Sonntag, 10.06.2012
Schönwald nach Kirnbach
7,5 h / 30 km
Seit langem bin ich mal wieder der einzige Frühstücksgast... Ich verquatsche mich mit dem Wirt, über meine Reise und über Themen Verantwortung und Entscheidungen. Ein guter Morgen, ein gute Begegnung, auch wenn (oder auch weil) mein Kopf den ganzen Tag über immer wieder zurück zu Einzelheiten aus dem Gespräch springt und halb gesponnene Fäden wieder aufnimmt.
Auf dem Feld hinter der nächsten Hügelkette wartet oben am Wegweiser schon ein Orientierung suchendes Päarchen, dem ich gerne meine Karte leihe, während ich sowieso nochmal den halben Rucksack umpacken muß. Die Dame fragt: "Ham Sie's noch weit?" und daraus entspinnt sich eine Verhörsituation, die ungefähr eine Viertelstunde dauert und während sie ihren entsetzten Gesichtsausdruck ob meiner Erzählungen über diese Reise nicht los wird. Ihr Mann will eher weiter und hört sich das alles schon mit halb zum Gehen gewandter Haltung an. Irgendwann kann ich mich doch losreißen und freue mich grinsend, den beiden was zum Denken mitgegeben zu haben. Und darüber, endlich wieder meine Ruhe zu haben.
In Schonach, dem nächsten größeren Ort, wird mir wieder klar, daß der Schwarzwald einfach nicht Idylle pur ist. In allem, was größer ist als ein kleines Dorf, haben irgendwann die 60er Jahre oder die darauffolgenden Epochen Halt gemacht und ihre Spuren hinterlassen. Kantige Wohnblöcke, terrassenförmige Ferienwohnanlagen oder einfach nur das schlimme Einfamilienhaus mit der Eternitbeplanung auf der Wetterseite. Willkommen im Westen. Wirklich schön sind eigentlich nur die alten Bauernhäuser oder ganz kleine Dörfer, wo sich in den letzten 60 Jahren noch niemand getraut hat, einen Neubau hinzusetzen. (Aber was soll's -- ich mag ja mürbe Orte irgendwie. Vielleicht macht die morbide Ausstrahlung dieser Reste neuzeitlich-moderner Bauwut diese Ort auch erst erträglich und verhindert., daß ich ständig Fotos machen müßte.)
Schnell wieder in den Wald, wieder auf Höhenwegen über tief eingeschnittenen Tälern und mit Aussicht auf viel Wald und wenig Anderes.
Im Gewerbegebiet von Hornberg stehe ich dann doch fassungslos vor einem mehrstöckigen verspigelten Glaskubus, der ein überlebensgroß monströses Waschbecken beherbergt. (Das ich vor lauter Aufregung nicht fotografiert habe; wer das ausmerzen
möchte, kann mal die Google-Bildersuche nach dem Duravit Design Center
bemühen. Das Ding ist keine Fotomontage...). Willkommen in der Schwarzwälder Badezimmerregion. Hier Duravit, ein paar Kilometer weiter hansgrohe. Das Waschbecken verzeihe ich Duravit nur, weil sie gleich daneben eine kleine Privatbrücke über die Gutach haben, die wunderbar hoffnungstragend mit Efeu bewachsen ist. Welcher Arbeiter geht nicht gerne morgens vom Werkstor über eine mit Efeu bewachsene Brücke an seinen Arbeitsplatz, seufzt dabei glücklich über sein erfülltes Leben im Schwarzwald und die tolle Lebensqualität und geht nach getan'em Tagwerk wieder zurück nach Hause. Hach...
Next stop: Hornberg. Hornberg - Hornberg - Hornberg... Da war doch was? Die Kanone auf dem Marktplatz bringt die Erinnerung: Das Hornberger Schießen. Aber was war da nochmal...? Während ich schon suchend den Hals nach einer Infotafel verdrehe, entdecke ich die Eisdiele und pfeife sofort auf das Hornberger Schießen. Die Entscheidung zwischen Pistazie, Schoko und Zitrone geht mir da viel näher ans Herz. Mit der Waffel in der Hand zuckele ich wieder raus aus dem Städtchen, an dem unscheinbaren Hang da hinten geht's jetzt saftige 500 Höhenmeter rauf. Das habe ich wohl bei der groben Routenplanung heute früh einfach mal grob übersehen.
Und so keuche ich durch dampfend heißen Wald Meter um Meter nach oben, werde wenigstens mit tollen Aussichten hier und da bei Laune gehalten und oben ist alles wieder wie immer, ein Höhenweg, mit Sicht auf nichts als Wald und tiefe Täler. Wieder entrückt. Wieder ewig weit weg von all den Gewerbegebieten und den Talgründen mit den gebündelten Verkehrs- und Wohnflächen und ihrem Krach. Ich drehe ab in das letzte Tal für heute, irgendwo da ganz unten muß mein Gasthof liegen.
Kirnbach ist ein Schatz, die Feuerwehr bereitet sich auf ihr Feuerwehrfest heute Abend vor, mein Gasthof liegt ein paar hundert Meter weiter unten am Bach. Auf der Bank vor dem Haus sitzt die wohl 90-jährige Seniorchefin mit einer Decke auf dem Schoß und begrüßt alle Gäste. Später, als ich zum Abendessen runterkomme, sitzt sie im Gastraum am Familientisch und man spürt trotz des hohen Alters und der Tatsache, daß sie offensichtlich nicht mehr alleine klar kommt, daß das hier ihr Element ist. Ihr Leben. Und ihre Vergangenheit. So schließt sich der Kreis.
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