Mittwoch, 27. Juni 2012

Letzter Tag mit Frau Julia.

Dienstag, 26.06.2012
Haundorf nach Neuendettelsau
6,5 h / 22 km

Gestern Abend habe ich mich noch mit meiner liebsten Freizeitbeschäftigung vergnügt: Vergebliche Zimmersuche. Anscheinend ist in Nürnberg Messe oder die Hottentotten sind los, ich weiß es nicht, aber alle Gasthöfe und Hotels in der näheren Umgebung sind mehr oder weniger ausgebucht. Erst ab 70 EUR aufwärts pro Einzelzimmer gibt es hin und wieder zaghafte Treffer, aber da fährt mir mein Ehr- und Spargeiz in die Parade. Eigentlich war Heilsbronn für heute Abend als Ziel angepeilt, aber das konnte ich mir schon relativ früh am Abend abschminken. Einzige bezahlbare Alternative: Neuendettelsau. Im Gästehaus der Diakonie. Na Halleluja...

Um zu vermeiden, daß uns der Weg heute genausowenig gefällt wie gestern, geht es gleich von Anfang an in Richtung Abenteuer. Hinter dem Hotel führt ein Weg am Teich entlang in den Wald. Auf der Karte ist er nicht verzeichnet, aber egal, wird schon in die richtige Richtung führen. Zwanzig Minuten weiter nördlich umgehen wir eine Straßenbaustelle galant auf der großzügigen Wiese, peilen den Waldrand an und --- ich liege im Graben. Vor lauter klugem Rumposen mit Karte in der Hand habe ich den gut mit Gras getarnten Graben in der Wiese übersehen. Mein rechter Fuß will ausgleichen, wackelt und verliert das Duell. Die nächsten Minuten humpele ich wie ein alter Mann, dann geht's besser. Es wird aber für den Rest des Tages zwei Fußstellungen geben, die weiterhin höllisch wehtun...

Dafür sind die Wege schön. Lauschige Waldwege unter stillen Nadelbäumen. Abenteuerliche Pfade durch hüfthohes Gras. Wir rätseln nach wie vor, was uns gestern den Tag verhagelt hat und finden keine Antwort. Aber es ist klar: Heute läuft's wieder wie am Schnürchen. 

Rechtzeitig um Viertel vor Zwölf rauschen wir durch Mitteleschenbach, schneiden den Fahrradfahrern den Weg ab, stürmen den Dorf-Edeka mit angeschlossenem Bäcker und machen dabei eine kleine Zeitreise in die 80er Jahre. Der Laden erinnert mich schwer an den Condi (oder war das irgendeine Urform von Coop?) bei uns in der Nachbarschaft, schmale Gänge, überall einzeln aufgedruckte Preisschilder. Man kennt sich. Uns kennt man nicht, also müssen wir an der Kasse ewig warten. Dafür, daß unsere Beute von der Backwarentheke aber herausfordernd günstig war, nehme ich das gerne in Kauf.

Hinter Mitteleschenbach wandern wir das stille Mühlbachtal entlang, unsere Suche nach einem schönen Mittagspausenplatz bleibt relativ vergeblich, dafür verläuft sich der Weg langsam im Gras und das kleine Tal, mit hoher Wiese zwischen den waldigen Hängen, wird ein stiller Tunnel, durch den wir ungesehen von allem und allen weiterziehen. Irgendwer oder irgendwas ist hier vor Kurzem langgelaufen, man sieht eine schwache Spur im hohen Gras. Zufrieden knipsen wir die Köpfe aus und folgen einfach der Spur, immer den Talgrund entlang. Erst als das Dickicht zunimmt, steigen wir den nächsten Hang hoch, stehen auf einem langweiligen Feldweg, wo ich erstmal zahlreiche Zecken von meinen Beinen pflücke. Julia ist schon ganz neidisch, weil sie noch keine gefunden hat...

