Donnerstag, 31. Mai 2012

PS-Protzereien.

Von prominenter Seite wurden mehr Fahrzeugfotos gewünscht... Bitte sehr, hier was ganz Leckeres: Ein Hürlimann-Traktor aus den 80ern. War wahrscheinlich mal der Stolz des Betriebs.


Das erste Mal...

...bin ich noch voll drauf reingefallen. "Love Club"? Ein Puff mitten im Gewerbegebiet? In einem Hallenbau? Da hätte ich demn Franzosen aber mehr zugetraut. Auf den zweiten Blick entpuppt sich der Love Club als Joue Club mit schlechter Typographie. Was den Laden aber auch nicht weniger trostlos macht.

Vive le Doubs..!

Mittwoch, 30.05.2012
Goumois (F) nach Saint Ursanne (CH)
7,5 h / 30 km

Die Nacht war eiskalt, aber wer mit offener Balkontür schlafen will, nachts frierend aufwacht und sich aber zu fein ist, aufzustehen um die Tür zuzumachen, muß sich nicht wundern, wenn am nächsten Morgen die rotzige Nase nach dem Taschentuch ruft.

Beim Frühstück seufze ich schon wieder innerlich, weil mal wieder nix Essbares zu sehen ist. Also wieder Zuteilungsfrühstück mit vorportionierter Marmelade. Aber es kommt keiner. Und als die Dame von gegenüber mit leerem Teller nach nebenan geht, ahne ich schon was Sache ist. Und tatsächlich: Nebenan ist eines der größten Frühstücksbuffets aufgebaut, die ich bisher in Frankreich gesehen habe. Vor lauter Schreck esse ich nur ein bißchen Müsli und Baguette mit Blaubeermarmelade. Käse und Wurst aufs Brot kann ich mir gar nicht mehr so richtig vorstellen...

Beim Start in den Tag ist es schon wieder dampfend heiß. Die feuchte Luft unten im Flußtal verstärkt das Hitzegefühl nochmal und kein Wind regt sich. Nach der ersten Stunde überhole ich etappenweise eine kleine Gruppe von Freiwilligen, die sich um die Erhaltung der Wege kümmert. Der Erste motorsägt, die Zweite hackt, der Dritte schneidet usw. Das machen sie alles schön im Laufen und so kann ich innerhalb von nur ein paar hundert Metern gleich 8x "Bonjour" trällern.

Nach einer guten Stunde weitet sich das Flußtal zusehends und die ersten Wiesen links und rechts des Doubs beginnen. Das ist einerseits schön, weil durch das breitere Tal der Wind auch mal eine Chance hat, einen Hauch Frischluft bis zum Fluß runter zu transportieren. Wenn aber gerade kein Wind geht, ist es umso heißer. Der Fluß riecht leicht algig und inzwischen ist mir bei dem Anblick des Wassers die Lust auf Baden vollkommen vergangen. Die Fische finden es allerdings super - wann immer man von einer Brücke oder von ein paar Steinen ins Wasser schaut, sieht man Forellen. Fette, große, kleine und Forellenkinder. An manchen flachen Stellen am Ufer drängeln sich so viele Jungfische um den besten Platz an der Sonne, daß nur noch eine wabernde grauschwarze Masse zu sehen ist. 

Später in der Schweiz merkt man langsam die Verschiebung der Sprachen. Die Informationstafeln sind alle auf französisch/deutsch, auch die zahlreichen Wanderer, die ich heute treffe, grüßen eher mal mit "Gruezi". Und die gute Frau vom Tante-Emma-Laden in Soubrey (wo ich immerhin eine kleine Wanderkarte bis zu meinem heutigen Tagesziel finde) wechselt gleich ganz ins Hochdeutsche, als sie mein schlimmes Französisch hört. Vielleicht hat mich auch verraten, daß ich bei ihr noch eine Flasche Rivella gekauft habe (das trinken, glaube ich, nur Touristen). Irgendwie lecker, aber wenn man beim Durstlöschen ständig an die stolz auf der Flasche prangenden Worte "mit Milchserum" denken muß, isses nun wieder nur noch halb so lecker. "Milchserum" hat für mich einen ähnlich erfrischenden Klang wie "Wurstwasser".

Meine Mittagspause halte ich standesgemäß auf einer schattigen Bank direkt unten am Fluß ab. Zu Rivella gibt es die Wurst und das Baguette von gestern und was halt noch so an Schokolade da ist. Danach beginnt der Unwille. Bei jeder Gelegenheit drücke ich mich vor dem Weiterlaufen, sitze hier mal zehn Minuten sinnlos auf der Bank herum, schaue mir da mal schnell die alte Mühle an -- aber nicht aus Schlenderlaune heraus, sondern weil ich irgendwie keine Lust habe, weiterzulaufen. Aber -- (naja, den Spruch kennt man ja schon...)

Ab der nächsten Brücke ist es dann plötzlich ganz einfach mit Vorwärtskommen, eben haben mich nämlich zwei Wanderer ganz unvermittelt überholt, als ich vor einer Informationstafel rumbummelte und interessante Fakten über die vier Jahreszeiten der Landwirtschaft studierte. Von zwei Freizeitwanderern überholt - das kann ich mir natürlich nicht bieten lassen und gebe Gas. Und eigentlich liefere ich mir die nächsten vier Stunden mit diesem und ein paar anderen Wandererpäarchen immer wieder die klassischen Taktikduelle "Wann macht wer Pause?" oder "Wann überholt wer wen?", die man aus dem Radsport kennt. Passt mir gut, lenkt ab, ich komme vorwärts. 

