Mittwoch, 25.07.2012
Lübben nach Löpten
8,5 h / 35 km
Von meinem Hotel ist es nicht weit bis
zum Bahnhof. Wenn ich nicht die Regionalbahn bis zum Flughafen
Schönefeld nehme, sondern noch ein bißchen warte, kommt bestimmt
auch noch der Regionalexpress Cottbus - Berlin. Dann nur noch am Alex
aussteigen, mit der Tram nach Weißensee. Gott sei Dank stellt der
Automat keine dummen Fragen, als ich mir das Ticket kaufe...
So oder so ähnlich gehen heute meine
Tagträume ab. Der zweite fiese Tag. So fies, daß mir ein Abbruch
kurz vor Schluß näher ist als jemals zuvor. Berlin und zuhause ist
nur einen ganz kurzen Hüpfer entfernt. Überall Autos mit Berliner
Kennzeichen, die sind alle spätestens in einer Stunde zuhause und
haben im Auto wahrscheinlich auch noch die Klimaanlage an, die
Schweine!
Aber natürlich geht das nicht. Ich
kann nicht zwei Tage vor Schluß in einen Zug steigen und nach Hause
fahren. All die Monate war Abbruch nie Thema und jetzt, kurz vor knapp, macht mir das alles so zu schaffen? Es ist echt schräg...
Immerhin versorgt mich Lübben nochmal
gut aus dem Edeka-Sortiment, bevor ich raus aufs Feld tigere. Es wird
warm werden, ich hab mir zwei Extra-Wasserflaschen auf den Buckel
gepackt. Gott sei Dank hab ich vorgestern nochmal gut den Rucksack
ausgemistet. Draußen auf dem Feld knallt die Sonne schon am
Vormittag, als gäbe es kein Morgen. Die Radfahrer klingeln mich
unverzagt von den Radwegen, als wüßten sie, daß das ihre letzte
Chance ist.
Denn hinten an der Bahnlinie biege ich
endlich auf die kleinen verhaßten Sandwege ein, auf die mir kein
Radfahrer folgen wird. Vor mir liegt ein riesiges Waldgebiet,
durchzogen nur von diesen schmalen Wegen. Das Gefühl von
Endzeitstimmung und Wüste kommt auf, während ich durch die
vollkommen ausgetrockneten Flächen ziehe. Ab und zu dröhnen links
die Züge nach Berlin oder Cottbus vorbei (hhhnnnngh!), aber die
Bahnlinie ist die einzige Orientierung in diesem seltsamen Gewirr aus
Wegen, die kreuz und quer verlaufen. Und es ist so verdammt hart, in
diesem weichen Sand zu laufen
An der Zufahrtsstraße zum Tropical
Island halte ich zum ersten Mal an und saufe aus dem Stand fast zwei
Liter Wasser. Auf der Straße nur Touristen: Niederländer, Dänen,
Russen, Norweger, Potsdamer. Schnell weiter.
Die nächsten Stunden sind ehrlich
gesagt ziemlich öde. Ich laufe viel auf der Straße, um schneller
voran zu kommen. Jedes Stück Schatten nutze ich aus. Wenn ich auch
nur einen Moment stehenbleibe, treiben mich die zahlreichen Mücken
weiter. Es fühlt sich ein bißchen so an, als liefe hinter mir all
das Übel, dem ich bisher auf meiner Reise entgangen bin, und
peitscht mich grinsend: So, Junge, jetzt kriegst du doch noch deine
Ration!
In Halbe fülle ich meine
Getränkevorräte wieder auf und will mich ins schattige Bushäuschen
setzen, aber da ist keine Bank! Maa-hann! Sich eine Denkfabrik
leisten, aber zu geizig für eine Bank im Bushäuschen... Ich bin
zerstochen, habe zuviel Sonne abbekommen, mein Deo hat auch schon
lange versagt. Und für heute ist die Motivation auch schon lange
dahin. Meine Aggressionen lasse ich an einzelnen Autofahrern aus, die
für meinen Geschmack viel zu nah an mir vorbeifahren, ohne
auszuweichen. Spätestens jetzt merke ich, wie sehr dieser Tag an mir
schon genagt hat und wie wenig Kopf mich heute eigentlich noch
steuert.
Es reicht immerhin fürs Ankommen. Mein
Anblick im Spiegel ist furchtbar, schweißüberströmt wie frisch aus
der Sauna. Abendessen? Fehlanzeige, die Küche hat zu. Die Leute sind
unfreundlich. Es gibt kein Handtuch. Auf dem Boden liegen fremde
Fußnägel.
Erst als ich frisch geduscht auf dem
Bett liege und mich langsam beruhige, schießt mir ein Gedanke durch
den Kopf, der mich den Horror des Tages sofort wieder vergessen läßt.
"Morgen bist du in Berlin. Übermorgen bist du zuhause."
Und schon ist da wieder dieses breite Grinsen, das sich in den
letzten Tagen immer wieder in mein Gesicht geschlichen hat.
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