Samstag, 28. Juli 2012

Zieleinlauf.

Freitag, 27.07.2012
Altglienicke nach Hause
4 h / 20 km

Sich für die letzte - winzige! - Etappe zu motivieren, ist echt schwer. Sauschwer. Zu schön ist es, bei Wiebi und Zange auf der Terrasse rumzuhängen, zu frühstücken und im Kopf schon fertig zu sein. Und obwohl der innere Schweinehund laut rumbellt, weiß ich doch, daß im Moment des Loslaufens alles ganz locker sein wird.

Außerdem geht es eigentlich immer nur geradeaus. Oder wie Otti gestern Abend mit Blick auf die iPhone-Navigation sagte: "Naja, eigentlich genau der Weg, den man auch mit dem Auto fahren würde." Also laufe ich erstmal rüber nach Adlershof, bei Studio Berlin vorbei, am Kaufland vorbei, den Groß-Berliner Damm hoch. Schön, daß ich auch am letzten Tag nochmal durch ein Gewerbegebiet laufen kann. 

Königsheide, Kiefholzstraße, Baumschulenweg. Kenne ich alles vom Fahrradfahren, wenn ich damals mit dem Rad nach Adlershof gefahren bin. Rüber in den Treptower Park, aber den Weg am Wasser schenke ich mir, das wäre ein glatter Kilometer Umweg. Ich komme mir reichlich seltsam vor mit meinem Adventure-Outfit mitten in Berlin, zwischen Touristen und Kneipen. 

Am Treptower Hafen kann ich zum ersten Mal den Fernsehturm sehen, das ist ein tiefer Seufzer. Und je näher ich dem Friedrichshain komme, umso mehr merke ich, daß der Rest nur noch ein kleiner Spaziergang ist. Eine Strecke, die man vielleicht auch abends im Suff nach Hause läuft, wenn man noch Bock auf ein bißchen frische Luft hat. 

Mir fällt der Überfluß auf. So viele Menschen, so viele Läden. An jeder Ecke könnte ich Getränke, Eis oder Snacks kaufen. Monatelang habe ich mich über jeden noch so murksigen Dorfladen mit jedem noch so lausigen Angebot gefreut -- plötzlich bin ich wieder wählerisch, bei welchem Späti ich mir ein kaltes Getränk kaufe... Vorbei am Boxhagener Platz, vorbei an meinem alten Kiez, in dem ich Gott sei Dank nicht mehr wohne, die Samariter hoch. Durch das von Kommissar B. gut durchackerte Schlachthofgelände (die Bingo-Hausnummern, die ich dort erspähe, brauche ich also gar nicht mehr zu fotografieren). 

Boxenstop an der Eisdiele. Kurzes Telefonat mit Otti. Rüber auf die Storkower Straße. Die zieht sich. Aber weiter hinten mache ich noch ein Foto von meinem zuständigen Arbeitsamt. Aus Dankbarkeit. An der Ecke Storkower/Kniprode sehe ich das erste Hinweisschild nach Weißensee, jetzt ist es wirklich nicht mehr weit. Und zwanzig Minuten später biege ich in meine Straße ein -- noch 400 Meter, dann ist es geschafft. Das ist dann doch der Moment, in dem mir die Absurdität der Situation kurz zusetzt: 3.400 Kilometer gelaufen und nur noch 400 Meter, dann ist Ende. 

Das Grinsen kommt zurück und mit ihm eine tiefe Zufriedenheit, mit Schwung biege ich auf meinen Hof ein. Alles ist wie immer, nur etwas verwildert und verwuchert. Otti schichtet schon Getränke in den Kühlschrank und empfängt mich und das Erste, was ich tue, ist: Rasenmähen.

So weit ist es also gekommen. Rasenmähen. Aber ich habe mich so darauf gefreut, endlich wieder mein Zuhause zu haben, meine Wohnung zu bewohnen, mein Revier zu beförstern, daß das auch wieder irgendwie paßt. Und die to-do-Liste der Dinge, auf die ich lange verzichten mußte, ist lang. Und ich voller Vorfreude. Auf Autofahren, auf mein eigenes Bett, auf den Stolz, es geschafft zu haben.

Es war eine tolle Reise. Aber jetzt reicht's auch.

Grenzen abhaken!

Donnerstag, 27.06.2012
Löpten nach Berlin (Altglienicke)
10 h / 38 km

Der schlechte Tag gestern ist komplett vergessen, als die Sonne am frühen Morgen direkt durchs Fenster in mein Gesicht scheint. Ganz so als wollte sie mich ermahnen, nicht zu spät loszulaufen. Heute wird ein großer Tag, in vielerlei Hinsicht: Vor mir liegt eine der längsten Etappen bisher (gedanklicher O-Ton bei der Planung: "Naja komm, ist der letzte Tag. Das wirst du schon schaffen...!). Und vor mir liegen so wunderschöne Meilensteine wie der Berliner Autobahnring, den ich überqueren werde und vor allem die Berliner Stadtgrenze. Irgendwann wird Jakob mit dem Fahrrad aus der Stadt geradelt kommen und mich das letzte Stück begleiten und heute Abend übernachte ich bei Wiebi und Zange. Was sich schon fast wie zuhause anfühlt. 

Aber da muß ich erst nochmal hin! Schon um 07:30 Uhr stehe ich auf der Straße, draußen ist noch angenehm kühl. Ich will soviel Strecke wie möglich machen, bevor die Luft am Nachmittag wieder unerträglich wird, ansonsten ist diese Etappe bei den Temperaturen nicht zu schaffen.

Gleich im ersten Dorf bekomme ich alles: Getränke, ein trockenes Mohnbrötchen und die letzte Wanderkarte, die mir noch für das letzte Stück Weg nach Berlin fehlt. Danach geht das los, was mich heute mehr oder weniger den ganzen Tag begleiten wird: Siedlungen, Siedlungen, Siedlungen. Siedlungen mit Sandwegen dazwischen, Siedlungen mit gepflasterten Wegen, Siedlungen mit asphaltierten Wegen. Hauptsache Einfamilienhäuser. Erst am Pätzer Hintersee wird es wieder ein bißchen wilder, allerdings legen hier zwischen Wasser und Wald meine Lieblings-Flugparasiten wieder nen Zahn zu und treiben mich weiter.

In Bestensee kriege ich beim Bäcker sogar noch einen trockenen Mohnzopf, außerdem Lust auf die erste Frühstückspause. Wider besseren Willens suche ich nach einem lauschigen Platz am Seeufer, aber ach -- außer einem schicken Foto nix zu holen. Alles entweder vollgebaut oder besetzt (Badegäste / Bremsen). Also esse ich den Mohnzopf im Schlendertempo. Ein Polizeiauto fährt aufreizend langsam an mir vorbei, ich freue mich im Geiste schon auf eine abschließende Kontrolle (die Antrittskontrolle haben ja vor einigen Monaten die Kollegen in Frankreich besorgt), aber auch hier: Pustekuchen. Also suche ich mein Heil in der Flucht und schaue mir noch mehr Einfamilienhaussiedlungen an.

Erst in KW (zu deutsch: Königs-Wusterhausen) ändert sich das Bild wieder etwas, Schloß/Park/andere etwaige Sehenswürdigkeiten ignoriere ich gekonnt, denn heute zählt nur: Vorwärts! An der erstbesten Bank direkt an der brausenden Hauptverkehrsstraße mache ich kurz Pause und trinke mal eben aus dem Stand 1,5 Liter Wasser weg. Denn natürlich ist es richtig warm geworden, wir sind locker bei 30°, allerdings ist die Luft noch einigermaßen erträglich. Beim Aufstieg auf den Funkerberg komme ich dann doch etwas ins Schwitzen, aber vielleicht auch eher, weil ich zu schnell laufe. Denn Als ich die Worte "Funkerberg" und "Aussichtsturm" auf einem Schild lese, schießt mir sofort durch den Kopf: Vielleicht kann ich von da schon den Fernsehturm am Alex sehen...

Pustekuchen. Aussichtsturm geschlossen, vom Funkerberg kein Stück Blick. Dafür höre ich schon die Autobahn hinter dem nächsten Wäldchen rauschen. Und ein paar Minuten später bin ich da, das A10-Center Wildau grüßt freundlich am Horizont, die polnischen LKWs ziehen langsam ihre Bahnen nach Westen und Osten und ich -- ich gehe über den Berliner Ring und fühle mich dem Ankommen ein gutes Stück näher. Natürlich erwartet mich in Wildau und Zeuthen der gleiche Einfamilienhaus-Siedlungs-Murks, aber das ist a) egal und b) nicht anders zu erwarten gewesen. Ich finde tonnenweise Bingo-Hausnummern (die ich in einigen Tagen nachliefern werde) und irgendwann auch eine Bank neben einer alten Kirche, wo ich in Ruhe Pause mache, bis Jakob auf seinem Fahrrad vorbeikommt und sich dazu setzt.