Am späten Nachmittag dann ein mittleres Formtief, ich merke daß ich schon viel zu lange nix getrunken habe und werfe mich erstmal neben die nächstbeste Kuhherde in den Schatten. Jetzt hab ich auch endlich mal Zeit, darüber nachzudenken, wie sinnvoll die beiden Seilfähren sein mögen, die ich auf den letzten Kilometern gesehen habe. Zwischen den Flußufern ist ein Drahtseil gespannt, an dem ein Boot hängt. Schön und gut und praktisch, aber wenn das Boot gerade auf der anderen Seite ist? Und keiner darauf wartet, mir mal eben das Boot rüberzubringen? Dann müssen die Seilfähren eben dazu herhalten, die Kinder zu beschäftigen, während sich die Eltern auf dem Campingplatz nebenan einen ansaufen. Auch fair, so hat jeder seinen Spaß.

Kurz vor Saint Ursanne dann plötzlich wieder Zivilisationszeichen in Form einer Eisenbahnstrecke, die plötzlich rechts oben am Hang auftaucht. Das monströse Viadukt gibt es gleich hinterher. Und Saint Ursanne ist nicht nur viel größer als erwartet, sondern auch viel schicker. Ein mittelalterliches Städtchen mit Stadtmauern, uralter Steinbrücke, fetten Forellen im Fluß, feisten Rentnern bei Kuchenauswahl auf der Caféterrasse. Mein Hotel baut gerade um, hat aber irgendwie vergessen, mir das mitzuteilen. Aber der Wirt ist ne coole Sau, trägt eine violette Schnellfickerhose aus Ballonseide, wie sie seit den 80ern niemand mehr zu tragen gewagt hat. Außerdem hat er einen Adapter für die französischen Stromstecker, ein kühles Bier und ein kaltes Zimmer.

Als ich am Abend auf der Suche nach Abendessen nochmal die Straßen durchkämme, wird mir klar, daß dies das erste mittelalterliche Städtchen seit vielen Wochen ist. Nach einer halben Stunde rumlaufen (durch 2x2 Straßen) habe ich auf einmal auch keinen Hunger mehr und zuckele zurück in Richtung Bett.

Morgen verlasse ich den Doubs, was irgendwie auch ok ist. Ich bin die letzten Tage wahrlich durch genug Insektenschwärme gerudert, durch genug Brennnesselmeere geschwommen und genug "geradeausamflußufer" entlang gelaufen. 

Noch 3 Tage, dann bin ich wieder in Deutschland. Brrr...

Mittwoch, 30. Mai 2012

Links Klettern, rechts Kajakfahren, und in der Mitte kann man wandern.


Dienstag, 29.05.2012
Fornet-Blancheroche (F) nach Goumois (F)
8 h / 25 km

Die besten Tagen sind die, an denen man sich schon beim Wachwerden auf's Wandern freut. So auch heute. Vor mir liegt wieder ein Tag am Doubs, das Wetter passt, es ist ein ganz normaler Werktagsdienstag und daher wahrscheinlich nicht viel Touristenverkehr und überhaupt. Und vor allem: Morgen gibt es nochmal nen Tag, auf den ich mich jetzt schon freue... Meine Gastgeberin gibt mir zum Abschied noch den Tip, über die "Eschelles de la Mort" abzusteigen. Da sei die Aussicht sehr schön.

Gesagt, getan... Nachdem mich in der einzigen Kurve im Dorf fast ein Auto umgenietet hätte, bin ich endlich auf der Wiese (ergo in Sicherheit). Nachdem ich den Kühen auf meinem Weg einen guten Morgen gewünscht habe, geht es auf einem schmalen Felsband hoch über dem Doubs-Tal von Aussicht zu Aussicht langsam runter zum Fluß. Und es wird immer schöner...






 Ääh - Moment... Was soll die seltsame Hängebrücke auf dem letzten Bild? An dem offiziellen Aussichtspunkt hängt sie unterhalb der Felsen quer durchs Sichtfeld, kommt aus dem Nichts und endet im Nichts und ich kann mir erstmal keinen Reim draus machen. Als mich beim letzten Stück Abstieg zum Fluß dann ein älterer Herr in Klettermontur überholt, lichtet sich der Nebel: Ein Klettersteig. Sieht gar nicht schwer und technisiert aus, hat dafür aber so Großartigkeiten wie Hängebrücken über dem Abgrund oder Seilrutschen parat. Merke: Klettersteigset besorgen, hier nochmal herkommen!


Inzwischen wieder unten am Fluß. Weiter durch das grüne Dickicht. Neben den Ruinen einer alten Mühle finden sich noch die moosüberwucherten Mühlsteine im Geröll, und heute habe ich den Fluß fast ganz alleine für mich. Nur ab und zu sehe ich drüben in der Schweiz mal einen Angler. Bei einem kleinen Ausflug weg vom offiziellen Weg finde ich zwei tolle Lagerplätze unter riesigen Felsvorsprüngen, wo sogar schon Feuerholz fürs Lagerfeuer bereitliegt. Merke: Schlafsack mitnehmen und nochmal herkommen.


 

Über Stunden geht es wieder durch das stille Tal. Wieder kein Dorf, keine Straße, nur einmal zwei einzelne Häuser mit einer Kapelle. Erst spät am Nachmittag öffnet sich der schmale Weg kurz vor Goumois zu einem Parkplatz, wo im Hochsommer offensichtlich die große Kajak-Party steigt. 

Passend dazu kann ich ein paar hundert Meter weiter auch gleich die erste Gruppe beobachten, die zum Warmwerden erstmal Rettungsübungen macht: Ins Wasser springen, auf dem Rücken ein paar Stromschnellen runtertreiben lassen, unten eine Leine auffangen und zum Ufer zurückschwimmen. Wenn ich mir die Ausrüstung der Gruppe so ansehe (Neoprenanzüge, Schwimmwesten, Helme) muß ich unwillkürlich schmunzeln, denn bei meinem ersten und bisher einzigen Kajaktrip vor 20 Jahren hatten wir wohl - wenn überhaupt - jeder eine Schwimmweste...

