Mittwoch, 30.05.2012
Goumois (F) nach Saint Ursanne (CH)
7,5 h / 30 km
Die
Nacht war eiskalt, aber wer mit offener Balkontür schlafen will, nachts
frierend aufwacht und sich aber zu fein ist, aufzustehen um die Tür
zuzumachen, muß sich nicht wundern, wenn am nächsten Morgen die rotzige
Nase nach dem Taschentuch ruft.
Beim
Frühstück seufze ich schon wieder innerlich, weil mal wieder nix
Essbares zu sehen ist. Also wieder Zuteilungsfrühstück mit
vorportionierter Marmelade. Aber es kommt keiner. Und als die Dame von
gegenüber mit leerem Teller nach nebenan geht, ahne ich schon was Sache
ist. Und tatsächlich: Nebenan ist eines der größten Frühstücksbuffets
aufgebaut, die ich bisher in Frankreich gesehen habe. Vor lauter Schreck
esse ich nur ein bißchen Müsli und Baguette mit Blaubeermarmelade. Käse
und Wurst aufs Brot kann ich mir gar nicht mehr so richtig
vorstellen...
Beim
Start in den Tag ist es schon wieder dampfend heiß. Die feuchte Luft
unten im Flußtal verstärkt das Hitzegefühl nochmal und kein Wind regt
sich. Nach der ersten Stunde überhole ich etappenweise eine kleine
Gruppe von Freiwilligen, die sich um die Erhaltung der Wege kümmert. Der
Erste motorsägt, die Zweite hackt, der Dritte schneidet usw. Das machen
sie alles schön im Laufen und so kann ich innerhalb von nur ein paar
hundert Metern gleich 8x "Bonjour" trällern.
Nach
einer guten Stunde weitet sich das Flußtal zusehends und die ersten
Wiesen links und rechts des Doubs beginnen. Das ist einerseits schön,
weil durch das breitere Tal der Wind auch mal eine Chance hat, einen
Hauch Frischluft bis zum Fluß runter zu transportieren. Wenn aber gerade
kein Wind geht, ist es umso heißer. Der Fluß riecht leicht algig und
inzwischen ist mir bei dem Anblick des Wassers die Lust auf Baden
vollkommen vergangen. Die Fische finden es allerdings super - wann immer
man von einer Brücke oder von ein paar Steinen ins Wasser schaut, sieht
man Forellen. Fette, große, kleine und Forellenkinder. An manchen
flachen Stellen am Ufer drängeln sich so viele Jungfische um den besten
Platz an der Sonne, daß nur noch eine wabernde grauschwarze Masse zu
sehen ist.
Später
in der Schweiz merkt man langsam die Verschiebung der Sprachen. Die
Informationstafeln sind alle auf französisch/deutsch, auch die
zahlreichen Wanderer, die ich heute treffe, grüßen eher mal mit
"Gruezi". Und die gute Frau vom Tante-Emma-Laden in Soubrey (wo ich
immerhin eine kleine Wanderkarte bis zu meinem heutigen Tagesziel finde)
wechselt gleich ganz ins Hochdeutsche, als sie mein schlimmes
Französisch hört. Vielleicht hat mich auch verraten, daß ich bei ihr
noch eine Flasche Rivella gekauft habe (das trinken, glaube ich, nur
Touristen). Irgendwie lecker, aber wenn man beim Durstlöschen ständig an
die stolz auf der Flasche prangenden Worte "mit Milchserum" denken muß,
isses nun wieder nur noch halb so lecker. "Milchserum" hat für mich
einen ähnlich erfrischenden Klang wie "Wurstwasser".
Meine
Mittagspause halte ich standesgemäß auf einer schattigen Bank direkt
unten am Fluß ab. Zu Rivella gibt es die Wurst und das Baguette von
gestern und was halt noch so an Schokolade da ist. Danach beginnt der
Unwille. Bei jeder Gelegenheit drücke ich mich vor dem Weiterlaufen,
sitze hier mal zehn Minuten sinnlos auf der Bank herum, schaue mir da
mal schnell die alte Mühle an -- aber nicht aus Schlenderlaune heraus,
sondern weil ich irgendwie keine Lust habe, weiterzulaufen. Aber --
(naja, den Spruch kennt man ja schon...)
Ab
der nächsten Brücke ist es dann plötzlich ganz einfach mit
Vorwärtskommen, eben haben mich nämlich zwei Wanderer ganz unvermittelt
überholt, als ich vor einer Informationstafel rumbummelte und
interessante Fakten über die vier Jahreszeiten der Landwirtschaft
studierte. Von zwei Freizeitwanderern überholt - das kann ich mir
natürlich nicht bieten lassen und gebe Gas. Und eigentlich liefere ich
mir die nächsten vier Stunden mit diesem und ein paar anderen
Wandererpäarchen immer wieder die klassischen Taktikduelle "Wann macht
wer Pause?" oder "Wann überholt wer wen?", die man aus dem Radsport
kennt. Passt mir gut, lenkt ab, ich komme vorwärts.
Am
späten Nachmittag dann ein mittleres Formtief, ich merke daß ich schon
viel zu lange nix getrunken habe und werfe mich erstmal neben die
nächstbeste Kuhherde in den Schatten. Jetzt hab ich auch endlich mal
Zeit, darüber nachzudenken, wie sinnvoll die beiden Seilfähren sein
mögen, die ich auf den letzten Kilometern gesehen habe. Zwischen den
Flußufern ist ein Drahtseil gespannt, an dem ein Boot hängt. Schön und
gut und praktisch, aber wenn das Boot gerade auf der anderen Seite ist?
Und keiner darauf wartet, mir mal eben das Boot rüberzubringen? Dann
müssen die Seilfähren eben dazu herhalten, die Kinder zu beschäftigen,
während sich die Eltern auf dem Campingplatz nebenan einen ansaufen.
Auch fair, so hat jeder seinen Spaß.
Kurz
vor Saint Ursanne dann plötzlich wieder Zivilisationszeichen in Form
einer Eisenbahnstrecke, die plötzlich rechts oben am Hang auftaucht. Das
monströse Viadukt gibt es gleich hinterher. Und Saint Ursanne ist nicht
nur viel größer als erwartet, sondern auch viel schicker. Ein
mittelalterliches Städtchen mit Stadtmauern, uralter Steinbrücke, fetten
Forellen im Fluß, feisten Rentnern bei Kuchenauswahl auf der
Caféterrasse. Mein Hotel baut gerade um, hat aber irgendwie vergessen,
mir das mitzuteilen. Aber der Wirt ist ne coole Sau, trägt eine violette
Schnellfickerhose aus Ballonseide, wie sie seit den 80ern niemand mehr
zu tragen gewagt hat. Außerdem hat er einen Adapter für die
französischen Stromstecker, ein kühles Bier und ein kaltes Zimmer.
Als
ich am Abend auf der Suche nach Abendessen nochmal die Straßen
durchkämme, wird mir klar, daß dies das erste mittelalterliche Städtchen
seit vielen Wochen ist. Nach einer halben Stunde rumlaufen (durch 2x2
Straßen) habe ich auf einmal auch keinen Hunger mehr und zuckele zurück
in Richtung Bett.
Morgen
verlasse ich den Doubs, was irgendwie auch ok ist. Ich bin die letzten
Tage wahrlich durch genug Insektenschwärme gerudert, durch genug
Brennnesselmeere geschwommen und genug "geradeausamflußufer" entlang
gelaufen.
Noch 3 Tage, dann bin ich wieder in Deutschland. Brrr...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen