Mittwoch, 9. Mai 2012

Räuberwege im Regen.


Dienstag, 08.05.2012
Le-Pont-de-Beauvoisin zum Lac d'Aiguebelette
7 h / 24 km

Der erste Blick aus dem Fenster schürt Wut auf den gestern abgereisten Monsieur L'Ombrage. Kommt der Typ doch tatsächlich ohne Regenklamotten hier an, ich feixe innerlich schon bei dem Gedanken an einen schlechtgelaunten (weil triefnassen) Wanderkollegen, für den ich sicherlich noch ein paar kluge Sprüche zu dem Thema parat habe. Und dann? Dann ist fünf Tage schönstes Wetter. Und dann? Dann reist er - immer noch ohne Regenklamotten - ab und direkt am nächsten Morgen hängt der Himmel voll mit Regenwolken.

Ich werte das und die Tatsache, daß mich die Hotelkatze beim Frühstück die ganze Zeit pausenlos vom Stuhl gegenüber anstarrt, als himmlische Prüfung und mache mich fertig für die Straße. Auf jeden Fall muß ich einkaufen, das ist das Mindeste an Motivationsschub, das mir heute zusteht.

Beim ersten Bäcker nix im Angebot außer Brot. Den ersten Metzger lasse ich kühn links liegen, weil die Leute bis auf die Straße raus anstehen. Am Kiosk kriege ich immerhin schonmal die Wanderkarte, die mir für morgen noch fehlt. Der Kleinsupermarkt: geschlossen. Wieder so eine komatöse Kleinstadt. Je länger ich durch den Ort laufe, umso mehr wundere ich mich darüber, daß alle Läden zu haben. Nur die üblichen Sonntag-Vormittag-Geschäfte haben offen. An einem Dienstag? Erst als ich zufällig das Straßenschild auf dem "Platz des 8. Mai 1945" mit dem heutigen Datum vergleiche, dämmert mir, daß heute vielleicht in Frankreich einfach mal Feiertag ist. Grrrr...

Wenigstens hab ich ein Baguette ergattert, daß ich eine gute Stunde weiter als zweites Frühstück am Straßenrand mümmele. Irgendwie ist es sehr grün hier, ich muß ständig an die herrliche Spirituose "Chartreuse" und ihre lieblich-grüne Farbe denken, denn hier kommt das leckere Zeug her. Später am Bach finde ich dann auch zum ersten Mal auf dieser Tour Bärlauch, der dem trockenen Baguette gut zu Gesicht gestanden hätte.

Ich bummele ein wenig unmotiviert durch die Landschaft, überlege auf einer kleinen Brücke ernsthaft, ob ich die amtliche Hügelkette samt Steilhang wirklich besteigen soll oder ob ich vielleicht doch faul in der Ebene außenherum gehe. In diesem Moment fängt es an zu regnen... Dieser Moment sollte mein "Ding Dong-Moment" für heute werden: Jetzt isses aber genug mit Rumbummeln. Also ab auf den Berg! Marsch! Und plötzlich wird alles schick. Es ist warm genug, um sich Jacke und Pulli zu sparen und nur im Hemd zu marschieren und plötzlich merkt man den Regen fast gar nicht mehr. Da, wo ich mich schon mit einem Anstieg auf der Landstraße abgefunden habe, zweigt plötzlich ein süßer kleiner Pfad den Berg hinauf ab. Ich kämpfe mich glücklich durch die grüne Hölle des dicht bewachsenen Berges und werde bald darauf nicht nur mit amtlich Aussicht belohnt, sondern auch mit einem Wegweiser zu einer Höhle.

Sofort kommt der Abenteuerbub in mir hoch und die nächsten zwei Stunden sind einfach nur spitze. Von der Weggabelung führt der Weg quer auf einem kleinen Felsvorsprung mitten durch die Wand, links der kahle Fels und rechts gute 150 Meter fast senkrechter Abhang. Von unten hätte ich nie geglaubt, daß hier ein Weg langführt. Mal frei und ausgesetzt am Abgrund entlang, dann wieder geschützt durch Hallen aus Fels, mit trockenen Stellen unter riesigen Felsüberhängen, die groß genug wären, um einer ganzen Schulklasse Platz zu bieten. Nach einer guten Dreiviertelstunde lande ich schließlich beim Höhleneingang samt Infotafel, die mir verrät, daß hier in der Grotte de Mandrin im 18. Jahrhundert hier eine Räuberbande gelebt haben soll (wie hätte es auch anders sein sollen) und daß diese Höhle sich mehrere hundert Meter weit in den Berg erstreckt. Ich ärgere mich, daß ich noch nicht mal eine Taschenlampe dabei habe und belasse es mit ein paar Fotos am Eingang.





Diesmal habe ich ausnahmsweise überhaupt kein Problem damit, den gleichen Weg wie vorhin zurück zu gehen. Nach insgesamt zwei Stunden lande ich wieder bei der Abzweigung von vorhin und bin glücklich über diesen tollen Ausflug. Daß es immer noch weiter geregnet hat, habe ich bei all dem Kraxeln unter Felsüberhängen und in der Höhle gar nicht bemerkt.

Die restlichen Stunden geht es parallel zur Autobahn über kleine Hügelketten, ich blende den jaulenden Dauerlärm aus guter alter Kindheitserinnerung einfach aus. Hinter dem See sieht man schon deutlich den hohen Bergrücken den Mont du Chat, den ich mir für morgen vorgenommen habe. 1.100 Meter Aufsteig, dafür aber den ganzen Tag auf kleinen Bergpfaden unterwegs. Hoffentlich spielt das Wetter mit...

Das Hotel liegt direkt am See und ist hoffnungslos überteuert. Nachdem ich mich bei einem Zimmerpreis von 70 EUR ohne Frühstück von sich ablösenden Tapeten, einer Badezimmerausstattung aus den 60ern und am seidenen Faden hängenden Wandlampen genug habe frustrieren lassen, gehe ich ins Restaurant und bin nach einem guten Abendessen fast wieder versöhnt. Als ich dann aber später am Abend feststelle, daß ich dank extrem dünner Wände sogar meiner Zimmernachbarin beim Pinkeln zuhören kann, hake ich den Laden endgültig ab.

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