeigehen und sorge dafür, daß ich mal wieder ein oder zwei Kilo mehr auf dem Rücken habe. Dafür fällt mir dann die Entscheidung leichter, mich im nächsten Ort bei einsetzendem Regen in ein kleines Holzhaus auf dem Kinderspielplatz zurückzuziehen und mit schräg gehaltenem Kopf die frischen Wurstspezialitäten von der Wursttheke meines Vertrauens zu genießen. So gesehen ist Regen gar nicht so schlimm.
Der mit großem Tamtam auf diversen Schildern in der Ortsmitte angekündigte Aussichtsberg Spangenhorn, den auch meine Wanderkarte mit dem großzügigen 360°-Rundumpanorama-Symbol versehen hat, ist eine absolute Enttäuschung. Aussicht Murks, aber immerhin gibt es tolle Felsformationen aus Sandstein, tiefe Spalten, manche nicht breiter als 30 Zentimeter (dafür aber 20 bis 30 Meter tief) und beim Abstieg eine kleine Kletterpartie der einfachen Sorte. Die Festung Königstein habe ich vom Aussichtspunkt wenigstens mit einem halben Auge sehen können, schon unten am Fuß des Berges stehe ich voll im Touristenrummel. Parkhaus, die Besucher werden mit den unvermeidlichen Bimmelbahnen bis auf's Plateau raufgefahren. Ich nicht. Beim Aufstieg kollidiere ich fast mit den türkisgrauen Nonnen, die a) wohl nicht damit gerechnet haben, daß ihnen jemand entgegen kommt und b) erfreut mein "Bonjour, mesdames!" erwidern. Dazu war der Frankreichurlaub also gut. Nonnen auf Französisch anflirten.
An der Kasse vor dem Festungseingang zucke ich erst aufgrund der 8 EUR Eintritt zurück, reiße mich dann aber nach dem Motto "Wenn du schonmal hier bist..." wieder zusammen und löhne. Und staune. Schon das Torhaus und der dahinter liegende Beginn der dunklen Auffahrtrampe ist der Hammer, wuchtig und furchteinflößend. Wie mögen sich wohl die einfachen Menschen der letzten Jahrhunderte gefühlt haben, wenn sie vor einem solchen Tor standen... Oben auf dem Festungsplateau ist Pommes- und Postkartenbetrieb. Ich lächle freundlich die Dame vom Informationsbüro an und darf meinen Rucksack bei ihr unter dem Schreibtisch parken. Dann allerdings begehe ich den großen Fehler und nehme an der Kasemattenführung teil. Gute 90 Minuten eiere ich in der Gruppe durch Kasematten, Bunker, Munitionsladesysteme -- alles leere, unterirdische, muffige Räume, in denen man von der eigentlichen Festungsanlage irgendwie nix bekommt.
Als die Führung vorbei ist, hetze ich noch ein paar Mal hierhin und dahin, mache noch ein paar Panoramafotos von der Elbe, die direkt unter der Festung vorbeifließt, höre amerikanische, niederländische, tschechische und französische Gesprächsfetzen, und ärgere mich, daß ich mir brav die Führung bis zu Ende angeschaut habe, statt mich zwischendrin abzuseilen. Naja, dann komme ich halt irgendwann nochmal hierher. Inzwischen ist es schon später Nachmittag, vor mir liegt noch einiges an Strecke, also ziehe ich los. Den absurden Glasaufzug runter zum Eingang lasse ich links liegen und nehme stilecht die alte steile Rampe, wühle mich durch die Fluten, die aus zwei frisch angekommenen Bussen zum Eingang strömen und gleich 200 Meter weiter im Wald ist wieder Stille und Ruhe im Karton.
Bis unten im Ort Königstein, wo sich wieder alles bündelt. Elbe, Bahnlinie, Bundesstraße. Wohnmobile und verrentete Ausflügler. Immerhin gibt es ein Eis für mich, der Fähranleger ist nur ein paar Meter weiter, 1 EUR und 2 Minuten, dann biste drüben. Alles geht so schnell, daß ich immer noch an meinem Eis arbeite, als ich drüben auf der anderen Elbseite stehe. Ab jetzt: Gas geben! Ich stiefele den Anstieg zum Lilienstein hinauf, verzichte aufgrund der Uhrzeit auf eine ordnungsgemäße Bezwingung desselben und nehme die kleine Straße, auf der von dem ganzen Trubel nur 2 Kilometer weiter rein gar nichts mehr zu merken ist.
Hinter Waltersdorf biege ich runter ins Polenztal ab, und laufe staunend durch ein tief eingeschnittenes Tal, links und rechts ragen die Sandsteinwände senkrecht in die Höhe. Das Tal ist so tief und die Wände so steil, daß es wirkt, als hätte jemand mit dem heißen Buttermesser eine Kerbe ins Land geschnitten. Und so laufe ich eine knappe Stunde in der kühlen Luft, entrückt von allem, was da oben oder da draußen vielleicht stattfinden mag. Riesige Felsblöcke haben sich im Lauf der Jahre gelöst und sind bis an den Rand des Flusses gefallen, andere Felsen bilden monströse Überhänge und dunkle Höhlen. Schmale Felsnadeln zeichnen sich gegen den Himmel ab und ich bin selig mit meiner kleinen Talwanderung. Und plötzlich, hinter einer Flußbiegung ganz alleine mitten im Tal: Mein Gasthof. Herrlich. Toller Tag, tolle Landschaft. Ich kann noch nicht mal meckern...
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