Samstag, 26.05.2012
Pontarlier (F) nach Gilley (F)
7h / 29 km
Beim Frühstück haut mir das Universum mal wieder eins auf den Latz. Da willste nett sein, mit anderen Leuten interagieren - sprich: dem älteren Herrn auch Orangensaft eingießen, weil ich sowieso gerade mit dem O-Saft am Buffet stehe und was passiert? Ich saue den ganzen Fußboden voll. Unter den bemühten Pokerfaces meiner niederbayerischen Tischnachbarn (das höre ich!) wische ich den Mist halt wieder auf. Der Tag fängt ja gut an. Wenigstens gibt es später beim kleinen Einkaufsumweg Supermarkt und Metzger, ich starte also mit randvollem Rucksack und freue mich jetzt schon auf die Mittagspause.
In den schlimmen Randbezirken von Pontarlier mache ich die seltsame Feststellung, daß in Frankreich die Formel gilt: "Je abgeranzter das Haus, desto schicker das Auto davor. Und umgekehrt". Vor den schlimmen Plattenbauwohnungen stehen die 7er-BMWs, die Alfas, die Volvos. All das, was Franzosen sonst nicht fahren. Vielleicht sind das aber auch einfach alles polnische Kollegen, vermute ich jedenfalls nach deutlich vernehmbaren polnischen Grill-Lauten aus dem Gartengrundstück nebenan.
Der Wald bruzzelt schön in der Mittagssonne, es riecht nach heißer Luft und brennendem Sand. Auch die Kühe haben sich schon in den Schatten geflüchtet und stehen unter den Bäumen rum, als würde es regnen. Auch gut, dann stören sie weniger das Gesamtbild. Überall nur langgestreckte sanfte Täler, Wald und viele Wiesen.
Für heute Abend habe ich immer noch kein Quartier, ich checke ein paar Läden, an denen ich tagsüber vorbeikomme, aber überall sagt mir schon die Masse an Autos auf dem Parkplatz das voraus, was ich gleich darauf bestätigt bekomme: "Nous sommes complets." Also weiter. Zwischendurch teile ich mir für die Mittagspause bei Pizzastücken und Mini-Quiches die Weide mit den lokalen Kühen, pfeffere wütend das Pizzastück mit Ziegenkäse (dessen Geschmack ich wirklich zum Kotzen finde) in den Wald und habe eine gute Stunde später einen derartigen körperlichen Tiefpunkt, daß ich mich doch sehr am Riemen reißen muß.
Weiter durch Wald und Wiesen, einzelne Bauernhöfe liegen am Weg, aber die Landschaft ist still und leer. Ich merke kaum, daß ich mich hier so auf 1.000 - 1.200m Höhe bewege, es wirkt vielmehr wie eine verschlafene bayerische Region irgendwo am Ende der Welt. Ich bin einverstanden damit.
Zwei Stunden später serviert mir die Straße eine tolle Aussicht aufs Doubs-Tal. Alles läge ganz still zu meinen Füßen, wenn die Ausflügler auf der Landstraße da unten nicht wären. Die Motorräder heulen im Minutentakt durch den Ort, den Motorensound kann ich noch hier oben - 3 Kilometer weiter - hören. Hinten am Talende sehe ich schon Gilley, mein Ziel für heute. Ziel deshalb, weil dort ein Bahnhof ist. Mit ein bißchen Recherche gestern Abend habe ich mir natürlich noch eine B-Variante ranorganisiert, für den Fall, daß ich heute "on the fly" nix zum Übernachten finde.
Denn genauso kommt es letztlich: Die vier Herbergen und privaten Zimmervermieter, die ich heute noch zufällig finde und frage, winken ab. Also zum Bahnhof. Da fährt heute noch genau ein Zug in Richtung Besancon, wo ich ein viel zu teueres Zimmer per Internet gebucht habe. An der Bahnlinie nach Besancon liegt auch Valdahon, da gibt es wohl auch ein Hotel (das aber erst um 1700 Uhr aufmacht und mir dann wohl auch erst am Telefon Auskunft darüber geben wird, ob es ein freies Zimmer gibt). Unten an der Brücke gucke ich auf die Uhr, stelle entsetzt fest, daß der letzte Zug in gut 90 Minuten geht, finde kurz darauf einen Wegweiser mit "Gilley - 6 km" und hacke sofort im Stechschritt weiter. Wenn ich auf etwas jetzt keine Lust habe, dann den letzten Zug zu verpassen. Das Wetter ist ganz gut, ich könnte eigentlich auch draußen schlafen, aber meine Sehnsucht nach Dusche/Essen/Bett ist einfach viel zu groß.
Die letzten Kilometer folge ich wieder einer ehemaligen Eisenbahntrasse. Ein wunderbarer Weg zum Eilmarschieren. Breit. Eben. Sanfte Kurven. Zwischendurch telefoniere ich kurz mit dem Hotel in Valdahon, das passenderweise noch was frei hat. Super, schnell im Laufen per Telefon das Zimmer in Besancon storniert - das spart mir 50 EUR und mindestens eine Stunde Zugfahrt.
Alles klappt, ich bin noch rechtzeitig am Bahnhof, in Valdahon gibt es sogar noch einen Supermarkt mit kalten Getränken für meine ausgedörrte Kehle und das Hotel ist ein Glücksgriff. Beim Abendessen im Hotelrestaurant zieht der Wind durch den Raum, alle Fenster stehen offen und die späte Sonne wirft Schatten auf die Tische. Alles fühlt sich sehr sommerlich an. Ich esse ein viel zu opulentes Abendessen und beende den Tag glücklich und mit vollem Magen wie ein gestrandeter Wal auf dem Bett, unfähig zu weiteren Bewegungen. Die kalte Abendluft zieht auch durch mein Fenster herein, trocknet meine frisch gewaschenen Klamotten und drüben im Ort feiert gerade weithin hörbar eine Hochzeitsgesellschaft in ein langes heißes Wochenende hinein.
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