Wir laufen ungefähr drei Stunden durch Siedlungen. Ich bin heilfroh, daß Herr Müller dabei ist, das lenkt ab. Von dem öden Anblick der Einfamilienhäuser. Von der immer dicker werdenden Luft. Von meinen Stiefeln, in denen meine Füße kochen. Und von meinen Knochen, die heute eigentlich schon genug Kilometer geschluckt haben. 

Hinter einem kleinen Stück Wald erhebt sich eine monströse Brücke über eine Bahnlinie, die wahrscheinlich für den neuen Flughafen in den Wald gekloppt wurde. Dahinter ist die Stadtgrenze. Wir laufen das kleine Stück und ich stehe mit einem breiten Grinsen vor dem Ortsschild und bin wieder ein ganzes Stück weiter. Herr Müller zaubert aus seinem Rucksack zwei eiskalte Dosen Bier, deren Existenz er mir bisher verschwiegen hat, und wir stoßen auf diese eben überwundene Grenze an. Willkommen in Berlin.





Das mit dem Bier war eine tolle Idee, aber jetzt haben wir beide einen sitzen. Die nächste Stunde Weg durch Bohnsdorf gerät dann doch langsam zu einem seufzenden "Ich mag nicht mehr...", ich versuche zusätzlich noch mit etwas Häme Herrn Müller darauf aufmerksam zu machen, daß er ja auch noch mit dem Fahrrad zurück in die Innenstadt fahren muß. Alle Hoffnungen auf eine Eisdiele oder einen Kisok mit kühlen Getränken sind vergeblich, statt dessen könnten wir am S-Bahnhof Altglienicke noch ein paar Polizisten auf den Kopf spucken, machen wir aber nicht, denn wir haben sowieso Durst. Inzwischen ist die Luft unerträglich geworden, aber ganz kurz bevor wir entweder unsere Motivation oder das Bewußtsein verlieren, biegen wir einmal links ab, laufen nochmal an ein paar hundert Metern Einfamilienhäusern vorbei und stehen bei Zange und Wiebi im Garten. Otti ist auch da, Emmy will auf der Schaukel angeschubst werden und alles ist sofort wie Zuhause und als ich meinen Rucksack abstelle, ist der anstrengende Tag sofort vergessen. Endlich kein Hotel mehr, endlich Freunde. Es gibt Kuchen und später Grill, natürlich auch Mücken und kühles Bier, aber das alles ist nur noch die krönende Kür-Ausstattung dafür, nicht mehr in der Fremde abzusteigen, sondern irgendwo anzukommen. Endlich.


Donnerstag, 26. Juli 2012

Einmal nach Berlin, bitte.

Mittwoch, 25.07.2012
Lübben nach Löpten
8,5 h / 35 km

Von meinem Hotel ist es nicht weit bis zum Bahnhof. Wenn ich nicht die Regionalbahn bis zum Flughafen Schönefeld nehme, sondern noch ein bißchen warte, kommt bestimmt auch noch der Regionalexpress Cottbus - Berlin. Dann nur noch am Alex aussteigen, mit der Tram nach Weißensee. Gott sei Dank stellt der Automat keine dummen Fragen, als ich mir das Ticket kaufe...

So oder so ähnlich gehen heute meine Tagträume ab. Der zweite fiese Tag. So fies, daß mir ein Abbruch kurz vor Schluß näher ist als jemals zuvor. Berlin und zuhause ist nur einen ganz kurzen Hüpfer entfernt. Überall Autos mit Berliner Kennzeichen, die sind alle spätestens in einer Stunde zuhause und haben im Auto wahrscheinlich auch noch die Klimaanlage an, die Schweine!

Aber natürlich geht das nicht. Ich kann nicht zwei Tage vor Schluß in einen Zug steigen und nach Hause fahren. All die Monate war Abbruch nie Thema und jetzt, kurz vor knapp, macht mir das alles so zu schaffen? Es ist echt schräg...

Immerhin versorgt mich Lübben nochmal gut aus dem Edeka-Sortiment, bevor ich raus aufs Feld tigere. Es wird warm werden, ich hab mir zwei Extra-Wasserflaschen auf den Buckel gepackt. Gott sei Dank hab ich vorgestern nochmal gut den Rucksack ausgemistet. Draußen auf dem Feld knallt die Sonne schon am Vormittag, als gäbe es kein Morgen. Die Radfahrer klingeln mich unverzagt von den Radwegen, als wüßten sie, daß das ihre letzte Chance ist.

