Donnerstag, 17.05.2012
Lucinges nach
Habère-Poche
8 h / 25 km
Schnell los, meine doofe
Unterkunft hat vergessen, mir das Frühstück zu berechnen.
Normalerweise bin ich ja ein ehrliches Kerlchen, aber bei so Läden,
die nur aus Versehen Zimmer vermieten und dann auch noch überteuert
sind, kenn ich nix.
Der Rucksack zerrt schwer
an meinen Schultern und will eigentlich das Gegenteil von "schnell".
Auf dem letzten Stück Straße hoch nach La Grange de Boege rasen die
letzten Wochenendheimfahrer auf dem Weg in ihr Häuschen an mir
vorbei. Mit "beschaulicher Ruhe am Berg" ist es hier schon
lange vorbei. Überall Ferienhäuser, die versuchen, mit intensiver Heckenbepflanzung ein Stück Privatsphäre abzustecken. In der Ferne sieht man Genf und die sich davon
ernährenden französischen Kleinstädte und wenn man sich so im Tal
und an den Berghängen umschaut, bestätigt das Ausmaß der Bebauung
auf jeden Fall das grobe Rezept "in der Schweiz arbeiten, in
Frankreich wohnen".
Auf dem Parkplatz am
Start des Wanderwegs steht trotz Feiertag und schönem Wetter kein
einziges Auto. Eine halbe Stunde später ahne ich langsam warum: Der
Weg existiert zwar, aber nicht so richtig offiziell. Also suche ich
mir mit der Karte einen Weg rauf zum Col du Pralère, treffe
unterwegs im Wald die ersten Gemsen und schwitze mir schonmal zum
zweiten Frühstück die Seele aus dem Leib. 500 Höhenmeter weiter
mache ich erstmal Pause in der Sonne. Der Rucksack muß unbedingt
leichter werden, daran arbeite ich ganz verbissen, indem ich erstmal
die restlichen Tomaten wegmampfe. Das hilft doppelt.
Daß Feiertag und schönes
Wetter ist, merkt man oben schnell auch am Wanderer-Gegenverkehr. Die
halbe Region ist heute auf diesen Berg gekraxelt, um sich Aussicht
anzuschauen. Ich muß zugeben: Dieser Wanderweg mit dem schönen
Namen "Balcon du Léman" trägt seinen Namen zurecht.
Ständig muß ich Aussicht nach links (Genf, Lac Léman, Jura) und
nach rechts (Mont Blanc und zig andere schneebedeckte Gipfel)
anschauen. Geradezu widerlich...
Auf einem kleinen
grasbewachsenen Zwischengipfel mache ich erstmal eine kleine Stunde
Mittagsschlaf und werde von heulenden Kindern geweckt, die kurz
darauf von genervten Eltern auf den Gipfel getrieben werden. Nach
drei Minuten fröhlichen Umherlaufen ist ihnen schon wieder
langweilig und sie ziehen weiter... Ein Stück weiter gibt es ein Kloster etwas unterhalb am Hang, da führt eine Straße hin und
entsprechend bevölkert sind die Aussichtspunkte hier oben. Ich
drücke ein bißchen aufs Tempo, um das Volk hinter mir zu lassen und
versöhne mich erst an der kleinen Kapelle Notre Dame des Voirons wieder mit
der Welt, als ich eine junge Nonne erschrecke, die gerade aus der
Kapelle kommt. Eigentlich ein schönes Bild -- die Kapelle liegt ganz
alleine im Wald, nur ein stiller Weg führt dahin. Sie geht
besonnenen Schrittes wieder in Richtung Kloster, ich schaue ihr noch
ein bißchen nach und drehe nach rechts in Richtung Tal ab.
Auf dem Weg zum Col de
Saxel freue ich mich schon insgeheim auf den nächsten Anstieg
danach, denn hinter Saxel liegt Super Saxel, wie mir meine
Wanderkarte schonmal berichtet. Nochmal saftige 400 Höhenmeter
weiter habe ich ein mittleres Motivationstief und sitze erledigt auf
einer Wiese und muß mir vor allem schon wieder Aussicht anschauen. Amtlicher
Tag heute: Von der Entfernung her eigentlich pillepalle, aber die
kleinen Wege und die Höhenmeter kosten ordentlich Kraft. Im Kopf
überschlage ich, daß ich noch locker drei Stunden unterwegs sein
werde und mache mich tapfer seufzend wieder auf den Weg.
So anstrengend die
nächsten Stunden auch sind - es sind die schönsten Stunden
dieses Tages. Ich liebe dieses Gefühl, wenn der Nachmittag schon vorbei ist, die Sonne merklich sinkt, man schon eine gute Strecke
hinter sich hat, ganz alleine im Wald unterwegs ist, weil alle
anderen Wanderer schon beim Abendessen sitzen und man einerseits auch noch
ein saftiges Stück Weg vor sich hat, was aber auch kein Problem ist,
weil es noch lange genug hell ist und die Kraft schon noch ausreichen
wird. Mit genau diesem Gefühl absolviere ich die letzten Stunden des
Tages über matschige Höhenwege, auf denen sich zum Leidwesen meiner Stiefel schon Generationen
von Motocross- und Quadfahrern vergnügt haben.
Als ich in Habère-Poche
einlaufe, kann ich schon von weitem das gelbe
60er-Jahre-Ferienstraflager sehen, in dem ich heute Abend mein Zimmer
reserviert habe. Mir schlägt eine schräge Jugendherbergsatmosphäre
entgegen, die von einem nicht unhübschen Zimmer konterkariert wird.
Für ein Abendessen bin ich entweder zu müde oder zu geizig oder zu
vernünftig und futtere statt dessen weiter an den Vorräten aus
meinem Rucksack. Das hilft doppelt - spart Geld und Gewicht.
Ich bin gespannt auf
morgen... Da, wo ich eigentlich hinwollte, habe ich - wahrscheinlich
dank verlängertem Feiertagswochenende - kein Zimmer mehr bekommen.
Also geht's morgen bis Vacheresse, was gefühlt eher 1,5 Tagesetappen
sind. Mal sehen, wann bzw. wie oft ich mich morgen dafür verfluchen werde...
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