Dienstag, 17. Juli 2012

Trostlose Dörfer.

Montag, 16.07.2012
Neuhermsdorf nach Altenberg-Hirschsprung
5 h / 19 km

Das wichtigste Thema, seit Tagen: Das Wetter. Zum Aufwachen höre ich wieder das Gluckern des Regens in der Dachrinne, was am Morgen weit weniger romantisch ist als beim Einschlafen am Abend. Beim Frühstück regnet es immer noch, also dehne ich das Frühstück aus. Erst nach dem ersten Müsli entdecke ich: Es gibt lecker Mett! Mit Zwiebeln! Also frühstücke ich halt nochmal von vorne. 

Alles Bummeln hilft nichts, irgendwann steht man gestriegelt und gespornt in der Hotelhalle, hat seine Rechnung bezahlt und müsste jetzt eigentlich los -- aber es regnet immer noch. Ich hab mir nochmal den Regenradar angeschaut, eigentlich müsste der Regen bald aufhören und dahinter sah es trocken aus. Also lese ich noch ein paar Zeitungsausschnitte über die Sand- und Schneeskulpturenwettbewerbe, mit denen das Hotel sich im Gespräch hält und als ich das nächste Mal rausgucke, ist alles trocken. Also raus, in die frisch geduschte Landschaft. Runter ins Tal, weiter den Bahndamm entlang.

Das erste Dorf, Neu-Rehefeld, ist schon lange klinisch tot. Das einzig schöne Haus, von untem vom Bahndamm aus gesehen, mit schöner Steinfassade ist von der anderen Seite aus eine Investitionsruine des Hotels aus dem Nachbarort, das Fremdenheim Pätzold hat auch schon lange dicht und alle anderen Wohnhäuser außer einem einzigen Hexenhäuschen sind schon lange verlassen. Erstaunlicherweise sind die Fenster alle noch heil. Auch das wuchtige Gebäude, in dem mal der deutsche Zoll residierte, steht leer. Ich will schon den viel zu naheliegenden Schluß ziehen, daß die Grenze schuld ist, das das Leben rüber ins günstigere Tschechien gewandert ist, aber auf der anderen Seite der Grenze sieht es noch trostloser aus. Von der ehemaligen Hauptschlagader des Ortes ist nur ein Kiosk mit Postagentur übrig, außerdem ein Zigarettenvietnamese und einige Restaurants, bei denen man nicht sicher ist, wann sie das letzte Essen serviert haben. Leben regt sich nur noch an der Automatentankstelle.

Es mag am öden Montagvormittag liegen, am schlechten Wetter, oder an was weiß ich, aber der Anblick ist einfach zu deprimierend. Am pompös-ausufernden Bahnhofsgebäude mit irrwitziger Größe fällt die Fassade schon langsam ab, dahinter beginnt ein Gewirr aus Abstellgleisen, Schuppen und eingefallenen Häusern, die die ehemalige Größe des Ortes andeuten. Als ich auf den lose ins Gleisbett gelegten Holzschwellen die Bahnlinie überquere, glaube ich noch den Geruch von Kohle und Öldampf zu riechen. Immerhin: Hier war ich auch schonmal, damals vor 10 Jahren. Da war hier aber noch Leben, fragiles Schnäppchenleben.

Im Wald ist alles wie immer. Einsame Wege, stiller windzerzauster Bergwald, manchmal kleine moorige Stellen dazwischen. Sieht schon wieder aus wie Schweden. Zumindest bis kurz vor Zinnwald, denn am Waldrand stehe ich plötzlich auf einem Golfplatz, der zwar zwischen diesen Wäldern wie ein irrtümlich gelandetes Ufo wirkt, aber immerhin eine tolle Fernsicht bis tief nach Böhmen hinein als Panorama hat. Aber windig und ungemütlich ist es hier, ich ziehe schnell rüber nach Zinnwald. Drüben am Berg liegt eine riesenhafte tote Grenzkontrollstelle, an der sich sicherlich mal der deutsch-tschechische LKW-Verkehr gestaut hat. Vom windigen Bergkamm aus gesehen, wirkt das Ganze wie ein totes Stück Sperrgebiet. Ich suche zwischen den seltsam verstreuten Häusern von Zinnwald vergeblich nach einem Bäcker und mache mich ohne Mittagessen mißmutig auf nach Altenberg.

Da war ich auch schonmal, jetzt erinnere ich mich. Mit Basti bin ich damals wohl mit der Bahn hierher angereist, damals war es auch ungemütlich kalt und windig. Also entere ich folgerichtig die Eisdiele neben dem Rathaus und bestelle - natürlich - einen Schwarzwaldbecher. Damit mich wenigstens der Kirschsuff ein bißchen von innen wärmt. Denn draußen ist es immer noch ekelig. An der nächsten Ampel finde ich wenigstens ein Hinweisschild auf einen Edeka, daß bedeutet: Endlich mal wieder ordentlich Proviant im Rucksack.

Die restlichen Kilometer sind entspanntes Schlendern in Sonne und Wind runter ins Tal, nicht der Rede wert. Nennen wir es einen halben Pausentag, denn morgen wartet mal wieder eine volle Packung und - wie mir die Tagesschau schon genüßlich ankündigt - "ergiebige Regenfälle in Südsachsen". Wird ja auch Zeit, daß ich morgen nach meinen erfolgreichen Regenvermeidungsstrategien endlich mal wieder richtig naß werde...

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