Denn hinten an der Bahnlinie biege ich endlich auf die kleinen verhaßten Sandwege ein, auf die mir kein Radfahrer folgen wird. Vor mir liegt ein riesiges Waldgebiet, durchzogen nur von diesen schmalen Wegen. Das Gefühl von Endzeitstimmung und Wüste kommt auf, während ich durch die vollkommen ausgetrockneten Flächen ziehe. Ab und zu dröhnen links die Züge nach Berlin oder Cottbus vorbei (hhhnnnngh!), aber die Bahnlinie ist die einzige Orientierung in diesem seltsamen Gewirr aus Wegen, die kreuz und quer verlaufen. Und es ist so verdammt hart, in diesem weichen Sand zu laufen

An der Zufahrtsstraße zum Tropical Island halte ich zum ersten Mal an und saufe aus dem Stand fast zwei Liter Wasser. Auf der Straße nur Touristen: Niederländer, Dänen, Russen, Norweger, Potsdamer. Schnell weiter.

Die nächsten Stunden sind ehrlich gesagt ziemlich öde. Ich laufe viel auf der Straße, um schneller voran zu kommen. Jedes Stück Schatten nutze ich aus. Wenn ich auch nur einen Moment stehenbleibe, treiben mich die zahlreichen Mücken weiter. Es fühlt sich ein bißchen so an, als liefe hinter mir all das Übel, dem ich bisher auf meiner Reise entgangen bin, und peitscht mich grinsend: So, Junge, jetzt kriegst du doch noch deine Ration!

In Halbe fülle ich meine Getränkevorräte wieder auf und will mich ins schattige Bushäuschen setzen, aber da ist keine Bank! Maa-hann! Sich eine Denkfabrik leisten, aber zu geizig für eine Bank im Bushäuschen... Ich bin zerstochen, habe zuviel Sonne abbekommen, mein Deo hat auch schon lange versagt. Und für heute ist die Motivation auch schon lange dahin. Meine Aggressionen lasse ich an einzelnen Autofahrern aus, die für meinen Geschmack viel zu nah an mir vorbeifahren, ohne auszuweichen. Spätestens jetzt merke ich, wie sehr dieser Tag an mir schon genagt hat und wie wenig Kopf mich heute eigentlich noch steuert.

Es reicht immerhin fürs Ankommen. Mein Anblick im Spiegel ist furchtbar, schweißüberströmt wie frisch aus der Sauna. Abendessen? Fehlanzeige, die Küche hat zu. Die Leute sind unfreundlich. Es gibt kein Handtuch. Auf dem Boden liegen fremde Fußnägel.

Erst als ich frisch geduscht auf dem Bett liege und mich langsam beruhige, schießt mir ein Gedanke durch den Kopf, der mich den Horror des Tages sofort wieder vergessen läßt. "Morgen bist du in Berlin. Übermorgen bist du zuhause." Und schon ist da wieder dieses breite Grinsen, das sich in den letzten Tagen immer wieder in mein Gesicht geschlichen hat.

Mittwoch, 25. Juli 2012

Der erste echt fiese Tag.

Dienstag, 24.07.2012
Burg nach Lübben (alles Spreewald)
8 h / 34 km

Erstmal ist alles perfekt. Blauer Himmel, Getränkemarkt gleich an der nächsten Ecke, Bäcker gleich gegenüber, bei der Post ganze 3,5 kg per Paket nach Hause losgeworden. Mein Rucksack fühlt sich jetzt federleicht an...

Am Ortsausgang steht der Bismarckturm, da war ich schonmal. Ich erinnere mich genau, daß ich davor geparkt habe, allerdings im Winter, als nix los war. Jetzt: Überall Autos, überall Radfahrer. ich laufe auf den asphaltierten Wegen sowieso gleich ganz links wie auf der Straße, um der radelnden Flut möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.

Die ersten Kilometer auf einem alten Bahndamm sind schick, da schattig. Spreewaldromantik mit Kahnfahrt ist allerdings nicht zu sehen, nur schlimme Modeläden mit mausgrauen oder steingrauen Seniorenblousons. Am Nordumfluter ist dann auch Essig mit Schatten, ab sofort geht es in der prallen Sonne übers Feld. Aber hey, wochenlang habe ich über das schlechte Wetter gemeckert, jetzt scheint endlich mal die Sonne. Und ab dem Nordumfluter wird auch die Orientierung einfach: Ab jetzt geht es sowieso nur noch geradeaus und in rechten Winkeln.

Auf dem Feld in der Sonne geben auch die Mücken und Bremsen ein bißchen Ruhe, wahrscheinlich isses ihnen zu hell. Asphaltierte Feldwege, mal als Radwege ausgewiesen, mal nicht. Das isses. Für den Rest des Tages. Aber ich bin selber schuld, denn ich habe bewußt auf den abenteuerlichen Wanderweg verzichtet, den ich auf der Karte gefunden hatte -- denn der führt direkt durch den sumpfigsten Teil des Spreewaldes und irgendwas sagt mir, daß ich da mit Mücken und Bremsen wirklich keinen Spaß mehr gehabt hätte. Also durch die Sonne und übers Feld. Um heute immer daran denken: Nicht meckern!

