Donnerstag, 5. Juli 2012

Trocken von oben, dafür naßgeschwitzt.

Mittwoch, 04.07.2012
Kirchenthumbach nach Neusorg
9 h / 36 km

Um 06:00 Uhr stehe ich senkrecht im Bett. Daß hier in Bayern die Kirchenglocken auch in der Nacht die Stunden läuten, habe ich ja inzwischen geschluckt, aber ich Kirchenthumbach wird um 06:00 Uhr zum Morgengebet Sturm geläutet. Also wieder ein Tag voller Müdigkeit und mit gerädertem Kopf...

Im Bäcker nebenan kaufe ich noch bißchen Freude für die Mittagspause ein, lache über den schicken Kundendienst-Automaten am Autoteileladen, verdrehe die Augen beim Anblick der ehemals futuristischen Betonkirche. Da isses im Wald schöner. Wegmarkierungen werde ich wohl heute kaum sehen, laut Karte ist Wandern in dieser Ecke der Oberpfalz wohl nicht vorgesehen. Also suche ich mir meinen Weg heute auf die gute alte Art: Nach Karte. Mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Manchmal entpuppt sich der Weg als leichtgängiger wildromantischer Pfad durch den Wald, manchmal als hüfthoch mit Grad zugewachsenes Unkrautmeer, durch das man schwimmen muß.

Am Großen Rußweiher ist - hoppla! - ein bißchen Tourismus zu spüren, ein paar Spaziergängerautos stehen herum. Die meisten Jogger sehen sehr amerikanisch aus und grüßen auch so, der nahe Truppenübungsplatz ist Schuld. Das Vogelschutzgebiet wurde vom Bayerischen Umweltministerium mit zwei großen Beobachtungsständen ausgestattet, von wo aus man Lachmöwen, Stockenten und anderes Getier begutachten kann. Mir fehlt dafür der Sinn und ich lese lieber die wirklich außerordentlich reich beschriebenen und bekritzelten Holzwände. 

Heute wandert die Lustlosigkeit mit. Ob es die Aussicht auf die lange Tagesetappe, der fehlende Schlaf oder einfach Zickerei ist, weiß ich nicht. Fest steht, daß mich heute nix vom Hocker reißt. Kloster Speinshart? Noch nicht mal ein Foto von gemacht. Neustadt am Kulm mit tonnenweise vorgeschichtlichen Siedlungsfunden und Neunziger Jahre-Aussichtsturm? Meh. Viel wichtiger: In Neustadt ist trotz auf dem Ortsschild stolz zur Schau getragenen Stadtrecht nix zu Trinken aufzutreiben, was bei den schwülen Temperaturen heute bitter ist. Meine Flaschen sind schon lange wieder leergetrunken. Naja, es gibt eine Metzgerei, die vielleicht einen Getränkekühlschrank für die Mittagshandwerker hat, aber da ist gerade Mittagspause. Also nehme ich unnötigerweise die Bundesstraße raus aus dem Ort, vielleicht gibt es noch eine Tankstelle. Gibt es nicht und als ich innerlich schon Neustadt am Kulm verfluche, taucht rechts ein hutzeliger Getränkemarkt auf, in dem ich 4 Halbliterflaschen eiskaltes Original-Spezi für insgesamt 1,80 EUR erstehe. Ich bin mit der Welt versöhnt, plaudere noch ein paar Minuten mit dem Rennradfahrer draußen, der angesichts meiner Tour anscheinend den Glauben an seine wertegefestigte Outdoor-Welt verliert.

Hinter Neustadt beginnt der Wegemurks. Entweder Bundesstraße und durchmogeln oder absurde Umwege in Kauf nehmen. Meine Wahl ist schnell getroffen, vor allem weil neben der Bundesstraße eine frisch gemähte Wiese das Gehen erleichtert. Im Wald schlage ich mich durch ein paar Holzschneisen, überquere die Schienen der Bummelbahn, laufe schon wieder an einer Straße und irgendwann bin ich wieder auf Kurs. Statt dessen habe ich jetzt Zeit für meine nächste Sorge: Das Wetter. Seit ein paar Stunden türmen sich im Osten, von wo der Wind kommt, bedrohliche Gewitterberge zusammen. Noch sieht es so aus, als würde der ganze Mist in Lauerstellung bleiben, aber nach den Erfahrungen der letzten Tage traue ich dem Frieden nicht mehr. Weil ich gerne trocken ankommen will und vor allem weil ich gerne bald ankommen will, gebe ich mal wieder Gas, was meinen Bremsenbegleitern mal wieder ausgiebig Gelegenheit zur Schnitzeljagd bietet.

Meine Pension findet sich nach neun Stunden Weg und etwas Suchen -- und am Eingang empfängt mich das verhasste Schild "Mittwoch Ruhetag". Der gute alte Mann hinterm Tresen winkt auf meine Frage nach Essensalternativen im Ort abwertend ab, hat aber Erbarmen und schiebt mir die übersichtliche Karte hin uns lautmalt: "Wenn's d' gleich dableibst, griegst glei' no was." Mir reicht der Wurstsalat, der gefühlt Ewigkeiten dauert, in denen ich zwei Spezi und ein Radler runterstürze. Warum dauert ein Wurstsalat Ewigkeiten? Richtig, weil er frisch gemacht ist. Geile Sache, das. Ist zwar sehr gewöhnungsbedürftig und vielleicht auch nicht sehr erfrischend für die anderen zwei Gäste, wenn ich hier total vollgeschwitzt ohne Dusche an meinem Tisch vor mich hin miefe, aber so habe ich den unschlagbaren Vorteil, daß ich a) noch was zu Essen bekommen habe und b) mich danach breit in meinem Zimmer ausstrecken kann und heute nicht mehr raus muß. 9 Stunden reichen...

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