Montag, 28.05.2012
Les Brenets nach Fournet-Blancheroche
7 h / 25 km
Die seltsame Kioskbar hat am nächsten Morgen sogar einen Frühstücksraum. Eine groß angekündigte Fotoausstellung entpuppt sich als zahlreiche einlaminierte Foto-Farbkopien, die mit Reißnägeln an der Wand befestigt sind. Für mich allerdings höchst interessant und praktisch, weil ich von diesen Fotos erfahre, daß oben am Doubs-Wasserfall tatsächlich eine Brücke zwischen Frankreich und der Schweiz existiert. Nicht unwichtig für die Planung eines Tages, an dem ich keine weitere Möglichkeit haben werde, den Fluß zu überqueren.
Kurz vor dem Wasserfall ist die Anlegestelle der Ausflugsschiffe. Gott sei Dank ist gerade alles ruhig, aber die Anlagen sehen so aus, als würden sie im Hochsommer massenweise Touristen hier durchschleusen. Augen zu und durch. Was nicht einfach ist, weil die Budenbesitzer der Budenstraße, durch die man auf dem Weg zum Wasserfall zwangsläufig durch muß, nehmen es mir mit verkniffenen Augen sichtlich übel, daß ich ihre Postkarten, Wimpeln, Schnäpsen usw. keines Blickes würdige. Dahinter: ok - Wasserfall. Aussichtspunkt von unten. Aussichtspunkt von oben. Links ein paar Touristen, rechts ein paar Touristen. Schnell weiter...
Gleich hinter einem ganz kleinen Stück Wildwasser wird der Doubs sofort wieder zum Stausee, in dem sich fette Karpfen tummeln. Ein schmaler Pfad schlängelt sich am Ufer entlang, durch luftige Wälder, brütend heiße Kieshalden, kleinteiliges Unterholz. Je weiter ich mich vom Wasserfall entferne, umso schmaler wird der Weg - von einem breiten Spazierweg wird er zur schmalen Spur durch das undurchsichtige grüne Dickicht. Am gegenüberliegenden Ufer sieht man die steilen Kalkfelsen, die das Tal schroff begrenzen und kaum erlauben, daß irgendwelche Wege in das Tal hinein- oder hinausführen. Nach einer guten Stunde zeigen die ersten kleinen Boote am Ufer an, das sich die Laufweite des nächsten Parkplatzes nähert (Angler laufen anscheinend nicht so gerne weite Strecken zu Fuß), aber erstmal stehe ich nach einer Flußkurve erstmal unvermittelt vor dem Staudamm. Von dort geht es über Leitern und Metallstege hoch zum Parkplatz, wo sich wieder Aussichtstouristen tummeln.
Eine halbe Stunde weiter teilt sich der Weg unvermittelt -- der "große" Wanderweg biegt plötzlich in Richtung bergauf ab. Ein Schild löst meine Irritation, es gibt eine neue Wegführung wegen Sicherheit und so. Laut drauf gelacht, ich nehme natürlich die alte Route unten am Fluß. Ich wäre schön blöd, jetzt 400 Höhenmeter auszusteigen, nur um dieselben 400 Höhenmeter ungefähr 10 Flußbiegungen weiter wieder abzusteigen. Und meine Eigensinnigkeit wird belohnt: Man merkt dem Weg an, daß er nicht mehr begangen wird. Überall erobert sich der Wald und das Unterholz seinen Platz zurück. die Brennnesseln drücken den ohnehin schmalen Pfad weiter zusammen und peitschen den Wanderer, umgestürzte Bäume bleiben einfach auf dem Weg liegen. Das ist natürlich das Paradies für mich...
Je weiter ich komme, umso mehr entfernt sich die Wirklichkeit. Hier unten ist es wie aller Realität entrückt, bis hier unten ins Tal dringt kein Laut von außen. Kein Weg kommt von der Seite, es ist ein bißchen wie im Tunnel. Nur ein kleines Wasserkraftwerk mit dem Charme der 50er Jahre drüben am anderen Ufer stört gute zwei Stunden später das Gefühl der Wildnis, kurz darauf treffe ich auf eine kleine Schutzhütte, an der der reguläre Weg wieder auf den Fluß stößt. Und es wieder auf einem deutlich sanfterem Weg weiter geht.
Über Stunden entlang des Flusses, der mal tosend, mal träge rechts neben mir den Ton angibt. Am schweizer Ufer sehe ich die ersten Angler, drüben wie in einer anderen Welt. Natürlich kommen mir an einem Pfingstmontag bei schönem Wetter zahlreiche Wanderer entgegen, aber das schockt mich heute nicht. Dieses Flußtal macht alles wieder gut. Und im Geiste ordne ich diesen Tag in das Kästchen ein, auf dem steht: "Erlebnisse, die man nicht fotographieren kann". Ich notiere mir immerhin die Lage und Eckdaten der Schutzhütten, Höhlen und Lagerfeuerplätze, denn hier will ich nicht das letzte Mal gewesen sein.
Als ich mich nach insgesamt 6 Stunden wieder aus dem Tal hochquäle, ist das ungefähr so, als würde man sich ein Pflaster ganz langsam ausreißen. Die einzige Übernachtungsmöglichkeit unten im Tal (eine alte Mühle, die zwei Flußbiegungen weiter ganz alleine am Doubs liegt) war schon belegt, also bin ich auf eine private Zimmervermietung oben im Dorf ausgewichen. Also gute 300 Höhenmeter rauf in eine andere Welt. Plötzlich gibt es wieder Himmel. Und Wind. Und Licht. Und man sieht wieder weiter als die nächsten 50 Meter.
Oben bin ich plötzlich sehr froh darüber, daß ich heute nochmal was anderes gesehen habe als Fluß und Felsen und Unterholz. Zum Schluß des Tages den Kontrast und die Ruhe der Hochebene zu spüren, ist genau das Richtige. Ganz in Ruhe beobachte ich die Kühen, die von alleine über die Straßen zum Stall laufen. Und finde schließlich meine Unterkunft -- ein tolles Holzhaus, in dem eine gute Gastgeberin mir ein Abendessen gemacht hat. Eigentlich wollte sie - verständlicherweise - für eine einzelne Person nicht ein Vier-Gänge-Menü vorbereiten, als sie aber gestern am Telefon hörte, daß ich zu Fuß unterwegs bin, hat sie doch zugesagt. Und so esse ich glücklich im letzten Licht des Tages ein Essen und weiß, das heute mal wieder alles gepaßt hat.
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