Dienstag, 08.05.2012
Le-Pont-de-Beauvoisin zum Lac
d'Aiguebelette
7 h / 24 km
Der erste Blick aus dem
Fenster schürt Wut auf den gestern abgereisten Monsieur L'Ombrage.
Kommt der Typ doch tatsächlich ohne Regenklamotten hier an, ich
feixe innerlich schon bei dem Gedanken an einen schlechtgelaunten
(weil triefnassen) Wanderkollegen, für den ich sicherlich noch ein
paar kluge Sprüche zu dem Thema parat habe. Und dann? Dann ist fünf
Tage schönstes Wetter. Und dann? Dann reist er - immer noch ohne
Regenklamotten - ab und direkt am nächsten Morgen hängt der Himmel
voll mit Regenwolken.
Ich werte das und die
Tatsache, daß mich die Hotelkatze beim Frühstück die ganze Zeit
pausenlos vom Stuhl gegenüber anstarrt, als himmlische Prüfung und
mache mich fertig für die Straße. Auf jeden Fall muß ich
einkaufen, das ist das Mindeste an Motivationsschub, das mir heute
zusteht.
Beim ersten Bäcker nix
im Angebot außer Brot. Den ersten Metzger lasse ich kühn links
liegen, weil die Leute bis auf die Straße raus anstehen. Am Kiosk
kriege ich immerhin schonmal die Wanderkarte, die mir für morgen
noch fehlt. Der Kleinsupermarkt: geschlossen. Wieder so eine komatöse
Kleinstadt. Je länger ich durch den Ort laufe, umso mehr wundere ich
mich darüber, daß alle Läden zu haben. Nur die üblichen
Sonntag-Vormittag-Geschäfte haben offen. An einem Dienstag? Erst als
ich zufällig das Straßenschild auf dem "Platz des 8. Mai 1945"
mit dem heutigen Datum vergleiche, dämmert mir, daß heute
vielleicht in Frankreich einfach mal Feiertag ist. Grrrr...
Wenigstens hab ich ein
Baguette ergattert, daß ich eine gute Stunde weiter als zweites
Frühstück am Straßenrand mümmele. Irgendwie ist es sehr grün
hier, ich muß ständig an die herrliche Spirituose "Chartreuse"
und ihre lieblich-grüne Farbe denken, denn hier kommt das leckere
Zeug her. Später am Bach finde ich dann auch zum ersten Mal auf
dieser Tour Bärlauch, der dem trockenen Baguette gut zu Gesicht
gestanden hätte.
Ich bummele ein wenig
unmotiviert durch die Landschaft, überlege auf einer kleinen Brücke
ernsthaft, ob ich die amtliche Hügelkette samt Steilhang wirklich
besteigen soll oder ob ich vielleicht doch faul in der Ebene
außenherum gehe. In diesem Moment fängt es an zu regnen... Dieser
Moment sollte mein "Ding Dong-Moment" für heute werden:
Jetzt isses aber genug mit Rumbummeln. Also ab auf den Berg! Marsch!
Und plötzlich wird alles schick. Es ist warm genug, um sich Jacke
und Pulli zu sparen und nur im Hemd zu marschieren und plötzlich
merkt man den Regen fast gar nicht mehr. Da, wo ich mich schon mit
einem Anstieg auf der Landstraße abgefunden habe, zweigt plötzlich
ein süßer kleiner Pfad den Berg hinauf ab. Ich kämpfe mich
glücklich durch die grüne Hölle des dicht bewachsenen Berges und
werde bald darauf nicht nur mit amtlich Aussicht belohnt, sondern
auch mit einem Wegweiser zu einer Höhle.
Sofort kommt der
Abenteuerbub in mir hoch und die nächsten zwei Stunden sind einfach
nur spitze. Von der Weggabelung führt der Weg quer auf einem kleinen
Felsvorsprung mitten durch die Wand, links der kahle Fels und rechts
gute 150 Meter fast senkrechter Abhang. Von unten hätte ich nie
geglaubt, daß hier ein Weg langführt. Mal frei und ausgesetzt am
Abgrund entlang, dann wieder geschützt durch Hallen aus Fels, mit
trockenen Stellen unter riesigen Felsüberhängen, die groß genug
wären, um einer ganzen Schulklasse Platz zu bieten. Nach einer guten
Dreiviertelstunde lande ich schließlich beim Höhleneingang samt
Infotafel, die mir verrät, daß hier in der Grotte de Mandrin im 18.
Jahrhundert hier eine Räuberbande gelebt haben soll (wie hätte es
auch anders sein sollen) und daß diese Höhle sich mehrere hundert
Meter weit in den Berg erstreckt. Ich ärgere mich, daß ich noch
nicht mal eine Taschenlampe dabei habe und belasse es mit ein paar
Fotos am Eingang.
Diesmal habe ich
ausnahmsweise überhaupt kein Problem damit, den gleichen Weg wie
vorhin zurück zu gehen. Nach insgesamt zwei Stunden lande ich wieder
bei der Abzweigung von vorhin und bin glücklich über diesen tollen
Ausflug. Daß es immer noch weiter geregnet hat, habe ich bei all dem
Kraxeln unter Felsüberhängen und in der Höhle gar nicht bemerkt.
Die restlichen Stunden
geht es parallel zur Autobahn über kleine Hügelketten, ich blende
den jaulenden Dauerlärm aus guter alter Kindheitserinnerung einfach
aus. Hinter dem See sieht man schon deutlich den hohen Bergrücken
den Mont du Chat, den ich mir für morgen vorgenommen habe. 1.100
Meter Aufsteig, dafür aber den ganzen Tag auf kleinen Bergpfaden
unterwegs. Hoffentlich spielt das Wetter mit...
Das Hotel liegt direkt am
See und ist hoffnungslos überteuert. Nachdem ich mich bei einem
Zimmerpreis von 70 EUR ohne Frühstück von sich ablösenden Tapeten,
einer Badezimmerausstattung aus den 60ern und am seidenen Faden
hängenden Wandlampen genug habe frustrieren lassen, gehe ich ins
Restaurant und bin nach einem guten Abendessen fast wieder versöhnt.
Als ich dann aber später am Abend feststelle, daß ich dank extrem
dünner Wände sogar meiner Zimmernachbarin beim Pinkeln zuhören
kann, hake ich den Laden endgültig ab.
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