Samstag, 23. Juni 2012

Billig, aber schlimm.

Freitag, 22.06.2012
Rudelsdorf nach Steinbach / Jagst
6,5 h / 24 km

Alle Monteure und Handlungsreisenden sind natürlich schon längst ausgeflogen, als wir Wanderer uns geruhsam zum Frühstück betten. Während wir die alten Aufbackbrötchen genießen, können wir Koch und Kellner von gestern Abend zuschauen, wie sie kopfkratzend im Biergarten irgendwelche Bastelarbeiten planen, die wahrscheinlich sowieso wieder ewig nicht fertig werden. So wie der nur halb gepflasterte Weg vom Parkplatz zum Biergarten, wo aus den halb fertigen Flächen schon wieder Grashalme wachsen...

Vom kräftigen Gewitter der letzten Nacht ist außer kühler Luft und platt gedrückten Getreidefeldern nichts mehr zu merken. Direkt neben dem Hotel gucken wir erstmal Kälbchen, dann Felder, dann lange nichts. Beim Laufen kriege ich den lang ersehnten Anruf von meinem Mercedes-Schrauber: Shit. Die Rostschäden an Omas altem Auto sind doch schlimmer als gedacht, da muß Geld reingesteckt werden. Ich denke mir kurz im Kopf die Alternativen durch, aber die Karre demnächst einfach schnell zu verkaufen, kommt einfach nicht in Frage. Also: Her mit dem sauren Apfel...

 Hinter den letzten Häusern von Eckartshausen kommt ein sehr deutscher Spielplatz, der uns geradezu herausfordert, einige Erinnerungsfotos zu machen.

Und noch weiter hinter Eckartshausen geht's in den Wald, erst über Teerstraßen, dann durch die Wildnis. Der Weg geht durch hüft- bis brusthose Waldwiesen, manchmal durchs Unterholz, und fühlt sich sehr wild an. Nur die ständig kreuzenden Standard-Forstwege erinnern noch daran, daß man hier im gut strukturierten schwäbisch-fränkischen Staatsforst unterwegs ist. Und seltsamerweise: Keine Zecken. Nachdem ich in den letzten Tagen wirklich zahlreiche Monster von meinen Beinen gepflückt hatte, finde ich ausgerechnet hier in ihrem Eldorado keine einzige. Vielleicht haben die Rehe schon alle mitgenommen...

Auf dem Burgberg steht eine geschlossene Ausflugsgaststätte und ein geschlossener Aussichtsturm. Wenigstens haben die Kollegen die Biertische draußen gelassen, ein wunderbarer Platz für die Mittagspause. Wir läuten mit Tomaten aus dem Laden und Erbsen vom Feld bei Ilshofen den Gemüsetag ein und hängen ein bißchen in der Sonne rum, bis es Zeit zum Weiterziehen ist. Am Waldrand findet sich mal wieder ein Jakobsweg-Zeichen, kurz danach können wir ein unvorsichtiges Rehkitz beobachten, das ich in meiner grenzenlosen Weisheit erstmal für einen Fuchs gehalten habe. Schande über mich.

Der Rest des Tages: Durch Wald und Feld. Es ist eine sanfte Landschaft, mehrmals erwische ich mich dabei, sie fast langweilig zu finden. Aber immer wieder freue ich mich darüber, wie leer und ruhig es hier ist. Ein paar Hügel, ein paar Felder, ein paar Waldstücke. Hinten in der nächsten Senke irgendwo ein Dorf, drüben am Waldrand ein Spaziergänger und über allem stille Wolken und Sonne.

Julia hält verdammt gut mit, ich lauere immer noch darauf, daß sie mal jammert, um ihr das sofort postwendend unter die Nase zu reiben. Macht sie aber nicht. Auch nicht, wenn ich extra viele Pausen einlege, weil ich weiß, daß sie die ersten Schritte nach dem Aufstehen doch deutlich schmerzen. Vielleicht kann ich ja so mal ein Jammern produzieren, habe ich mir gedacht, aber Pustekuchen... Meine Strategie für Monsieur L'Ombrage, ihn mit einer zu langen Tour gleich am ersten Tag in die Knie zu zwingen und danach auf wackeligen Beinen zu halten, ist zwar voll aufgegangen, verlangsamte das Ganze jedoch am Ende merklich. (Merklich, Monsieur!) Ich bin ja auch lernfähig.

Im Bundesstraßendurchgangskaff Steinbach an der Jagst gibt es drei Gasthöfe, ich habe natürlich in DEM Gasthof zwei Zimmer reserviert, der am nächsten an der Straße und direkt neben dem Schweinebauernhof liegt. Lecker Nase und vor allem massenweise Fliegen. Überall. Auf dem Essen, auf dem Tisch, im Bierglas. Überall. Die Gaststube ist schon lange als zweites Wohnzimmer für die Wirtsfamilie umfunktioniert, unsere beiden Zimmer sind beide auf ihre ganz spezielle Art grausam und das Abendessen ist -- naja, Julia isst Tiefkühlpizza, ich esse Kaufland-Maultaschen mit extra viel Öl -- im Bundesrat nicht mehrheitsfähig. Das Zimmer ist auch im Detail schlimm: Fettige Lichtschalter, obskurer Läufer im Bad, Handtücher für Geschichtsfreunde im Kleiderschrank, Blutflecken an der Wand und Vorkriegsbettwäsche, in der der wahrscheinlich schon der Russe geschlafen hat. Billig ist das Zimmer ja, aber so schlimm muß es eigentlich nicht sein. Ich fliehe in den "Biergarten" mit direktem Anschluß an die Bundesstraße, kicke das halb abgebissene Brötchen auf dem Boden zur Seite und ertränke meinen Kummer in Spezi.

Ein bißchen bemitleide ich die Buben der Familie, die hier großwerden müssen. Immerhin bauen sie uns später flugs die Leinwand für das Fußballspiel auf, das ältere BMW-Päarchen geht bald, der Krankenschwesterntisch mit den morbiden Gesprächsthemen geht auch bald (und fragt vorher noch nach einem Zimmerprospekt; als die Wirtin kurz rausgeht, um selbigen zu holen, bin ich kurz versucht, die Damen vorzuwarnen, aber warum sollte meine total subjektive Meinung...). Und wir haben die Fußball-Leinwand für uns..

Zwei Minuten nach dem Abpfiff zischen wir hoch in unsere Betten. Ich prügele mir die Oropax in die Ohren und schaue noch ein paar Minuten den Lichtspielen der Scheinwerfer von der Bundesstraße an meiner Zimmerdecke zu. Bonne nuit!

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