Goumois ist deutlich kleiner, als ich gehofft hatte. Die zwei Souvenirläden sind schnell abgeklappert: Keine Wanderkarten. Denn natürlich stehe ich wieder vor dem Problem, daß morgen ungefähr gegen Mittag meine Karten zu Ende sind und damit auch mein Orientierungshorizont. Naja, ich hab ja noch meine rausgerissenen Seiten aus dem Autoatlas... Unschön ist auch, daß ich eigentlich bis mindestens übermorgen nicht damit rechne, auf einen Ort zu stoßen, der groß genug ist, um eine vernünftige Chance auf Kartennachschub zu haben. Naja, wird schon irgendwie gehen... Immerhin hat Goumois einen Mini-Lebensmittelladen, der nicht nur gekühlte Orangina und hausgemachte Limonade bereit hält, sondern neben leckerer Wurst sogar am späten Nachmittag noch Baguette im Angebot hat. An der Kasse merke ich, daß das hier auch eine Mini-Postfiliale ist und werde prompt zwei Kilo abgearbeitete Wanderkarten los. Glück muß man haben...

Die restliche Stunde geht schnell rum, am frühen Abend komme ich entspannt bei meiner Unterkunft an. Eine ehemalige Mühle direkt am Fluß, jetzt ein kleines Hotel. Zwei andere Häuser noch drumherum, das war's. Zum Sound des rauschenden Wassers vor meinem Balkon werde ich sicherlich wie ein Baby schlafen. Morgen nochmal ein Tag am Fluß, dann geht's Richtung Elsaß...


Dienstag, 29. Mai 2012

Nachtrag: Motto-Zimmer "Marylin"

Aufgrund vielfachen Wunsches hier weitere Informationen zu meiner gestrigen Übernachtung. Neben dem von mir bewohnten Motto-Zimmer "Marylin" gab es auch noch:

- Motto-Zimmer "Marine" mit Rettungsring an der Tür, Fransen-Sonnenschirm und zwei Plastikstrandstühlen im Zimmer (Etagenbad und -WC, Waschbecken im Zimmer; 2 Personen 140 CHF incl. Frühstück)

- Motto-Zimmer "Provencale" mit Wänden in moderner orangener Wischtechnik, Schilfmatte über dem Kopfende des Bettes, Baumarktbild mit - äh - Wein? über dem Bett  (Etagenbad und -WC, Waschbecken im Zimmer, 2 Personen 120 CHF incl. Frühstück)

- Motto-Zimmer "Marguerite", das ich überhaupt nicht beschreiben kann, aber immerhin sind auf der Bettwäsche Margeriten drauf   (Etagenbad und -WC, Waschbecken im Zimmer, 2 Personen 120 CHF incl. Frühstück)

In einem der beiden Etagenbäder stand übrigens noch eine monströse Sonnenbank, nur so als weiterer Anreiz.

Fotos veröffentliche ich lieber nicht, da kann sich jeder unter www.lepassiflore.ch ein eigenes Bild machen.

P.S.: Was sagt es mir eigentlich, wenn ich einem Bett schlafe, dessen Bettwäsche genau mit dem Bild im Internet übereinstimmt? Denkt mal drüber nach...

Abenteuerurlaub im einsamen Flußtal.

Montag, 28.05.2012
Les Brenets nach Fournet-Blancheroche
7 h / 25 km

Die seltsame Kioskbar hat am nächsten Morgen sogar einen Frühstücksraum. Eine groß angekündigte Fotoausstellung entpuppt sich als zahlreiche einlaminierte Foto-Farbkopien, die mit Reißnägeln an der Wand befestigt sind. Für mich allerdings höchst interessant und praktisch, weil ich von diesen Fotos erfahre, daß oben am Doubs-Wasserfall tatsächlich eine Brücke zwischen Frankreich und der Schweiz existiert. Nicht unwichtig für die Planung eines Tages, an dem ich keine weitere Möglichkeit haben werde, den Fluß zu überqueren.

Kurz vor dem Wasserfall ist die Anlegestelle der Ausflugsschiffe. Gott sei Dank ist gerade alles ruhig, aber die Anlagen sehen so aus, als würden sie im Hochsommer massenweise Touristen hier durchschleusen. Augen zu und durch. Was nicht einfach ist, weil die Budenbesitzer der Budenstraße, durch die man auf dem Weg zum Wasserfall zwangsläufig durch muß, nehmen es mir mit verkniffenen Augen sichtlich übel, daß ich ihre Postkarten, Wimpeln, Schnäpsen usw. keines Blickes würdige. Dahinter: ok - Wasserfall. Aussichtspunkt von unten. Aussichtspunkt von oben. Links ein paar Touristen, rechts ein paar Touristen. Schnell weiter... 

Gleich hinter einem ganz kleinen Stück Wildwasser wird der Doubs sofort wieder zum Stausee, in dem sich fette Karpfen tummeln. Ein schmaler Pfad schlängelt sich am Ufer entlang, durch luftige Wälder, brütend heiße Kieshalden, kleinteiliges Unterholz. Je weiter ich mich vom Wasserfall entferne, umso schmaler wird der Weg - von einem breiten Spazierweg wird er zur schmalen Spur durch das undurchsichtige grüne Dickicht. Am gegenüberliegenden Ufer sieht man die steilen Kalkfelsen, die das Tal schroff begrenzen und kaum erlauben, daß irgendwelche Wege in das Tal hinein- oder hinausführen. Nach einer guten Stunde zeigen die ersten kleinen Boote am Ufer an, das sich die Laufweite des nächsten Parkplatzes nähert (Angler laufen anscheinend nicht so gerne weite Strecken zu Fuß), aber erstmal stehe ich nach einer Flußkurve erstmal unvermittelt vor dem Staudamm. Von dort geht es über Leitern und Metallstege hoch zum Parkplatz, wo sich wieder Aussichtstouristen tummeln.