In der nächsten Siedlung finde ich ein herrliches Hinweisschild, das ich der gesammelten Leserschaft nicht vorenthalten darf. Ansonsten: Keine Vorkommnisse. Also schlage ich mich weiter bis Straupitz durch, wage einen Versuch einer Bummelpause auf einer frisch gemähten Wiese im Schatten einer riesigen Eiche, werde aber gleich wieder von fliegenden Biestern vertrieben.

In Straupitz steht mein grüner Mercedes in der Schrauberhalle und wird seit einigen Wochen notoperiert. Der Rost... Wenn ich hier schon vorbeilaufe, muß ich natürlich einen Spontanbesuch riskieren, vielleicht habe ich ja Glück und Wolfi ist da? Pustekuchen. Niemand zuhause, nix zu sehen. Leicht frustriert setze ich mich auf eine Bank am Dorfplatz und hebe erstmal die Saftflasche.

Hinter Straupitz wird die Landschaft zur echten Motivationsprobe. Links: Wiese. Rechts: Ein Graben, dahinter Wiese. Nix zu sehen, stinklangweilig. Schatten ist ein kostbares Gut und langsam merke ich, wie die Sonne immer kräftiger wird. (Nicht meckern, Herr Grauel, immerhin gibt es kaum Viecher...) Ich laufe ewig geradeaus, die Kilometerzahlen auf den grausam zahlreichen Wegweisern werden einfach nicht weniger, und jedesmal lege ich auf der Karte nur ein winziges Stück zurück, wenn ich gefühlt gerade eine Mörderetappe abgelegt habe. An der nächsten Brücke ist Frustpause, ich sitze im Schatten auf dem Asphalt herum -- ist der einzige schattige Platz weit und breit. Das nächste Radlerpäarchen klingelt und grinst ob meiner seltsamen Platzwahl.

Irgendwann schaffe ich es nach Alt-Zauche und - uff - es gibt ein nettes Café mit sehr kalten Getränken und einer Eiskarte. Ich bin ganz friedlich zu den Wespen, mit denen ich mir unfreiwillig Tisch und Speisen teile, erst als sich eine der Wespen förmlich in meinem Eisbecher suhlt (Rücken im Vanilleeis, Füße in den Himmel gestrecke!), werde ich ein bißchen grummelig. Spiegel lesen, im Schatten sitzen, vom Wind den schweißnassen Rücken trocknen lassen. Als ich aus dem Dorf rauslaufe, wacht wenigstens der Storch über meinen weiteren Weg.

Und der ist echt nicht mehr lustig. Geradeaus, geradeaus, geradeaus. Der Spaß ist mir schon ein bißchen verloren gegangen, die Landschaft ist reizlos, ich will den Tag echt nur noch hinter mich bringen. Blick links, Blick rechts, den Radfahrern ausweisen. Stirn abwischen, damit der Schweiß nicht in die Augen läuft, die nächste Landmarke anpeilen und die Zähne zusammenbeißen.

Während der letzten Stunde begleitet mich zu allem Überfluß noch der feine Verwesungsgeruch, der aus den Überschwemmungswiesen neben dem Flutkanal heraufmodert. Ein Radlerpäarchen überholt mich, der ältere Herr johlt im Vorbeifahren "Es gibt sie noch, die echten Idealisten!" und gibt Daumen hoch. Ein paar hundert Meter weiter kommen wir ins Quatschen, es sind die Rentner, die heute Mittag über mein Asphalt-Sit-In gelacht haben. Er erzählt, daß sie eigentlich keine Radfahrer, sondern auch Wanderer sind und daß es ihm - wie mir - heute schwer aufgefallen sei, daß niemand zu Fuß unterwegs ist. Außer mir. Als ich von meiner Reise erzähle, will er mich vor Rührung in den Arm nehmen, besinnt sich aber wegen Rucksack und Deoversagen meinerseits Gott sei Dank eines Besseren und klopft mir auf beide Schultern. Wenigstens ein versöhnlicher Abschluß für einen Tag, den ich einfach nur abhaken kann. Er war gut für 34 Kilometer, sonst nix. Vielleicht schalte ich schon auf Durchzug, um einfach nur noch anzukommen -- aber das wiederholt sich hoffentlich nicht noch die nächsten drei Tage bis zuhause.

Das wäre hart...

