Montag, 21.05.2012
Vacheresse nach Évian-les-Bains
5 h / 20 km
Wo gestern noch Berge und Wälder zu sehen waren, sind heute nur Wolken. Passend zum Aufbruch ist die Luft schwanger von Feuchtigkeit, kalt und klamm. Nach der Tour gestern mit leichtem Rucksack sind die ersten Kilometer mit vollem Gepäck auf dem Rücken ein schöner Brocken. Passend dazu verlaufe ich mich gleich in der ersten halben Stunde und lande auf irgendeinem Weg, den wohl sonst nur Jäger benutzen. Am Ende führt er einigermaßen in die richtige Richtung, daher kein Grund zur Panik.
Ich hangele mich durch dasselbe Tal, durch das ich vor 3 Tagen gekommen bin, zurück nach Chevenoz. Dahinter sind es nur noch ein paar Hügelchen, und schon kommt wieder der Lac Léman in Sicht. Während mich das eigentlich total kalt läßt, weil ich den ja schon seit Tagen immer wieder gesehen habe, fallen mir plötzlich die Parallelen zu meiner Deutschlandtour ein und plötzlich marschiert der Kopf in eine andere Richtung. Seit 9 oder 10 Wochen bin ich unterwegs, ungefähr 1.600 km, heute Abend werde ich am Seeufer ankommen. Die Erinnerung an meine Ankunft am Bodensee damals steigt wieder hoch, an die Stille damals in mir. Einerseits fühlt es sich heute ähnlich an, andererseits erwartet mich morgen ein neues Land, ein neuer Weg.
Ich trudele etwas ziellos auf kleinen Wegen die Hänge zum See hinunter, ich habe Zeit und sträube mich innerlich, anzukommen. Vom See ziehen dicke graue Wolken herauf, am anderen Ufer liegt Lausanne in der hellen Sonne.
Kein Bäcker, kein Laden, nichts. Ich hätte gerne nochmal ein ruhiges Picknick gemacht, bevor ich unten ankomme. Aber Pustekuchen. Évian serviert mir statt dessen Golfplatz, Tennisplätze, Parks und ein Hotel nach dem anderen. Vorbei an riesigen alterwürdigen Badehotels gehe ich entlang der Standseilbahn bergab, lande neben der Source Cachat und schmunzele über einen alten Mann, der sich gerade an der Quelle einen 6er-Träger Quellwasser abgefüllt hat.
Halbherzig schaue ich mir die ersten historischen Häuser von Évian an, aber mich erfüllt eine seltsame innere Unruhe. Und Unwillen. In der Fußgängerzone sehe ich - mein Gott! - die erste Eisdiele überhaupt, seit ich in Frankreich bin. Und lasse sie links liegen. Im Hotel stehe ich unter der Dusche, still. Ich liege eine Stunde auf dem Bett, still. Es ist ein komischer Nachmittag. Ich hätte so viel Zeit, mir nochmal den Ort anzuschauen (der zur Abwechslung endlich mal was hermacht), aber irgendwas lähmt mich.
Erst am späten Nachmittag ziehe ich nochmal los, hole mir beim Bäcker ein Stück Pizza und gehe runter zum Ufer. Passenderweise beginnt es sofort zu regnen und während ich an der Uferpromenande noch eine trockene Bank unter einem Baum finde, erkenne ich die Hauptstraße vor dem Casino wieder, auf der ich schonmal mit dem Auto langgefahren bin. Auf dem Rückweg zum Hotel durchforste ich noch erfolglos einige Läden nach Wanderkarten (für drei Tage habe ich noch Karten, danach bin ich blank), und entere dann endlich die Eisdiele. Daß die Kugel 1,50 EUR kostet, ist mir herzlich wurscht, und während ich im Augenwinkel das stolze Schild lese, daß alle Eissorten hausgemacht sind und nur Quellwasser aus der Source Cachat verwendet wird, erkenne ich plötzlich den alten Mann wieder, der im Hintergrund werkelt...
In der Fußgängerzone schaue ich mir noch ein bißchen die enttäuschten Touristen an, die mit suchenden Augen an den geschlossenen Geschäften vorbeiziehen (Montag...), bis der Regen auch die letzten Tapferen vertreibt.
Zurück im Hotel schaue ich ein bißchen aus dem Fenster und auch eines der schönsten Zimmer, das ich auf dieser Tour bisher hatte, tröstet mich nicht darüber weg, daß irgendwas mit dem Tag nicht in Ordnung ist. Irgendwas mit mir nicht in Ordnung ist. Ich bekomme es nicht sortiert -- vielleicht ist es der bevorstehende Abschied von Frankreich. Oder das Gefühl, an einem gefühlten Ende angekommen zu sein, und es geht doch weiter. Oder die Unsicherheit, wie es in den nächsten Tagen weitergeht. Oder was weiß ich.
Ich hoffe, irgendwas wird sich tun, dass Du Dich wieder richtig fuehlst!
AntwortenLöschenUnd, schwimmst Du nun über den See? - Bin neugierig, was jetzt kommt. Auch mir ist irgendwie mulmig, dass Du jetzt in die teure und biedere Schweiz gehst... Für mich als Betrachter paßt der Wanderer irgendwie nicht nach Evian, mit Rucksack und so vielen Märschen und Mit-sich-Sein auf dem Buckel. Machet jut!
He Kilian, Kopf hoch und weiter! Schau mal zurück was Du schon geleistet hast! Pfeif auf Frankreich, die haben ja nicht mal Einkaufsläden! Die Schweiz ist sicher auch schön und dazu noch klein. Bei Deinem Tempo biste da doch eins, zwei, fix durch!
AntwortenLöschenAuf ! Noch den läppischen Jura und dann das bisschen Schwarzwald und schon wartet da ein first class Ruhetagshotel mit garantiertem "Hier-war-ich-schon-mal"-Effekt ! ;-)
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