Eine halbe Stunde weiter teilt sich der Weg unvermittelt -- der "große" Wanderweg biegt plötzlich in Richtung bergauf ab. Ein Schild löst meine Irritation, es gibt eine neue Wegführung wegen Sicherheit und so. Laut drauf gelacht, ich nehme natürlich die alte Route unten am Fluß. Ich wäre schön blöd, jetzt 400 Höhenmeter auszusteigen, nur um dieselben 400 Höhenmeter ungefähr 10 Flußbiegungen weiter wieder abzusteigen. Und meine Eigensinnigkeit wird belohnt: Man merkt dem Weg an, daß er nicht mehr begangen wird. Überall erobert sich der Wald und das Unterholz seinen Platz zurück. die Brennnesseln drücken den ohnehin schmalen Pfad weiter zusammen und peitschen den Wanderer, umgestürzte Bäume bleiben einfach auf dem Weg liegen. Das ist natürlich das Paradies für mich...

Je weiter ich komme, umso mehr entfernt sich die Wirklichkeit. Hier unten ist es wie aller Realität entrückt, bis hier unten ins Tal dringt kein Laut von außen. Kein Weg kommt von der Seite, es ist ein bißchen wie im Tunnel. Nur ein kleines Wasserkraftwerk mit dem Charme der 50er Jahre drüben am anderen Ufer stört gute zwei Stunden später das Gefühl der Wildnis, kurz darauf treffe ich auf eine kleine Schutzhütte, an der der reguläre Weg wieder auf den Fluß stößt. Und es wieder auf einem deutlich sanfterem Weg weiter geht.

Über Stunden entlang des Flusses, der mal tosend, mal träge rechts neben mir den Ton angibt. Am schweizer Ufer sehe ich die ersten Angler, drüben wie in einer anderen Welt. Natürlich kommen mir an einem Pfingstmontag bei schönem Wetter zahlreiche Wanderer entgegen, aber das schockt mich heute nicht. Dieses Flußtal macht alles wieder gut. Und im Geiste ordne ich diesen Tag in das Kästchen ein, auf dem steht: "Erlebnisse, die man nicht fotographieren kann". Ich notiere mir immerhin die Lage und Eckdaten der Schutzhütten, Höhlen und Lagerfeuerplätze, denn hier will ich nicht das letzte Mal gewesen sein.

Als ich mich nach insgesamt 6 Stunden wieder aus dem Tal hochquäle, ist das ungefähr so, als würde man sich ein Pflaster ganz langsam ausreißen. Die einzige Übernachtungsmöglichkeit unten im Tal (eine alte Mühle, die zwei Flußbiegungen weiter ganz alleine am Doubs liegt) war schon belegt, also bin ich auf eine private Zimmervermietung oben im Dorf ausgewichen. Also gute 300 Höhenmeter rauf in eine andere Welt. Plötzlich gibt es wieder Himmel. Und Wind. Und Licht. Und man sieht wieder weiter als die nächsten 50 Meter.

Oben bin ich plötzlich sehr froh darüber, daß ich heute nochmal was anderes gesehen habe als Fluß und Felsen und Unterholz. Zum Schluß des Tages den Kontrast und die Ruhe der Hochebene zu spüren, ist genau das Richtige. Ganz in Ruhe beobachte ich die Kühen, die von alleine über die Straßen zum Stall laufen. Und finde schließlich meine Unterkunft -- ein tolles Holzhaus, in dem eine gute Gastgeberin mir ein Abendessen gemacht hat. Eigentlich wollte sie - verständlicherweise - für eine einzelne Person nicht ein Vier-Gänge-Menü vorbereiten, als sie aber gestern am Telefon hörte, daß ich zu Fuß unterwegs bin, hat sie doch zugesagt. Und so esse ich glücklich im letzten Licht des Tages ein Essen und weiß, das heute mal wieder alles gepaßt hat.

Montag, 28. Mai 2012

Ringe??


Zerfallserscheinungen.


Sportwagenparade.

Erst Ferrari vor dem Hotel  (Scheiß-Foto, mir war es zu peinlich, um die Karre rumzuschleichen), dann Lamborghini (Sondermodell 774-80 "Grand Prix" am Bahnof...


Weiter nach Nordosten. (Und voll im Wohlfühlbereich...)

Sonntag, 27.05.2012
Gilley (F) nach Les Brenets (CH)
7h / 28 km

Shit. Schon wieder Prachtwetter. Wieder keine Wolke am Himmel. Wieder schon am frühen Morgen das Gefühl, daß ich mich heute über jeden Meter im Schatten freuen werde. Es ist ja nicht so, daß ich mich in den letzten Tagen nicht mindestens 1x täglich bei dem Gedanken erwischt hätte, daß ich nix gegen ein bißchen Regen hätte. Aber immer, wenn ich das denke, gehe ich mir schnell den Mund mit Seife auswaschen.

Valdahon liegt feiertagsmüde da, nur vor der Bäckerei stapeln sich die Autos und die Leute stehen bis auf den Bürgersteig Schlange. Am Bahnhof sitze ich noch ein bißchen auf der Bank und schaue dem fluchenden alten Mann zu, der irgendwann auch mich anranzt. Was er will oder was er meint, verstehe ich noch nicht mal im Ansatz. Ob sein Ärger hausgemacht ist oder ob er tatsächlich irgendwas von mir möchte, weiß ich nicht. Jedenfalls überlasse ich beim Einsteigen in den Zug den anderen Fahrgästen die Sorge darum, ob der Opa denn die Stufe schaffen wird.

Am Bahnhof in Gilley nehme ich meine Spur von gestern auf, was sich gut anfühlt. Es war eine komische Aktion, das mit der Bahn hin und zurück, aber es fühlt sich im Nachhinein richtig an. Ich hätte keine Lust gehabt, gestern Abend nach 7h weiter verzweifelt durch kleine Dörfer zu ziehen und nach einem freien Bett zu suchen, bevor es dunkel wird.