Dienstag, 24. Juli 2012

Hausnummernbingo: Frau Exo liefert Berlin.

Wieder wurde ein Netz identifiziert. Kommissar B. ermittelte im Schlachthofviertel in Friedrichshain, Frau Exo in den Niederungen von Tempelhof. Mit durchschlagendem Erfolg!

# 195

Schöne Doppel-Nummer, als besonderes Detail sei das Kistendings über der Solarhausnummer erwähnt, das abmontiert und schlecht wieder angeschraubt wurde. Man sieht noch den Farbrand...
Ab in die Spezialkiste.

# 179

Wunderschön verrotteter Fassadenanstrich. Da hilft auch die Solarhausnummer nix mehr.

Ab in die Spezialkiste...




# 158

Die kennen wir bereits von Kommissar B., ebenfalls aus Berlin. So schließt sich der Kreis.






# 149

Schwer versteckt, aber dennoch aufgestöbert. Wieder ab in die Spezialkiste...






# 147

Ebenfalls stark vergrünt, aber ich vermute mal, daß Frau Exo hier schon schwer im Jagdfieber war. Spezialkiste!




# 143

Hier ist dem Hausbesitzer die Kreativität durchgegangen. Hausnummer aus Metall reicht nicht, die mitgelieferten Standard-Ziffern waren nicht gut genug. Also hat er nachgerüstet. Ob DAS der Lesbarkeit allerdings zuträglich war...
Klarer Fall: Spezialkiste!

# 121

Gitter, Gitter, Gitter. Da hilft eine moderne Solarhausnummer. Speee-zialkiste!






Soviel zum Warmwerden. Es folgen: Punkte! Punkte! Punkte!


# 91

Neumodische Hausnummer verlangt nach neumodischem Vorbau-Schnickschnack. Dennoch: Punkt für Berlin.




# 79

Ein Traum in Weiß. Tragischerweise verdrängt diese 79 die bisherige 79a von Herrn Pflaumbaum und verschiebt damit einen Punkt von Brandenburg nach Berlin. Bien fait, Madame!





# 65

Ohne Schnörkel, ohne Zweifel: Punkt für Berlin.







# 55

Ergreifende Schlichtheit und passende Eleganz bei Haustür und Briefkasten. Die Hausnummer: Punkt für Berlin!




# 50

Ein Bild für die Götter, ein Bild wie Krautsalat. Schlimm angeflanschte Hausnummer, Alarmanlage dahinter, Regenwasserkette und all das, was das EFH von Welt noch so braucht.

Punkt für Berlin!



# 83

Mehr Rumpelfassaden, mehr Punkte für Berlin.







# 71

Wieder Gitter. Ich mache mir langsam Sorgen... Währenddessen gibt es noch einen Punkt für Berlin.






# 69

Und hier endet die atemlose Punktralley für's erste mit einem weiteren Punkt für Berlin...





Nachdem Frau Exo aus dem Stand 8 (in Worten: acht!) Punkte für Berlin gesichert hat, fand sie gleich danach noch einen schönen Briefkasten für die Spezialkiste, allerdings leider ohne Zusatzpunkte...

# 12

Dreifach-Nummerierung, Gitter vor der Tür und andere Herrlichkeiten. Tempelhof weiß, wie's geht. Nur zu spät isser gekommen...

Auf Durchzug geschaltet.

Montag, 23.07.2012
Altdöbern nach Burg (Spreewald)
7 h  / 30 km

Auch Lübbenau platzt vor Touristen. Überall radelnde Rentner. Die einzigen Läden in Reichweite sind ein Ghetto-Netto, ein Zeitschriftenkiosk (der trotz Montag keinen Spiegel vorrätig hat) und ein Blumenladen. Nicht exakt die Auswahl, die ich zum Start in den Tag bevorzuge.

Ansonsten ist Prachtwetter. Nur ein paar schüchterne Wolken zu sehen und -- es ist warm. Suddenly: Summer! Schon nach ein paar hundert Metern gibt es außer Wald, Maisfeldern und blauem Himmel rein gar nichts mehr zu sehen. Ich mache einen kleinen übermütigen Schlenker, um das "ND Opferstein" zu besichtigen, was mir aber nur eine halbe Stunde Rudern im nassen hüfthohen Gras, Brennnesseln und Mückenparty einbringt. Dem Opferstein widme ich kaum einen Blick, denn wenn ich stehenbleibe, schwirrt alle 5 Sekunden eine zusätzliche Mücke um mich herum. Biester, auf die bin ich gar nicht eingerichtet, mir fehlt quasi noch die Jagdstrategie.

Auf einem kleinen Stück Feld sehe ich außer Landschaftskunst die ersten Störche, die die frisch gemähte Wiese inspizieren. Und Brandenburg ist stolz darauf. Im Dorf sehe ich große Tafeln, auf denen akribisch Daten und Jahre eingetragen wurden, wann hier ein Storchenpaar genistet hat, alles ordentlich für die Touristen ausgehängt. Aber die gibt es hier anscheinend kaum. Ich sehe ab und zu mal ein paar Radfahrer, aber ich bin weit und breit der einzige Fußgänger. In den Dörfern setzen mir die starrenden Blicke hinter den Gartenzäunen schwer zu. Noch mehr als in den letzten Tagen. Es wird noch schlimmer werden, aber bald ist es geschafft...

Die nächsten Stunden sind ein ständiger Wechsel von Asphalt und Sand, leerem Wald und glühenden Feldern. Muckwar, Ogrosen, Missen, Eichow. Kleine Dörfer mit seltsamen sorbischen Namen, die für mich heute nichts weiter sind als kurze Pausen zwischen den schier endlosen Wald- und Feldetappen. So leer wie die Landschaft ist auch mein Kopf, ich gehe automatisch. Genieße ich den Tag? Irgendwie ja, irgendwie nein. Es ist ein schöner Tag, außer den Mücken stört absolut nichts, aber ich merke, daß ich es hinter mich bringen will. Noch viereinhalb Tage. Hoffentlich geht mir der Schwung nicht noch auf den letzten Metern flöten...


Als ich auf einer einsamen Autobahnbrücke die A15 überquere, ist der Flow sofort wieder da. Ein polnischer LKW-Fahrer hupt mir kurz zu, ich winke zurück. Und denke wieder an meine Kindheit, wie ich auf der Autobahnbrücke hinter unserem Haus stand, den LKWs zuwinkte und eine Ahnung von Fernweh spürte. Heute ist es mehr als das, es ist wieder eine kleine Geste von einem Fremden, es ist wieder ein kleines "Daumen hoch", das ich vom Wegesrand aufsammele. 

Hinter der Bahnlinie: Mehr asphaltierte Radwege, mehr öde Kilometer. Hinter der Bahnlinie ändert sich das Land schlagartig. Weite Wiesenflächen ohne Wege, nur noch die großen Straßen führen im Zick-Zack-Kurs von Siedlung zu Siedlung. Ich laufe absurde Umwege, verzichte aber darauf, mich querfeldein zu schlagen, weil mir das Risiko zu groß ist, irgendwo am Feldrand vor einem breiten Wassergraben zu stehen. Und das ist im Spreewald gar nicht mal so abwegig...

Kurz vor Burg treffe ich noch eine Herde Kühe auf der Weide, die neugierig von allen Seiten her angetrabt kommen, es dann aber doch mit der Angst zu tun bekommen und nur näher kommen, wenn ich ihnen den Rücken zudrehe. Mit dem Konzert aus sich überschlagenen Muh!-Rufen mache ich mich an die letzten Kilometer bis Burg.

Dort schwelge ich aufatmend aus dem Vollen der touristischen Infrastruktur. Postfiliale für das letzte Paket nach Hause? Check. Spiegel am Kiosk? Check. Eisdiele? Double-Check. Mein Hotel für heute ist Gott sei Dank etwas schicker als die mittelmäßigen Buden der letzten Tage, ich kann's irgendwie gebrauchen.

Noch vier Tage liegen vor mir. Endspurt. Nach bisher 133 Tagen...

Montag, 23. Juli 2012

Tagebau, Tagebau, Tagebau.

Sonntag, 22.07.2012
Senftenberg nach Altdöbern
5 h / 23 km

Raus aus Senftenberg? Gar nicht so leicht. Gibt ja sowieso nur Radwege hier, Wandern ist nicht vorgesehen. Wir erinnern uns: Die Stadt ist von zig Tagebaugruben umgeben, die allesamt gerade in Flutung sind, um irgendwann die unfreiwilligen Touristen mit Seen zu erfreuen (die dann - siehe gestern - nicht betreten werden dürfen). Ich will mich jetzt nicht weiter darüber auslassen, aber die Ausgangslage ist heute so: Die in meiner Uralt-Karte noch vorhandenen Wege sind natürlich allesamt weg. Geflutet. In meine Richtung - nach Nordosten - führt außer der Bundesstraße genau ein Radweg, den ich zwischen Tankstelle, Waldfriedhof und neu eingerichtetem Gewerbegebiet vollkommen entnervt suche. Und so bekomme ich gleich zu Beginn des Tages mal wieder das seltsamste Gefühl serviert, das einem als Wanderer so passieren kann: Alleine in einem menschenleeren Gewerbegebiet am Sonntagvormittag.

