Freitag, 18.05.2012
Habère-Poche nach Vacheresse
8 h / 31 km
Das Feriendorf-Straflager meint es echt ernst. Frühstück bis 08:30, Check-Out bis 09:00 Uhr. Naja, nicht so schlimm, ich wollte heute sowieso eine Stunde früher los, weil ich noch nicht so richtig weiß, was der Tag bringen wird.
Ab 08:45 hat das auch die Jalousie der Rezeption offen, damit ich meinen Schlüssel abgeben kann. Meine Frage nach einer Rechnung wird als Sonderwunsch mit hochgezogenen Augenbrauen kommentiert, aber ich bestehe darauf. Schon aus Knorrigkeit... Zur Strafe stehe ich kurz darauf im Regen. Von den Bergen nüscht zu sehen, nur Wolken. Naja, also Kapuze auf, Kragen hochgestellt und ab auf die Straße. Spontan entscheide ich mich endgültig dazu, die Bergtour Bergtour sein zu lassen und lieber im Tal auf der Straße zu bleiben. Denn 1. ist der Tag sonst wahrscheinlich zu lang, um noch Spaß zu machen und 2. weiß ich nicht, warum ich mich auf Berge hochprügeln soll, wenn ich oben sowieso nix außer Nebel sehe.
Unspannender Tag, bis auf schöne Aussichten in die Täler. Der Regen hört nach einer guten Stunde auf, also genau zu der Zeit, zu der ich normalerweise auf der Straße gestanden hatte. Ich schlucke den Ärger über das Feriendorf-Straflager runter ("HÄTTE ich irgendwo anders... WÄRE ich trocken geblieben...") und widme mich statt dessen dem Durchforsten der Dörfer am Straßenrand nach Eßbarem. Bäcker? Metzger? Dorfsupermarkt? Alles da. Mittagessen ist gesichert.
Hinter Lullin treffe ich einen besorgten Radfahrer mit Mops im Wald, den ich erst für einen Waldarbeiter halte. Weiter hinten steht ein weißer Kastenwagen mit offener Tür auf dem Waldweg in the middle of nowhere. Aber der Radfahrer wundert sich vielmehr, warum das Auto da offen und mitsamt Zündschlüssel im Schloß im Wald rumsteht. Wir suchen ein bißchen gemeinsam, ob sich irgendjemand in der Nähe rumtreibt, ich überlege kurz, ob das ein Wink des Schicksals sein soll, daß ich mir die Kiste unter den Nagel reiße und mit geöffnetem Fahrerfenster den gut gebräunten Arm locker in den Fahrtwind hängen lasse, während ich entspannt den Berg hochfahre, aber man hat ja so seine automobilen Mindestansprüche. Die in diesem Fall nicht erfüllt werden.
Der Radfahrer beschließt, bei den Gendarmerie vorbeizufahren, mir ist das irgendwie ziemlich wurscht und ich ziehe weiter. Wieder über schlammige Motocrosspisten balancierend, aber es guckt ja Gott sei Dank keiner... Unten am Fluß sitze ich ein bißchen auf der Mauer rum und versuche mich krampfhaft zu erinnern, ob ich hier nicht vielleicht schonmal mit dem Auto war. Bei meinen Urlauben im Wallis habe ich zwei oder dreimal Ausflüge in das Vallée d'Abondance gemacht, da müsste ich theoretisch hier vorbeigekommen sein. Aber mir kommt das alles nicht bekannt vor. Statt dessen hadere ich lieber mit meinem inneren Schweinehund, ob ich die restlichen 8 km auf der Straße gehen soll (einfach, kaum Steigungen, langweilig, gefährlich) oder ob ich doch nochmal zwei Berge raufkraxele (seufz, 400 Höhenmeter, aber natürlich die schönere Variante). Nachdem ich am Ende keine Lust habe, meinen Urlaub auf der kurvigen Straße unter einem Betonlaster zu beenden, wuchte ich mich lieber nochmal bergauf. Ist ja auch die schönere Variante...
Bei einer kleinen Zwischendurch-Straßenetappe bin ich mir plötzlich absolut sicher, daß ich genau an dieser Stelle da drüben mal zum Pinkeln angehalten habe. Ich gucke sogar nochmal über den Abhang, ob ich vielleicht irgendwelchen Müll wiedererkenne, der da damals schon gelegen hat, aber so sicher ich mir gerade noch war, so schnell kann ich auch über diesen zwanghaften Versuch zur Selbstverortung lachen. Du wirst schon irgendwann irgendwo ankommen, wo du schonmal warst. Wenn das das einzige Problem ist...
Ein paar komatöse Bergdörfer mit Ferienhausleerstand gibt es noch zu besichtigen, au8ch der Laden mit den Neuigkeiten (siehe rechts) hat schon lange dicht. Irgendwann finde ich endlich mein Hotel, das ich blind im Netz gebucht hatte. Sehr gute Bewertungen und mit 40 EUR die Nacht spottbillig. Es empfängt mich die fidele Chefin mit ausgesucht guter Laune (eigentlich lacht sie die ganze Zeit nur), stellt mir erstmal ein Bier hin (woher wissen die das immer nur...) und schon sind mir die ganzen Uralt-Möbel im Zimmer wurscht. Preis/Leistung stimmt, es gibt einen Balkon zum Stiefel lüften, eine orangene Tischedecke aus den 70er Jahren, beim Abendessen statt der Käseplatte einen Hieb Joghurt, der Seniorchef hat einen Stapel Custombike- und Oldtimerzeitschriften auf der Treoppe liegen und überhaupt bin ich hier richtig. Ich merke mal wieder, daß mir inzwischen völlig egal ist, wie hübsch oder elegant oder komfortabel meine Unterkünfte sind. Solange der Preis stimmt und die Leute freundlich sind, bin ich glücklich.
Morgen: Nichtstun, wahrscheinlich nur Schlafen.
Sonntag: Bergtour.
Montag: Abschied von Frankreich. Vorerst...
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