Wieder kommen die Wolken mit dem Tag, es ist nicht ganz so heiß wie gestern. Und ein leichter Wind macht alles wieder gut. Ich ziehe wieder durch sanftes Weideland und Wald, vorbei an Kuhherden, verliebten Päarchen im Gras und grillenden Familien auf der Veranda. Morteau wäre ein großer Ort, wenn nicht Sonntag wäre und sich alles in den Wohnungen verkriecht oder auf irgendwelchen Straßen spazierenfährt. Der Ort ist leer, wie ausgestorben. Nur der guten Ordnung halber laufe ich nochmal eine Schleife durchs Industriegebiet, um sicher zu gehen, daß die Supermärkte auch wirklich geschlossen haben. Natürlich sieht es dort noch viel leerer und ausgestorbener aus. Umso besser - das macht es mir leichter, den Ort einfach wieder hinter mir zu lassen. Etwas in mir hatte auf eine Eisdiele gehofft, aber das kann ich mir ja in Frankreich (bis auf mein Schätzchen Évian-les-Bains) offensichtlich abschminken.

Im Wald hinter Morteau muß ich erstmal einen Liter Wasser auf Ex trinken, weil ich's vorher immer vergessen hatte. Und erst, als ich mein heutiges Tagsziel schon am Talende winken sehe, setze ich mich zur Mittagspause hin. Immerhin mit frischem Baguette, Tomaten, Gurke, Frischkäse und viel Salz. Überhaupt, Salz!

Unten am Doubs schwappt plötzlich der Tourismus über mich herein. Es gibt Abfahrtsstege für die Ausflugsschiffe, Großparkplätze am Hafen, Campingplätze und allerlei Unnützes. Nachdem ich bisher bei meinen Grenzübertritten F <-> CH immer über die grüne Grenze gegangen bin, fotografiere ich stellvertretend den ersten Schweizer Grenzübergang dieser Reise. Dahinter verbirgt sich ein ausgeblutetes schweizer Grenzstädtchen, das daran krankt, daß in Frankreich alles billiger ist.

Meine Unterkunft entpuppt sich als Kiosk, der ein paar Plastikstühle rausgestellt hat, sich deswegen auch Bar nennt, und aus Versehen auch noch ein paar Zimmer vermietet. Es sind - oh Gott! - Mottozimmer. Mir wird "Marylin" zugewiesen, und fürderhin muß ich in einem Zimmer mit fünf Marylin Monroe-Bildern, rosa Wänden, einer Marylin Monroe-Waage, Blümchentapete und Vorhängen mit Quaddeln nächtigen. Wie immer egal, ist nur für eine Nacht, und es ist für schweizer Verhältnisse billig, solange man nicht den Fehler begeht, das Ganze in EUR umzurechnen.

Später gehe ich noch runter in die Bar und setze mich zu den Dorfalkoholikern, die von der ausgezehrten Wirtin mit der ledernen Haut und der Reibeisenstimme unterhalten und ausgehalten wird, trinke zwei Bier und freue mich zum ersten Mal auf Deutschland, während im Radio melancholische schweizer Popmusik läuft.

Sonntag, 27. Mai 2012

Liebe Schweizer...

...machmal ist es des Guten zuviel...


Und wo schlafe ich heute Nacht?

Samstag, 26.05.2012
Pontarlier (F) nach Gilley (F)
7h / 29 km

Beim Frühstück haut mir das Universum mal wieder eins auf den Latz. Da willste nett sein, mit anderen Leuten interagieren - sprich: dem älteren Herrn auch Orangensaft eingießen, weil ich sowieso gerade mit dem O-Saft am Buffet stehe und was passiert? Ich saue den ganzen Fußboden voll. Unter den bemühten Pokerfaces meiner niederbayerischen Tischnachbarn (das höre ich!) wische ich den Mist halt wieder auf. Der Tag fängt ja gut an. Wenigstens gibt es später beim kleinen Einkaufsumweg Supermarkt und Metzger, ich starte also mit randvollem Rucksack und freue mich jetzt schon auf die Mittagspause.

In den schlimmen Randbezirken von Pontarlier mache ich die seltsame Feststellung, daß in Frankreich die Formel gilt: "Je abgeranzter das Haus, desto schicker das Auto davor. Und umgekehrt". Vor den schlimmen Plattenbauwohnungen stehen die 7er-BMWs, die Alfas, die Volvos. All das, was Franzosen sonst nicht fahren. Vielleicht sind das aber auch einfach alles polnische Kollegen, vermute ich jedenfalls nach deutlich vernehmbaren polnischen Grill-Lauten aus dem Gartengrundstück nebenan.

Der Wald bruzzelt schön in der Mittagssonne, es riecht nach heißer Luft und brennendem Sand. Auch die Kühe haben sich schon in den Schatten geflüchtet und stehen unter den Bäumen rum, als würde es regnen. Auch gut, dann stören sie weniger das Gesamtbild. Überall nur langgestreckte sanfte Täler, Wald und viele Wiesen.

Für heute Abend habe ich immer noch kein Quartier, ich checke ein paar Läden, an denen ich tagsüber vorbeikomme, aber überall sagt mir schon die Masse an Autos auf dem Parkplatz das voraus, was ich gleich darauf bestätigt bekomme: "Nous sommes complets." Also weiter. Zwischendurch teile ich mir für die Mittagspause bei Pizzastücken und Mini-Quiches die Weide mit den lokalen Kühen, pfeffere wütend das Pizzastück mit Ziegenkäse (dessen Geschmack ich wirklich zum Kotzen finde) in den Wald und habe eine gute Stunde später einen derartigen körperlichen Tiefpunkt, daß ich mich doch sehr am Riemen reißen muß. 

