Montag, 7. Mai 2012

Iiih, da vorne sind Leute.

Sonntag, 06.05.2012
Gillonnay nach Charavines
7,5 h / 25 km

Uff. Die Vokabel "Kaiserwetter" hängt schon wieder in der Luft. Nachdem es in der Nacht wieder gut geregnet hat, gibt der Morgen dann doch wieder Anlaß zum befreiten Aufatmen. Viel Sonne und wenig Wolken.

Während wir frühstücken, liegt auf dem Tisch schon drohend das Gästebuch unserer Gastgeber Francine und Jean. Mit Goldschnitt. Ich blättere ein bißchen, um herauszufinden, wie hoch die bisherigen Gäste die Meßlatte gelegt haben. Nachdem ich eine totale Niete im Gästebuch schreiben oder lustige Zeichnungen zeichnen bin, ist das immer ein bißchen wie Klassenarbeit. Der letzte Eintrag von Gaby und Christine von gestern macht es uns einfach, zum Schluß lasse ich mich aber doch dazu hinreißen, noch Werbung zu machen und preise hausnummernbingo.de.

Heute: Jakobsweg. Monsieur L'Ombrage ist skeptisch. Ich ködere ihn mit der Aussicht auf schöne kleine Wege entlang der Hügelkette und drohe damit, daß wir andernfalls entweder den ganzen Tag unten im Tal auf Asphalt laufen oder gleich zum Frühstück sinnlos Höhenmeter schrubben müssten. Das sitzt. 

Die ersten zwei Stunden ziehen wir an den Hügeln entlang durch Dörfer, die so weit auseinandergezogen sind, daß sie weder aufhören noch anfangen. Wir staunen über schlimme Neubaugebiete, charmante halbverfallene Scheunen und ausladende Gutshäuser mit Aussicht. Mit Lust auf eine Bank zum Sitzen machen wir einen kleinen Umweg zur Kirche und halten in der Sonne ein zweites Frühstück ab. Und sofort kommen die ersten Pilger um die Ecke, wissen sofort, daß wir Deutsch sprechen und werfen die tiefsinnige Frage hin, ob wir "auf dem Weg" seien. Ich kontere sofort mit "Nein, wir kreuzen nur." Dann ist Ruhe. Warum das ältere Ehepaar uns allerdings sofort die Deutschsprachigkeit angesehen hat, läßt mir den restlichen Tag dann doch keine Ruhe mehr.

Das nächste Pilgerpäarchen kommt uns entgegen und meint es noch ernster und begrüßt uns sofort auf deutsch mit den liebevollen Worten "Das ist die falsche Richtung!". Monsieur L'Ombrage knurrt sofort ein "Nein, ist es nicht..." zurück und überrascht mit einem leicht zickigen Unterton.

Zum Mittagessen steuern wir in einem der zahllosen Käffer vom markierten Weg weg in die Dorfmitte auf der Suche nach einer schattigen Sitzgelegenheit unter Bäumen. In der Regel hält die örtliche Kirche da was bereit, schließlich müssen ja auch die alten Damen vor oder nach dem sonntäglichen Kirchgang noch etwas ruhen und sitzen. Aber außer einer alten Dorffabrik mit verfallener Fabrikantenvilla und einem pompösen Friedhof hat dieser Ort nix zu bieten. Also mampfen wir auf ein paar Steinstufen unser Baguette und die restlichen Leckereien vom Metzger. Zur Feier des Tages (und weil ich endgültig keine Lust mehr habe, das halbe Kilo mit rumzuschleppen) knacke ich das Dosenbier, das ich seit mehr als zwei Tagen im Rucksack habe. Monsieur L'Ombrage hilft mir wenigstens zaghaft damit.

Hinter dem Ort steiler Aufstieg über einen steinigen Hindernisparcours, der wenig später mit fetter Aussicht belohnt wird. Sogar ein paar örtliche Ausflügler haben sich oben auf dem - naja - Gipfel eingefunden, um das Panorama zu bewundern. Im Wald dahinter treffen wir die letzten Pilger für heute und weil sie einen Hund dabeihaben, der vollkommen glücklich seine eigenen Packtaschen trägt, zähle ich ihn auch mit. Damit bleibt der Pilgercounter für heute bei 15 stehen. Ich hätte mit weniger gerechnet, aber vermutlich sind das die ganzen Schweizer, die ab Genf gestartet sind.

Bei der Lümmelpause im Gras melde ich mich für ne Viertelstunde ab und mache die Augen zu. Geweckt werde ich von Monsieur L'Ombrages gezischter Warnung, daß schon wieder Publikumsverkehr kommt. Ein geföhnter älterer Herr, den wir sofort als Jaguar- oder Range Rover-fahrer vorverurteilen, sportelt fesch mit seinen Trekkingstöcken im Trainingsanzug den Berg runter. Wir spielen vor, kein Französisch zu verstehen, senden wenig subtile Signale des Desinteresses, was den Kollegen allerdings so gar nicht abschreckt. Statt dessen erzählt er seelenruhig von seiner Nichte, die in Berlin bei der Polizei ist und erst nach sehr vielen sehr stillen Gesprächspausen zieht er endlich weiter.

Abends im Hotel serviert die Wirtin zum mäßigen Abendessen glücklich die Nachricht, daß Frankreich endlich über Sarkozy hinweg ist. Fehlt nur noch, daß sie dabei die Arme zum Victory-Zeichen hochreißt. Wir planen mal wieder - wie eigentlich schon die ganzen letzten Tage - die Rückreise von Monsieur L'Ombrage, die morgen Abend ansteht.





Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen