Donnerstag, 31.05.2012
Saint Ursanne (CH) nach Le Petit Kohlberg, Lucelle (F)
7 h / 26 km
Beim üblichen Morgeneinkauf im Dorf-Coop muß ich mich schwer zurückhalten, nicht doch irgendwelche Touristenpostkarten zu kaufen. Die klugen Postkartendesigner haben es geschafft, selbst mich aus der Reserve zu locken: Aufkleberpostkarten! Als ich schon mit einem Stapel an der Kasse stehe, frage ich mich nochmal kurz, ob ich wirklich u.a. einen Aufkleber für 3 CHF kaufen möchte, der meinen Postboten auf französisch bittet, keine Werbung in meinen Briefkasten zu werfen. Ich entscheide mich doch für "Nein!", packe den Mist wieder zurück und bleibe lieber bei der bewährten Formel "Trinken - Baguette - Belag".
Sofort hinter der Stadtmauer von Saint Ursanne wird es schlagartig still. Von Touristen nix mehr zu sehen und Wanderer werde ich - soviel kann man ja schonmal verraten - heute auch keine treffen. Auf dem keuchendsteilen Anstieg hinter dem Schloß schnippe ich gekonnt und voller Horror mehrere Monsterzecken von meinen Beinen, die da keine 10 Sekunden länger rumkrabbeln sollen. Die Biester krabbeln nämlich immer erstmal reflexartig nach oben...
Als ich nach einer guten Stunde endlich oben am Col de la Croix ankomme, hat der gute Bauer von nebenan vorgesorgt. Am Waldrand hat er einen dicken großen uralten Baumstamm liegenlassen, auf dem es sich prächtig und mit Aussicht sitzt. Auf dem Zaun nebenan kann man prima das vom Aufstieg klatschnasse Hemd trocknen, während man sich in etwas Wärmeres gehüllt in den Wind setzt. Und so muß ich leider schon gegen 11:00 Mittagspause machen. Und zwar ausgiebigst.
Auf der anderen Seite der Hügelkette ist die Landschaft wie ausgewechselt. Hat mich in den letzten Tagen die Enge der Schluchten des Doubs begleitet, sehe ich jetzt von oben weites Agrarland mit ein paar Hügeln dazwischen. In der Ferne schimmert im Nordosten irgendein monströses Mittelgebirge und ich bin mir nicht sicher, ob das nicht vielleicht schon der Schatten des Schwarzwaldes ist.
Als ich über den nächsten Hügel drüber bin, schlägt dann doch die Mittagshitze zu. Eigentlich sollte es heute deutlich kühler werden als in den letzten Tagen. Eigentlich sollte es sogar regnen. Aber statt dessen brüte ich schon wieder bei knapp 30 Grad. Wenigstens gibt es ab und zu ein paar Wolken, die für Schatten sorgen, wenn ich mal wieder auf freiem Feld unterwegs bin.
Als ich über den nächsten Hügel drüber bin, schlägt dann doch die Mittagshitze zu. Eigentlich sollte es heute deutlich kühler werden als in den letzten Tagen. Eigentlich sollte es sogar regnen. Aber statt dessen brüte ich schon wieder bei knapp 30 Grad. Wenigstens gibt es ab und zu ein paar Wolken, die für Schatten sorgen, wenn ich mal wieder auf freiem Feld unterwegs bin.
In Cornol, meinem vorletzten Dorf in der Schweiz, servieren mir die Eidgenossen nochmal zum Abschied den Beweis, das die Schweiz auch richtig häßlich sein kann. Neubaugebiete haben überall relativ wenig Reiz, aber dieses hier mit seiner Mischung aus Protz und moderner Pseudourbanität schreit geradezu nach beschleunigten Schritten, damit man schnell dran vorbei ist. Im Dorf hat sich alles Leben hinter Jalousien, Markisen und Gardinen zurückgezogen. Der einzige Mensch, den ich sehe, ist ein alter Mann auf dem Balkon. Und auch von ihm sehe ich nur das Gesicht, wie es aus seinem Adlerhorst herunterglotzt. Ansonsten - keine Bewegung. Kein Hund, kein Auto, keine Kinder.
Im Wald beginnt der Anstieg auf die letzte Hügelkette vor Frankreich und damit das gefühlte Niemandsland. Kurz vor der grünen Grenze treffe ich noch einen Jogger, danach ist Sense. Nur noch Wald, Wiesen und Felder. Auf den uralten Grenzsteinen finde Jahreszahlen bis zu 1817 runter, der Pfad schlängelt sich wie zum Spaß mal auf diese, mal auf jene Seite der Grenze. Oben auf dem Hügelkamm öffnet sich die Landschaft zu weiten Wiesen, auf denen die Zeit stehen geblieben ist. Weiter vorne liegt ein alter Bauernhof, auf dem sich ebenfalls nichts rührt, links davon Himmel (mit Regenwolken), rechts Wiese und ganz da hinten beginnt wieder der Wald. So fühlt es sich an, wenn "abgeschiedene Regionen" noch weiter in die Stille abgleiten. Drüben in Frankreich wird hinter der ersten und einzigen Straße weit und breit der Pfad zu einer schmalen Spur durch das hüfthohe Gras der Felder. Nur drei Pferde grasen gedankenverloren im Gras, als ich vorbeiziehe.
Mit der Weite und Leere und Stille des Landes verliere ich mein Zeitgefühl und muß statt dessen daran denken, daß ich wahrscheinlich der einzige Mensch im Umkreis von zwei Kilometern bin. Vielleicht auch mehr. Die Blasen, die ich seit zwei Tagen seltsamerweise am linken Fuß habe, schmerzen nicht mehr, alles geht ganz von alleine. Die letzten Kilometer bis zu meiner Unterkunft streife ich durch die Landschaft, als gehörte sie mir alleine. Mit einem Gefühl von Freiheit, das ich so stark selten verspürt habe. Und der langsam einsetzende Regen verstärkt dieses Gefühl nur noch.
Und der Tag hört nicht auf, mich zu belohnen. Am Ende erreiche ich auf einem kleinen Trampelpfad den Waldrand und da drüben hinter dem Feld liegt schon mein Landgasthof, daneben noch ein Bauernhof und zwei Häuser, sonst nix. Und der Laden macht alles richtig. Tolles Zimmer, hartes Bett und freundliche Menschen. Ich sitze am offenen Fenster, durch das der kühle Abendwind hereinweht, esse einen pompösen Salat und - endlich! - ein Wiener Schnitzel, von dem ich jeden Bissen genieße. Auch wenn morgen noch eine letzte Nacht in Frankreich kommt: Abschied von diesem Land habe ich schon hier gefeiert. Hier und heute, wo alles perfekt war.
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