Weiter durch Wald und Wiesen, einzelne Bauernhöfe liegen am Weg, aber die Landschaft ist still und leer. Ich merke kaum, daß ich mich hier so auf 1.000 - 1.200m Höhe bewege, es wirkt vielmehr wie eine verschlafene bayerische Region irgendwo am Ende der Welt. Ich bin einverstanden damit.

Zwei Stunden später serviert mir die Straße eine tolle Aussicht aufs Doubs-Tal. Alles läge ganz still zu meinen Füßen, wenn die Ausflügler auf der Landstraße da unten nicht wären. Die Motorräder heulen im Minutentakt durch den Ort, den Motorensound kann ich noch hier oben - 3 Kilometer weiter - hören. Hinten am Talende sehe ich schon Gilley, mein Ziel für heute. Ziel deshalb, weil dort ein Bahnhof ist. Mit ein bißchen Recherche gestern Abend habe ich mir natürlich noch eine B-Variante ranorganisiert, für den Fall, daß ich heute "on the fly" nix zum Übernachten finde. 

Denn genauso kommt es letztlich: Die vier Herbergen und privaten Zimmervermieter, die ich heute noch zufällig finde und frage, winken ab. Also zum Bahnhof. Da fährt heute noch genau ein Zug in Richtung Besancon, wo ich ein viel zu teueres Zimmer per Internet gebucht habe. An der Bahnlinie nach Besancon liegt auch Valdahon, da gibt es wohl auch ein Hotel (das aber erst um 1700 Uhr aufmacht und mir dann wohl auch erst am Telefon Auskunft darüber geben wird, ob es ein freies Zimmer gibt). Unten an der Brücke gucke ich auf die Uhr, stelle entsetzt fest, daß der letzte Zug in gut 90 Minuten geht, finde kurz darauf einen Wegweiser mit "Gilley - 6 km" und hacke sofort im Stechschritt weiter. Wenn ich auf etwas jetzt keine Lust habe, dann den letzten Zug zu verpassen. Das Wetter ist ganz gut, ich könnte eigentlich auch draußen schlafen, aber meine Sehnsucht nach Dusche/Essen/Bett ist einfach viel zu groß.

Die letzten Kilometer folge ich wieder einer ehemaligen Eisenbahntrasse. Ein wunderbarer Weg zum Eilmarschieren. Breit. Eben. Sanfte Kurven. Zwischendurch telefoniere ich kurz mit dem Hotel in Valdahon, das passenderweise noch was frei hat. Super, schnell im Laufen per Telefon das Zimmer in Besancon storniert - das spart mir 50 EUR und mindestens eine Stunde Zugfahrt.

Alles klappt, ich bin noch rechtzeitig am Bahnhof, in Valdahon gibt es sogar noch einen Supermarkt mit kalten Getränken für meine ausgedörrte Kehle und das Hotel ist ein Glücksgriff. Beim Abendessen im Hotelrestaurant zieht der Wind durch den Raum, alle Fenster stehen offen und die späte Sonne wirft Schatten auf die Tische. Alles fühlt sich sehr sommerlich an. Ich esse ein viel zu opulentes Abendessen und beende den Tag glücklich und mit vollem Magen wie ein gestrandeter Wal auf dem Bett, unfähig zu weiteren Bewegungen. Die kalte Abendluft zieht auch durch mein Fenster herein, trocknet meine frisch gewaschenen Klamotten und drüben im Ort feiert gerade weithin hörbar eine Hochzeitsgesellschaft in ein langes heißes Wochenende hinein.

Samstag, 26. Mai 2012

Es ist schon fast ekelig, wie schön die Tage hier sind.

Freitag, 25.05.2012
Vallorbe (CH) nach Pontarlier (F)
8 h / 30 km

Ach, wie schön. Vor den Bars von Vallorbe finden sich heute Morgen dieselben Gesichter wie gestern Abend... Voller Zuversicht entere ich erst den Coop, dann den Migros, dann den Zeitungsladen -- und komme jeweils ohne Karten heraus. Okay, der letzte Ort auf meiner Schweizer Karte ist Jougne, bis dahin sind's zwei Stunden, vielleicht kann ich da französische Wanderkarten kaufen. Wenn nicht, muß ich halt mit meiner aus dem Autoatlas rausgerissenen Seite weiterkommen...

Aber erstmal finde ich ein Schild nach meinem Geschmack... Ein Wanderweg entlang der ehemaligen Eisenbahnstrecke bis nach Jougne. Das verspricht sanfte Kurven, sanfte Steigungen und überhaupt einen ganz spaziergänglichen Wegverlauf. Die Grenze: Ganz entspannt markiert mit einem winzig kleinen Schild mit den Wappen von Frankreich/Schweiz. Die grenzübergriffige "Loser"-Schmähung entdecke ich erst am Abend auf dem Foto.

Kurz vor Jougne gibt es einen schönen Sitzplatz in der Sonne, 25 Meter über mir brettern die Autos vorbei, aber ich sitze hier unten schön auf einem Haufen ausgedienter Eisenbahnschwellen und arbeite mein zweites Frühstück ab. Beim Bäcker in Vallorbe habe ich wieder Laugenstangen ergattert und als ich in die erste hineinbeiße, weiß ich endlich, wie es sich anfühlt, wenn man in ein Stück Butter beißt. Normalerweise beschwert man sich ja immer, daß zu wenig Butter drauf ist, aber in diesem Fall gibt es Butter daumendick. Und das wird immer mehr im Mund beim Kauen... Einzige Lösung: Cola hinterher. Und den Rest der Laugenstange erstmal auf Diät schicken.

