Sonntag, 24. Juni 2012

Endlich Franken!

Samstag, 23.06.2012
Steinbach / Jagst nach Dinkelsbühl
6,5 h / 24 km

Brrr, nur schnell los. Das Frühstück in unserem Horrorgasthof war auch nicht erbauender als die Erlebnisse gestern Abend. Und als Garnitur: Fliegen. Fliegen über Fliegen. Wir stecken zum Abschied nicht nur den aktuellen Hausprospekt ein, sondern auch noch den ausliegenden Hausprospekt vom Vorbesitzer und können ab sofort vergleichen, wie sich auf den Fotos das Haus verändert hat. Uff...

Schnell aufs Feld, wo der Standard des Tages seinen Anfang nimmt: Asphalt. Das obige Bild ist also vollkommen irreführend, denn es entstand auf den einzigen 300 Metern des Tages, die nicht auf geteerten Wegen verliefen. Weiß der Geier, warum, aber in dieser Ecke sind alle Wege oberhalb von einem Wildpfad durch den Wald asphaltiert. Hinter dem nächsten Dorf versuche ich es über Wege, die auf der Karte nach Rumpelwegen aussehen, aber vergeblich: Asphalt.

Nach knapp drei Stunden haben wir immer noch keine Pause gemacht, planen schon rauschende Mittagsrasten in Dorfgasthöfen bei Kaffee und Kuchen, träumen von schattigen Bänken am Waldrand und als ich kurz vor der nächsten Etappe auf freiem Feld unter praller Sonne gerade zickig anmerke "Naja, hier hätte auch gut ne Bank stehen können...", steht da vorne links eine Bank. Sogar extra mit Wachstischdecke im Marmordesign bezogen. Für uns!

Der Plan ist: Nur kurz sitzen und verschnaufen, richtig Mittag machen wir in der Hammermühle. Gasthof!!! Die Realität ist dann aber: Gasthof Hammermühle verkauft, neuer Besitzer macht keine Bewirtung mehr. Er hat aber gerade den Grill mit Buchenholz angeschürt, was ich noch eine halbe Stunde später auf meiner Haut riechen kann. Und bei diesem leichten Räuchergeruch tropft der hohle Zahn dann erst richtig... 

Der optische Hunger wird in Fichtenau mit dem häßlichsten Haus seit Tagen gestillt. Eigentlich hätte ich erwartet, daß auch eine Bingo-Hausnummer dranhängt, aber nach den ganzen farbigen Kieselsteinen für den Garten hat sicherlich das Geld nicht mehr gereicht. Wir sind der festen Überzeugung: So wohnen schlimme Menschen! Das hat mit "pflegeleicht" nix mehr zu tun, das ist Folter, für alle Nachbarn und Passanten.

Später setzen wir uns am Waldrand ins Moos, gucken auf das sonnige Feld hinaus, essen Julias mutig von gestern Abend mitgenommene Rest-Tiefkühlpizza, schnippen Waldameisen von unseren Beinen und braten noch ein bißchen in der Sonne. Julia hat sich dazu entschlossen, meinem "weiße Ringelsocken"-Trend zu folgen, der insbesondere beim wochenlangen Wandern im Bereich der Fußknöchel abwärts zu beobachten ist (hausnummernbingo.de berichtete). 

Noch ein bißchen über die nächste Landstraße, dann stehen wir endlich im Landkreis Ansbach, was zu Franken und irgendwie auch ein bißchen zu Bayern gehört. Ein kleiner Hauch Heimat weht durch mich hindurch, auch wenn ich hier noch nie war. Jetzt heißt es auch: Bye-bye, BW. Keine Hausnummerntreffer mehr für BW. Ab jetzt ist die Verniedlichungsform "la" statt "le" am Ende. Als Ausdruck meiner Vorfreude habe ich den ganzen Tag schon den schönen Ortsnamen "Dinkelsbühl" so fränkisch wie nur irgend möglich in meinem Kopf hin und her gerollt, bis nur noch ein "Dinggelsbühll" übrig war. Herrlich!

Die letzte Stunde halten wir uns beide mit dem Gedanken an lockende Eisdielen warm. Auch Julia bekommt einen leicht sehnenden Gesichtsausdruck, wenn ich boshafterweise von Eisbechern, mindestens vier Kugeln und abgefahrenen Sorten schwärme. "Ich will eine Eisschokolade..." seufzt sie. Let me play you the song of my people, harhar.

Dinkelsbühl hält Wort und vor allem Leckerli bereit. Noch vor der ersten Eisdiele geraten wir in die losen Anfänge eines Altstadtfestes, die erste Bratwurstbude ist nicht weit. Der Tüp (!) hinter dem Grill macht mich sofort fertig, weil er mit meinem mühsam dahingefränkelten "zwei im Weggla" nix anfangen kann. Shit. "Zwei Bratwürste im Brötchen, bitte." Trotzdem schmecken sie herrlich. Das Hotel ist gut, wir werfen die Rucksäcke ab und uns in Schale, bevor wir die schwere Entscheidung zwischen zwei Eisdielen in Steinwurfweite treffen, durch die schwer historische Altstadt spazieren, wobei Julia sich sehr nachsichtig ob meiner kindlichen Fachwerk-Hysterie zeigt. Ich knipse eine gute Stunde vor mich hin und staune über die alten Häuser. Und über die Nerven der Dinkelsbühler Denkmalschutzbehörde, die anscheinend mit harter Hand durchsetzt, daß an keinem Haus in der Altstadt irgendwelche Werbetafeln angebracht werden. Selbst die "Energieberatung" der örtlichen E-Werke ist in Frakturschrift vom Malermeister auf die Fassade gemalt worden. Mein Fazit, so spießig es sich auch anhören mag: Dinkelsbühl ist echt einen Blick wert!



Die ganze Stadt wuppt sich langsam warm, auf diversen Bühnen soundchecken die Muckerbands, aber Julia und ich sitzen schön vor der Goldenen Kanne, essen Zwiebelsuppe mit einer Käsehaube, die den Namen auch zurecht trägt. Bevor die Hauptgänge kommen, haben wir schon soviel Leute geguckt und gelästert, daß es eigentlich noch bis Weihnachten reichen würde. Ich bin heilfroh, nach dem Gasthofdesaster von gestern Abend endlich mal wieder in einer richtig schönen Umgebung zu sein. Nur die japanischen Touristen, die ich Julia schon den ganzen Tag großspurig angekündigt hatte, wollen nicht so richtig aus ihren Löchern hervor kommen. Julia zieht sich zum Fußballgucken und Stricken zurück, ich sitze noch zwei Stunden am Rechner und plane die nächsten Tage und höre dabei der Funk-Soul-Cover-Band beim Stimmung machen zu. Goldenes Franken, du hast mich wieder.

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