Der Radweg ist auch noch gesperrt, aber zwei ältere Walkerinnen zwängen sich gerade durch die Absperrung. Ich frage sie kurz, ob die Brücke noch existiert und sie zwitschern fröhlich: "Alles fußgängig!" Naja, immerhin. Aber hinter den letzten Häusern wartet nur geschundene Landschaft. Ewig weite Sandflächen, in den letzten Jahrzehnten mehrmals hin- und wieder hergeschoben, ein paar krüppelige Birken und Sträucher halten sich darauf fest. Halhb geflutete Senken, in der Ferne dampft und qualmt das Kraftwerk Schwarze Pumpe vor sich hin und neben mir dröhnt die Bundesstraße. Eigentlich will ich das nur so schnell wie möglich hinter mich bringen.

Da helfen auch alle gut gemeinten Infotafel mit den Themen Tagebau-Renaturierung, Spannungsfeld Kunst-Landschaft-Mensch und schiffbarer Fluttunnel Sedlitzer See nix mehr. Auch nicht die solarbeleuchteten orangenen Metall-Stelen, die als weithin sichtbare Landmarke und ... So ein gequirlter Voll-Shit! Schnell weiter!

Auf den Asphaltradwegen geht das Gott sei Dank relativ schnell. In Sedlitz stimmt mal wieder gar nix, den Bahnübergang, an dem ich eigentlich über die zig nebeneinander gelegenen Gleise gehen will, ist wie vom Erdboden getilgt. Alles an dieser Landschaft ist anscheinend vollkommen in Veränderung begriffen, alles ändert sich hier viel schneller, als das irgendeine Wanderkarte abbilden könnte. Oder wollte. Und so laufe ich auf überraschenden Wegen entlang von mir unbekannten Seen und orientiere mich peinlicherweise an den Radfahrer-Wegweisern. Heute bin ich mal wieder ein Fahrrad.

In Großräschen verzichte ich großzügig auf die nächste Kunst-Landschaft-Mensch-Landmarke, bei der irgendein in der Luft hängender Steg dem Auge versinnbildlichen soll, wie hoch eines Tages der Wasserspiegel im See sein wird. Damit man das jetzt schon erleben kann. Will ich aber nicht, ich hab schon lange auf Abwehr geschaltet. Das Einzige, was da noch hilft, ist ein Eisbecher. Großräschen enttäuscht mich nicht, es gibt einen menschenleeren Marktplatz, der sogar ein Café hat. Und das hat Eis. Der Rest von Großräschen ist Tagebau-Vergangenheit, sozialistische Zweckbauten, die man eben so gut wie möglich weitergenutzt hat. Schön ist aber anders.



Ich bin daher irgendwie froh, als ich endlich nach den letzten Häusern wieder in den Wald eintauche. Von hinten sind mal wieder einzelne fiese Wolken heraufgezogen, aber es bleibt alles trocken.

Der Wald riecht nach warmem Sand, der Geruch erinnert mich immer noch an meine Kindheit, wenn ich im Sommer mit dem Rad durch den Wald zum Baden an den Jägersee gefahren bin.

An einem Bahnübergang irgendwo im Wald - hinter mir Sandweg, vor mir Sandweg - gehen doch tatsächlich direkt vor mir die Schranken runter. Ich komme mir reichlich dämlich vor, weil ich ganz brav vor dem Bahnübergang stehenbleibe, aber es kommen sogar zwei Züge. Einer von beiden ist die Regionalbahn in Richtung Berlin, die ich eigentlich gerne genommen hätte.

WIE BITTE? Nein, keine Sorge. Nur mal wieder ein logistischer Seitensprung: Ich habe in Altdöbern kein Zimmer mehr bekommen, also setze ich mich am Bahnhof in den nächsten Zug nach Lübbenau, um morgen wieder hierher zurück zu fahren. Jede Stunde geht genau 1 Zug, und da der gerade an mir vorbeigefahren ist, muß ich drüben am Bahnhof eine Stunde rumsitzen und warten. Währenddessen kann ich mir anschauen, wie es doch noch anfängt zu regnen.

Im Zug stelle ich fest, was für eine große Prüfung ich mir da gerade auferlegt habe. Denn der Zug fährt bis zum Flughafen Schönefeld. Von da könnte man mit der S-Bahn weiter in die Innenstadt fahren. Ich könnte in vielleicht zwei Stunden zuhause sein... Tief durchatmen, in Lübbenau aussteigen, alles wird gut.