Kurz vor Mittag in Jougne: Zeitungsladen. Keine Karten. Ich sehe meine Felle davonschwimmen und mich schon bei saftigem Verkehr Asphalt schrubben. Atap-Supermarkt: Keine Karten. Kurz hinter Jougne kommt nochmal ein Intermarché, hat auch seit zwanzig Minuten Mittagspause, die haben ja eh nix, was soll's. Naja, vielleicht schaue ich doch mal rein und siehe da, die Tür ist noch offen. Zuckt auch niemand, weil ich in der Mittagspause noch einkaufen will. Und: ein ganzes Regal voller Wanderkarten. Über die Hälfte meiner Liste haben sie vorrätig, die Guten. Ich lasse 75 EUR in dem Laden und bin mindestens für die nächste Woche erstmal mit Orientierung versorgt.

Draußen sitze ich wie ein Kind an Weihnachten mit meinen Karten auf nem Baumstamm und wühle mich erstmal durch. Gucke mir überhaupt erstmal an, was denn da hinter dem Hügel so an Wegen kommt.

Nur Gutes. Schmale Pfade durch den Wald. Verlassene Biathlon-Schießanlagen, die in der Hitze brüten. Stille Waldwiesen, die sich ausgesprochen hervorragend für längere Mittagspausen eignen. Aussichtspunkte, von denen aus ich sehen kann, wieviel Verkehr auf der Straße herrscht, die ich ohne Kartenglück hätte nehmen müssen. Soziale Kühe, die mit dem Mountainbike-Fahrer kuscheln wollen. Und wieder alte Eisenbahntrassen, die in der Nachmittagshitze eine schattige Allee bis kurz vor das Château de Joux hergeben. Nur eines passt mir nicht in den Kram: Alle drei Übernachtungsoptionen für morgen Abend, die ich heute im Laufe des Tages abtelefoniere, sind schon voll. Teilweise so voll, daß meine Frage nach einem Zimmer neben der Absage im Subtext noch ein kleines Lachen hervorruft, so als wäre der morgige Abend schon seit Wochen ausgebucht und das Ganze sowieso eine vollkommen aussichtslose Mission. Ich hab in meiner Entspanntheit natürlich verschwitzt, daß am Wochenende Pfingsten ist und schon jetzt am Freitagnachmittag kann man anhand des Urlaubsverkehrs eindeutig sehen, daß anscheinend alle Welt auf dem Weg in die Berge ist. Naja, da kann ich ja heute Abend schön mal wieder die Recherchemaschine anwerfen...

Das Château de Joux bringt mich schwer ins Überlegen, ob ich nicht doch noch hochsteigen und eine Besichtigung vornehmen soll. Ich hab's ja so ein bißchen mit Militärarchitektur... Aber irgendwie kann ich mich nicht dazu durchraffen. Lieber die nächste halbe Stunde zu Fuß vorbei an den im Stau stehenden Wochenendausflüglern auf der Route Nationale. Und dann gekonnt links abgebogen zum Bach. Am Ufer gucke ich ins kalte Wasser und während ich noch überlege, ob ich meine Stiefel ausziehen soll, lacht eine Stimme in meinem Kopf laut auf: "Natürlich!". Also Stiefel weg, Socken weg und in den kalten Fluß gestellt. Auch wenn ich das nur 20 Sekunden aushalte, das war es echt wert. Ich sitze noch am Ufer rum, telefoniere ein bißchen, gucke mir das Schloß in der Ferne an und bin sehr und rundum zufrieden.

Pontarlier begrüßt mich mit einem sehr aparten Geruch. Leicht süßlich, wie der Geruch von frisch Gebackenem. Nicht so aufdringlich wie die Keksfabrik an der A100, sondern ungefähr so, als hätte gerade jemand frische Eiswaffeln gebacken. Mit einem Hauch Vanille. Ein sommerliches Städtchen, wo die Leute auf den Plätzen und Bänken sitzen, ich beziehe zufrieden mein Kleinstadthotel und bin nach dem tollen Tag doch irgendwie froh, endlich mal die Vorhänge zuziehen zu können und die Sonne draußen zu lassen. Morgen gerne wieder...

Freitag, 25. Mai 2012

Schluchtenwanderung - und am Ende bin ich pötzlich in den Bergen.

Donnerstag, 24.05.2012
Goumoens-la-Ville nach Vallorbe
8,5 h / 29 km

Hrmpf. Schon wieder Kaiserwetter. Nach einem Frühstück mit hausgemachtem Brot (noch warm), selbstgemachter Marmelade, dem guten Apfelsaft usw. stehe ich wieder auf der Landstraße in der Sonne. Meine Vorurteile / erste Abneigungen gehen die Schweiz schmelzen langsam...

Vorbei am Golfplatz "Le Brésil", dessen Name mir den ganzen Tag einen furchtbaren Ohrwurm beschert. Wenn ich mir den Parkplatz des Clubs so anschaue und dabei auch noch die vormittägliche Uhrzeit in Betracht ziehe, kann es den Leuten hier ja nicht allzu schlecht gehen. Aus reiner Boshaftigkeit stehe ich noch ein bißchen am Waldrand rum und beobachte zwei Damen beim Üben, die sich wunderbar irritiert fühlen.

Der Weg führt runter in ein schattiges Flußtal, was zur Mittagszeit eine super Idee ist. Vom Wasser hier riecht es zwar ein bißchen wie am Gauchsbach hinter der Kläranlage, aber was soll's. Das krasse Gegenteil sind kurz danach die Plaines de l'Orbe, ein brettebenes Tal, wie ein ausbegreitetes Handtuch am Pool der Sonne ausgesetzt. Und die knallt heute wirklich gut! Von Norden kommt aber ein kräftiger Wind und macht das Ganze wieder erträglich. Auf der anderen Seite des Tals gibt es Weinberge, die ich hier nicht vermutet hätte. Und - das können die Schweizer echt - in der Kurve, mit Aussicht, im Schatten: eine schöne Bank. Eine solche Einladung zum Sitzen kann ich in der Mittagshitze einfach nicht ausschlagen. Und so lasse ich mich solange vom Wind trockenpusten, bis ich mir kalt wird.

