Donnerstag, 12. Juli 2012

Glück auf!

Mittwoch, 11.07.2012
Weitersglashütte nach Pöhla
6 h / 26 km

Draußen ist es kühl und ungemütlich. Also richtig schönes Wanderwetter. Ich ziehe los in Richtung  Johanngeorgenstadt, wieder breite Forstwege, die schnurgerade in den Wald gehauen wurden. Oben an der Grenze ist wohl vor einiger Zeit ein fetter Sturm durchgezogen, kahle Flächen weit und breit. Zusammen mit den Wolken, die bedrohlich aus Tschechien heraufziehen, sieht das alles wunderbar trostlos aus. Trotzdem äuge ich immer wieder mißtrauisch nach oben und frage mich, ob ich heute womöglich mal wieder richtig naß werde. 

Auf dem Grenzweg herrschen die Mountainbikes. Ältere Herren, jüngere Herren, aber alle ich schicken bunten Profitrikots. Ich lerne, daß statt "Guten Tag" die lokale Begrüßung "Glück auf" angesagt ist, finde das aber sofort total affig und bleibe beim klassischen Hallo. Denn bei diesen Dialektfreunden hier hört sich "Glück auf" eher an wie ein verschluckt-geblubbertes "G'auf". 

Ein paar Kilometer weiter kommen die ersten Tropfen vom Himmel, nach einem kleinen Seufzer werfe ich den Rucksack in der kleinen Wanderhütte ab, die praktischerweise gleich neben mir an der Kreuzung steht. Und so stehe ich da unter dem Dach, luge raus in den Himmel und komme mir seltsam dämlich vor. Also Rucksack wieder auf, so nach dem Motto: Eine Viertelstunde weiter ist die nächste Hütte, entweder hat es bis dahin richtig angefangen zu regnen (so daß sich das Unterstellen lohnt) oder es hat wieder aufgehört. 

Aufhören wäre untertrieben, denn nach 20 Tropfen und 20 Minuten reißt der Himmel auf und die Sonne kommt zum Vorschein. Und so kann ich, nachdem ich den Küchen- und Fettgeruch des Gasthofclusters an der Landstraße überwunden habe, bei sehr erbaulicher Beleuchtung ins Steinbachtal absteigen. Aus irgendeinem doofen Grund entscheide ich mich für die geteerte Straße statt für den schmalen Pfad auf der anderen Seite. Zur Strafe kann ich mir die nächsten Kilometer angucken, wie schön und wie wildromantisch der kleine parallele Weg auf der anderen Talseite ist. Das ist Folter. So sehr, daß ich mehrmals versucht bin, den Bach zu überqueren, um drüben weiterzulaufen.

Hinter dem großen Krankenhaus, das in dem Tal wie ein frisch gelandetes Ufo aussieht, versuche ich bei einem trostlosen Bäcker, die am wenigsten trostlosen Backwaren zu kaufen und werde trotzdem bitter enttäuscht. Der Getränkemarkt nebenan hat auch gerade Mittagspause, und so schaue ich mir bei Wasser und trockenem Baguette dem Hähnchengrillmann zu, wie er auf dem Parkplatz seinen Hähnchengrill aufbaut, wie die Leute außenrum schon darauf lauern, den ersten Broiler von ihm kaufen zu können, schüttele mich kurz und zwinge mich zum Weiterziehen, um mir die Laune nicht zu verderben.

Danach beginnt der arbeitsreiche Teil des Tages. Durch Breitenbrunn und Rittersgrün geht es kräftig bergauf und jeweils sofort danach wieder bergab, die Dörfer wirken alle so, als hätten sie schon sehr viel bessere Zeiten erlebt. Nicht, daß sie verfallen oder schrottig wirken würden, aber der Glanz der vergangenen Tage ist eindeutig verflogen. In Breitenbrunn sitze ich noch ein bißchen in einem kleinen Park neben der Schloßruine herum, sympathischerweise sind hier einige Buden installiert, die jetzt natürlich geschlossen sind, aber zumindest den romantisch verklärten Gedanken zulassen, daß hier vielleicht ein- oder zweimal im Jahr die Dorfbewohner irgendein Fest zusammen feiern, von Bude zu Bude schlendern und sich natürlich dabei schwer volllaufen lassen.

Als ich auch Rittersgrün und den fiesen Anstieg auf den Sonnenberg hinter mir habe, sitze ich erstmal ein bißchen auf einer Bank herum, genieße Wind und Sonne und das Wissen, daß der Rest des Tages nur noch aus einem entspannten Schlendern runter ins nächste Tal besteht. Beim entspannten Schlendern runter nach Pöhla schießt mir durch den Kopf, daß ich heute nicht eine Bremse, keine Zecke und Null Hirschlausfliegen gesehen habe. Ein komplett parasitenfreier Tag. Dem Erzgebirge gebührt Anerkennung für diesen touristischen Service!

Unten im Dorf, das sich mal wieder unnötig lange im Tal hinzieht, gibt es dann doch erste Spuren des Verfalls. Wie der letzte Touri stehe ich an den Resten der örtlichen Pilsbar und fotografiere etwas, daß wahrscheinlich schon zu Lebzeiten nicht sehr einladend war. Meine Hochnäsigkeit wird allerdings sofort bestraft: Meine Unterkunft für heute macht erst in einer Stunde auf. Klingeln? Keine Antwort. Shit. Na gut, dann eben noch eine kleine Besichtigungstour durchs Dorf. So rein aus Verzweiflung und Langeweile. Zwei Straßen weiter gibt es einen Bäcker mit erstaunlich gutem Eis und erstaunlich schlimmen Törtchen und als ich das alles verdaut habe, ist auch bei meinem kleinen Landhotel jemand zuhause. Wieder mal ein Glücksgriff, freundlich lachende Damen, gutes Zimmer, der rauschende Bach hinter dem Haus als Soundkulisse.

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