Montag, 18. Juni 2012

Heißluftofen.

Samstag, 16.06.2012
Lienzingen nach Lauffen a.N.
9 h / 38 km

Uff... Das Frühstücksradio hat die 30° schon angedroht und draußen steht die Luft in den Gassen der Altstadt und wartet dampfend nur darauf, daß ich rauskomme. Schon am Vormittag ist klar: das wird ein sehr warmer Tag werden... 

Ich verlasse Lienzingen in die vollkommen falsche Richtung, nur um meinem Lieblingsgrundsatz "Aus der einen Richgung das Hotel betreten, zur anderen Richtung wieder weiterlaufen" zu folgen. Eine halbe Stunde später könnte ich mich dafür ohrfeigen. Denn so habe ich natürlich vergessen, mir noch was Nettes beim Dorfsupermarkt einzukaufen, außerdem kostet mich meine Prinzipienreiterei auch gleich die ersten zwei Kilometer unnötigen Umweg. Und das, wo die Strecke heute wirklich lang genug werden wird.

Auf dem Feld knallt die Sonne richtig rein und das bißchen Wind bringt auch nur handwarme Waschküchenluft voran. Immerhin duftet mich von den Feldrändern die Kamille an und macht schön einen auf Erkältungsbad. Erst als ich hinter den Weinbergen in den Wald eintauche, wird es etwas kühler. Ein kleiner Aufstieg und ich habe die nächsten zwei Stunden Weg auf einem schmalen Grat vor mir -- links unten liegt das nächste Tal, rechts unten die Weinberge und schöne Aussicht. Und über all das streicht -- aaah -- ein schöner beständiger kühler Waldwind von rechts nach links.

Das nächste Dorf (Horrheim) wird auf meiner Wanderkarte mit dem touristischen Warnhinweis "Fachwerkhäuser" markiert, auch auf Informationstafeln am Ortseingang wird schwer mit Geschichte geprahlt. Aber alles, was ich finde, ist ein schickes Stadttor und ein Rest Stadtmauer. In der großen Schleife, die ich durch die Altstadt laufe, finde ich immerhin zwei Fachwerkhäuser, aber nix, was mich im Geringsten vom Hocker hauen würde. Viel schlimmer: Auch kein Bäcker, Gasthof, Supermarkt. Alles zu. Nur die Tankstelle am Ortsausgang verkauft mir ein paar Getränke, vor lauter Glück zuckele ich mit den Flaschen in der Hand (weil ich zu faul war, den Rucksack abzusetzen, um die Flaschen zu verstauen) die Landstraße lang (weil ich zu faul war, auf die Karte zu gucken und dabei natürlich prompt den Weg verpasst habe).  Eine halbe Stunde weiter gibt es einen schattigen Platz, wo ich lange sitze, viel trinke und erstmal versuche, die vielen Stunden in der Sonne zu vergessen.

Hinter Freudental ist die Hölle los. Das ganze Dorf tummelt sich auf einer mehrere Hektar großen Kirschplantage, von der anscheinend fast jeder im Dorf eine kleine Parzelle besitzt. In den geöffneten Autokofferräumen sehe ich schon tonnenweise geerntete Kirschen und man spürt die Hochstimmung der Dorfbewohner auch im Vorbeilaufen. Dahinter kommen wieder Weinberge, dann Obstplantagen mit Äpfeln, Himbeeren, Erdbeeren, Stachelbeeren, Johannisbeeren und überhaupt so ziemlich allem, was am Ende in der Frischeabteilung von Kaiser's landet. Der Boden und die Luft glühen, in den Dörfern haben sich die Menschen schon lange unter Sonnensegel und Markise zurückgezogen. Auch ich nehme dankbar jede schattige Bank an, um ein bißchen rumzusitzen und in der Hitze zu garen.

Bönnigheim serviert Schloß, verkehrsberuhigte Altstadt und Eisdiele. Vier Kugeln passen doch sicherlich in die Waffel, auch wenn die Eisverkäuferin sorgenvoll guckt. Und mit einer schönen Belohnung in der Pfote tapse ich durch die Kopfsteinfplastergassen, löffele nebenher mein Eis und gucke mich Häuser an. HIER hat es schöne Fachwerkhäuser, auch wenn die nicht weiter beworben werden... Im Café neben dem Schloß sitzen die Bedienungen gelangweilt an den Tischen und warten auf Kundschaft und auf den schmalen Gassen ist sowieso niemand unterwegs. Die kleine Stadt wartet still auf den kühlen Abend.

Auf zum Endspurt. Im letzten Waldstück vor Lauffen verliere ich die Wegmarkierung und laufe irgendwie Murks. Also zurück, nochmal suchen. Ich finde den blauen Punkt an einem Baum wieder, aber so richtig vertrauensvoll wirkt das alles nicht. 15 Minuten später stehe ich in einer offensichtlichen Sackgasse und entscheide mich, mir lieber selber quer durch den Wald einen Weg runter ins Tald zu suchen. Die Mücken freut's, denn die haben mich sofort im Visier. Als ich mich irgendwann mal aus Versehen umdrehe und die Heerschaaren an Blutsaugern hinter mir schwirren sehe, kriege ich sofort Gänsehaut, was die Biester wahrscheinlich noch mehr anmacht. Schnell weiter, nur nicht stehenbleiben, keine Gelegenheit zum Stechen geben. Quer durchs Unterholz, die Äste peitschen mich, irgendwann bin ich unten und stehe auf einer stillgelegten Eisenbahntrasse, die schon über und über zugewuchert ist. Gleich dahinter beginnt das Feld, aber: Links und vorne ist der Fluß, da geht's nicht weiter. Rechts der Zaun von der Kläranlage, da geht's auch nicht weiter. Also zurück in den Wald zu den Mücken und zwar dalli. Auf den Gleisen schlage ich mich weiter durchs Unterholz, verfluche mich laut -- warum bin ich nicht einfach auf der Straße gelaufen? Und jedesmal, wenn ich nur ein paar Sekunden stehenbleibe, schließen die Mücken wieder auf. Ein paar summen neben meinem Ohr, um mich abzulenken, während sich der Rest über meine Beine und Arme hermacht. Irgendwann reicht's mir bis oben und ich renne in voller Fahrt durch ein Brennnesselfeld, um endlich aus dem Unterholz rauszukommen. Hinten am Feldrand findet sich endlich ein Weg und ich lasse es mir nicht nehmen, anzuhalten und in Ruhe alle Mücken zu erschlagen, die mir bis hierhin gefolgt sind.

Ziemlich zerstochen und vollkommen erledigt ziehe ich durch die Straßen von Lauffen und will einfach nur noch ankommen und duschen. Mein Gästehaus versteckt sich in der Altstadt und will nicht so richtig gefunden werden. Nacheinander stehe ich erst in der Garage, dann im aufgegebenen Restaurant und dann im richtigen Treppenaufgang. "Rezeption: Zimmer 118". In Zimmer 116 hat sich der örtliche Lohnsteuerhilfeverein eingemietet, in der 118 finde ich ein aus Zimmerbeständen zusammenmöbliertes Büro und eine ältere Dame, die mir ein schäbiges Zimmer vermietet, aber das ist egal. Es gibt eine Dusche und ein Bett zum Schlafen. Ich finde unten am Neckarufer einen Biergarten, bestelle gleichzeitig ein großes Spezi und ein großes Radler, esse glücklich mein Abendessen, weine innerlich über die wunden Stellen an den Füßen und atme tief durch. Fetter Tag. Aber geschafft.

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