In Orbe durchsuche ich wieder Kioske und Schreibwarenläden nach französischen Karten: nüscht. Dann muß ich eben morgen sehen, ob ich "im Lauf" irgendwas finde. Falls nicht, heißt das einen ganzen Tag auf der Landstraße. Bis nach Pontarlier, das Kaff ist groß genug, daß ich da auf jeden Fal was finden kann.

Weiter ins nächste Flußtal. Die nächsten 4 Stunden sind schlichtweg der Hammer. Die Orbe fließt durch tiefe Kalksteinschluchten mit steilen Hängen, leider führen die Wege relativ weit oben entlang und nicht unten am Wasser. Ständig schaue ich sehnsuchtsvoll runter in die Schlucht, das Wort "Baden!" blinkt in meinem Kopf, aber bei jedem Abwägen von Badevergnügen und Kraxelstreß bis runter zum Fluß gewinnt die Vernunft und ich bleibe lieber oben auf dem Weg. Als ich etwas später vor einem Wasserkraftwerk stehe, wird mir auch klar, daß ich hier vielleicht lieber nicht baden sollte... Dafür folgt der Weg jetzt den Fallleitungsrohren. Man kann das Wasser drinnen rauschen hören und die Rohre sind wunderbar kalt. So kann man wenigstens mal schnell den Armen eine super Abkühlung bieten (auch wenn das reichlich dämlich aussieht).

Es wird immer wärmer, an manchen Stellen des Weges schlägt mir die heiße Luft wie mit einer Keule in die Fresse. Nur ein paar Meter weiter im Schatten ist es wieder herrlich kühl. Und dieses Wechselbad schlaucht. So schade es ist, daß ich nicht unten am Wasser wandern kann, so froh bin ich, daß dieser Weg ohne größere Steigungen verläuft. Nach einer weiteren Stunde geht erstmal nix mehr. Weil ich schon nichts mehr zu Trinken habe, zapfe ich mir an der Quelle mit dem eiskalten Wasser schnell zwei Liter und suche den nächstbesten Schattenplatz. Da hinten auf dem alten Baumstamm neben dem Weg, da wird Pause gemacht! Entgegen aller Gewohnheiten entledige ich mich der Stiefel und Socken. Das Gefühl der brennend heißen Füße auf dem kalten Wandboden ist eine Sensation...

Der Weg hat echt was. Kurz hinter Les Clées geht es nochmal fruchtig bergauf, dann führt der Weg wieder ohne einen einzigen Meter Höhenunterschied hoch über dem Fluß entlang. Und weil da ab und zu ein paar große Felsen im Weg sind, gibt es kleine Fußgängertunnels. Außer einem Angler habe ich in den letzten Stunden niemanden getroffen, was klasse zu der Abgeschiedenheit dieses kleinen Tals passt. Nur Bäume, Felsen und ein paar verrostete Überreste alter Stauwehre. Ganz am Ende der Schlucht liegt plötzlich ein Teich mit Kiesstrand, ich muß sofort an den Abschiedssee aus "Herr der Ringe 1" denken, nur deutlich kleiner. Hinter der nächsten Ecke liegen zwei Rucksäcke zwischen den Felsen und ein Stück weiter neben dem Wasserfall die beiden unbekleideten Besitzerinnen. Hmm, willkommen in den Gentleman-Falle. Wie soll ich jetzt bitte das fällige Trophäen-Foto vom Wasserfall machen, ohne die Mädels mit aufs Bild zu kriegen? Das würde mich ja schon stören, die beiden Damen aber sicherlich umso mehr...

Also spare ich mir grummelnd das Belohnungsfoto, kraxele dafür noch ein bißchen durch die verlassenen Kraftwerksschächte und -röhren und wuchte mich dann den großen Anstieg nach Vallorbe hoch. Vorbei an Kletterwänden, riesigen moosbewachsenen Felsbrocken, tollen Höhlen und all so Dingen, die mir schon als Zwerg Spaß gemacht haben. Beim Anstieg merke ich, daß heute so langsam Essig ist mit meinen Kräften. An einem etwas steileren Stück mit Geländer ziehe ich mich keuchend wie eine alte Frau mit Teerlunge am Handlauf hoch, als müßte ich gerade den Mount Everest ohne Sauerstoff besteigen. Aber es sieht mich ja Gott sei Dank keiner.

Kurz vor Vallorbe dann zur Belohnung für einen sowieso schon tollen Tag noch ein optisches Törtchen. Vor vielen Stunden habe ich die heiße Ebene mit ihren kilometerweiten Blicken und endlosen Feldern verlassen, quasi eine Agrarschweiz. Ich bin eingetaucht in ein enges Flußtal, dem ich gefolgt bin, nur einmal unterbrochen von einem kleinen Dorf. Von der Landschaft ringsrum war bis auf die Hänge der Schlucht und den blauen Himmel nix zu sehen. Und jetzt, sechs Stunden später, bin ich plötzlich in den Bergen. Warum die Schweizer in diesen Blick so ein monumentales Getreidesilo gekloppt haben, weiß ich leider nicht, aber irgendwie passt es zu dem schrägen Moment.


Vallorbe ist größer, als ich gedacht hatte. Ich zähle drei Bäckereien, zwei nebeneinanderliegende Mini-Dorfsupermärkte, vier Bars und drei Restaurants. Das alles auf 300m Hauptstraße. Not bad. Meine Unterkunft ist - naja - basic. Jugendherbergsstandard mit Leinenschlafsack und Stockbett. Offensichtlich habe ich immerhin das einzige Zimmer mit eigenem Waschbecken bekommen, Dusche und Klo sind natürlich für die ganze Etage. Egal, das Zimmer ist billig. Und das gesparte Geld investiere ich sofort in eine Pizza im "Restaurant Le France". Von außen schlimmer Laden, die Pizza kann allerdings zur Abwechslung mal was. Was will man mehr? Nach einem guten runden Tag ein gutes rundes Stück Futter.