Samstag, 23.06.2012
Steinbach / Jagst nach Dinkelsbühl
6,5 h / 24 km
Brrr,
nur schnell los. Das Frühstück in unserem Horrorgasthof war auch nicht
erbauender als die Erlebnisse gestern Abend. Und als Garnitur: Fliegen.
Fliegen über Fliegen. Wir stecken zum Abschied nicht nur den aktuellen
Hausprospekt ein, sondern auch noch den ausliegenden Hausprospekt vom
Vorbesitzer und können ab sofort vergleichen, wie sich auf den Fotos das
Haus verändert hat. Uff...
Schnell
aufs Feld, wo der Standard des Tages seinen Anfang nimmt: Asphalt. Das
obige Bild ist also vollkommen irreführend, denn es entstand auf den
einzigen 300 Metern des Tages, die nicht auf geteerten Wegen verliefen.
Weiß der Geier, warum, aber in dieser Ecke sind alle Wege oberhalb von
einem Wildpfad durch den Wald asphaltiert. Hinter dem nächsten Dorf
versuche ich es über Wege, die auf der Karte nach Rumpelwegen aussehen,
aber vergeblich: Asphalt.
Nach
knapp drei Stunden haben wir immer noch keine Pause gemacht, planen
schon rauschende Mittagsrasten in Dorfgasthöfen bei Kaffee und Kuchen,
träumen von schattigen Bänken am Waldrand und als ich kurz vor der
nächsten Etappe auf freiem Feld unter praller Sonne gerade zickig
anmerke "Naja, hier hätte auch gut ne Bank stehen können...", steht da
vorne links eine Bank. Sogar extra mit Wachstischdecke im Marmordesign
bezogen. Für uns!
Der
Plan ist: Nur kurz sitzen und verschnaufen, richtig Mittag machen wir
in der Hammermühle. Gasthof!!! Die Realität ist dann aber: Gasthof
Hammermühle verkauft, neuer Besitzer macht keine Bewirtung mehr. Er hat
aber gerade den Grill mit Buchenholz angeschürt, was ich noch eine halbe
Stunde später auf meiner Haut riechen kann. Und bei diesem leichten
Räuchergeruch tropft der hohle Zahn dann erst richtig...
Der
optische Hunger wird in Fichtenau mit dem häßlichsten Haus seit Tagen
gestillt. Eigentlich hätte ich erwartet, daß auch eine Bingo-Hausnummer
dranhängt, aber nach den ganzen farbigen Kieselsteinen für den Garten
hat sicherlich das Geld nicht mehr gereicht. Wir sind der festen
Überzeugung: So wohnen schlimme Menschen! Das hat mit "pflegeleicht" nix
mehr zu tun, das ist Folter, für alle Nachbarn und Passanten.
Später
setzen wir uns am Waldrand ins Moos, gucken auf das sonnige Feld
hinaus, essen Julias mutig von gestern Abend mitgenommene
Rest-Tiefkühlpizza, schnippen Waldameisen von unseren Beinen und braten
noch ein bißchen in der Sonne. Julia hat sich dazu entschlossen, meinem
"weiße Ringelsocken"-Trend zu folgen, der insbesondere beim wochenlangen
Wandern im Bereich der Fußknöchel abwärts zu beobachten ist
(hausnummernbingo.de berichtete).
Noch
ein bißchen über die nächste Landstraße, dann stehen wir endlich im
Landkreis Ansbach, was zu Franken und irgendwie auch ein bißchen zu
Bayern gehört. Ein kleiner Hauch Heimat weht durch mich hindurch, auch
wenn ich hier noch nie war. Jetzt heißt es auch: Bye-bye, BW. Keine
Hausnummerntreffer mehr für BW. Ab jetzt ist die Verniedlichungsform
"la" statt "le" am Ende. Als Ausdruck meiner Vorfreude habe ich den
ganzen Tag schon den schönen Ortsnamen "Dinkelsbühl" so fränkisch wie
nur irgend möglich in meinem Kopf hin und her gerollt, bis nur noch ein
"Dinggelsbühll" übrig war. Herrlich!
Die
letzte Stunde halten wir uns beide mit dem Gedanken an lockende
Eisdielen warm. Auch Julia bekommt einen leicht sehnenden
Gesichtsausdruck, wenn ich boshafterweise von Eisbechern, mindestens
vier Kugeln und abgefahrenen Sorten schwärme. "Ich will eine
Eisschokolade..." seufzt sie. Let me play you the song of my people,
harhar.
Dinkelsbühl
hält Wort und vor allem Leckerli bereit. Noch vor der ersten Eisdiele
geraten wir in die losen Anfänge eines Altstadtfestes, die erste
Bratwurstbude ist nicht weit. Der Tüp (!) hinter dem Grill macht mich
sofort fertig, weil er mit meinem mühsam dahingefränkelten "zwei im
Weggla" nix anfangen kann. Shit. "Zwei Bratwürste im Brötchen, bitte."
Trotzdem schmecken sie herrlich. Das Hotel ist gut, wir werfen die
Rucksäcke ab und uns in Schale, bevor wir die schwere Entscheidung
zwischen zwei Eisdielen in Steinwurfweite treffen, durch die schwer
historische Altstadt spazieren, wobei Julia sich sehr nachsichtig ob
meiner kindlichen Fachwerk-Hysterie zeigt. Ich knipse eine gute Stunde
vor mich hin und staune über die alten Häuser. Und über die Nerven der
Dinkelsbühler Denkmalschutzbehörde, die anscheinend mit harter Hand
durchsetzt, daß an keinem Haus in der Altstadt irgendwelche Werbetafeln
angebracht werden. Selbst die "Energieberatung" der örtlichen E-Werke
ist in Frakturschrift vom Malermeister auf die Fassade gemalt worden.
Mein Fazit, so spießig es sich auch anhören mag: Dinkelsbühl ist echt
einen Blick wert!
Die
ganze Stadt wuppt sich langsam warm, auf diversen Bühnen soundchecken
die Muckerbands, aber Julia und ich sitzen schön vor der Goldenen Kanne,
essen Zwiebelsuppe mit einer Käsehaube, die den Namen auch zurecht
trägt. Bevor die Hauptgänge kommen, haben wir schon soviel Leute geguckt
und gelästert, daß es eigentlich noch bis Weihnachten reichen würde.
Ich bin heilfroh, nach dem Gasthofdesaster von gestern Abend endlich mal
wieder in einer richtig schönen Umgebung zu sein. Nur die japanischen
Touristen, die ich Julia schon den ganzen Tag großspurig angekündigt
hatte, wollen nicht so richtig aus ihren Löchern hervor kommen. Julia
zieht sich zum Fußballgucken und Stricken zurück, ich sitze noch zwei
Stunden am Rechner und plane die nächsten Tage und höre dabei der
Funk-Soul-Cover-Band beim Stimmung machen zu. Goldenes Franken, du hast
mich wieder.
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