Die nächsten Stunden schwimmen wir abwechseln durch dichten Wald und sonnenbrennende Felder, wir sehen Rehe und Hasen, reifes Getreide und Maispflanzen, die sich im Wind wuscheln. Die Idylle kippt erst, als wir in das Tal der Fränkischen Rezat kommen, der Verkehr auf der Bundesstraße ist weithin zu hören und nimmt jegliche Lieblichkeit aus dem Panoramablick. Für die letzte Pause dieses Tag geben wir dem Locken einer brandneu installierten Bank mit blitzsauberem Steinfundament nach, ich kann die Ruhe nicht richtig genießen, weil die Wirkung meiner Allergietabletten nachläßt. 

Also schnell rüber nach Dinkelsbühl, in der Stadt wird überall an Zelten und Buden für die Kärwa am Wochenende gebaut. Häßliche Dönerimbisse gibt es im Überfluß, aber auch eine Eisdiele. Das ist genau die richtige Belohnung für diesen schönen Tag. Ein paar hundert Meter weiter ist unser Diakonie-Gästehaus-Hotel, auf dem Weg dahin lachen wir noch über die riesige Schautafel, auf der alle Einrichtungen und Untereinrichtungen der Diakonie in Neuendettelsau verzeichnet sind. Mit dem Druck auf das gewünschte Knöpfchen leuchtet dann ein Licht neben dem entsprechenden Gebäude auf dem Stadtplan auf. Mein Favorit: Die Hostienbereitung. Sicherlich eine dampfende Fabrik mit Werkstoren und Feierabendsirene. 

Beim Abendessen machen wir's heute nicht unterhalb des besten Hauses am Platze. Die Goldene Sonne sah nicht nur von außen gut aus, schon bei der Speisekarte läuft uns beiden das Wasser im Mund zusammen. Und das ist angesicht unserer durchaus recht unterschiedlichen Ernährungsgewohnheiten doch ein kleines Highlight. Heute Abend feiern wir Abschied, morgen fährt Julia wieder zurück nach Hause. Nachdem ich zur Feier des Tages auch auf einen Nachtisch nicht verzichten konnte, beobachten wir noch den älteren Herren am Nebentisch, der uns eben nicht nur sehr nett gegrüßt hat, sonder auch ganz selbstlos schonmal für seine Frau bestellt (die etwas später kommt), bevor er sich überhaupt Gedanken macht, was er denn gerne möchte. Die Tür geht auf, Auftritt des Drachens. Sofort wird er angefaucht, alles hat er falsch gemacht. Das Bier, was er bestellt hat, falsch. Sie wollte ein alkoholfreies Pils. Und wenn es keines gibt, dann ein anderes. Alkoholfreies Weizen. Aber kein normales Bier, also falsch. Weil du mir nie zuhörst!

Julia und ich schaudern, während wir den Nebentisch belauschen, und unsere Sympathien sind ganz klar verteilt. Wenn einer von uns jetzt rübergehen würde und dem Drachen die Leviten lesen würde, wäre wahrscheinlich sowieso wieder der arme Ehemann den Drachen wahrscheinlich sogar noch verteidigen. Voller Mitleid verlassen wir den Laden, der ältere Herr erwidert unseren Abschiedsgruß, immer noch freundlich.

1 Kommentar:

  1. Ich weiß schon, was euch den Vortag versaut hat - wenn ihr am Mittwoch "schnell rüber nach Dinkelsbühl" gemacht habt, dann seid ihr schlichtweg im Kreis gelaufen...

    Ist mir aber gerade recht, gibt es mir doch Gelegenheit, eine kleine Schulmeisterei in Sachen Phonetik der Mittelfranken (a.k.a. "Middlllfrrranggn") nachzulegen, die anzumerken ich vor Tagen versäumt hatte.

    Also, der gemeine Mittefranke hasst unnütze Vokale, weil er dank seiner überragenden angeborenen Schwarmintelligenz instinktiv ahnt, dass Vokale im Vergleich zu den meisten Konsonanten eine eher niedrigere Entropie (vulgo: Informationsgehalt) besitzen. Ein "e" kommt in der deutschen Sprache so häufig vor, dass sein Auftreten praktisch nichts aussagt (ähnlich dem "ööh, ööh" des Herrn Boris Becker.) Drum würde der echte Mittelfranke niemals - weil phonem-energetisch extrem ineffizient - "Dinggelsbühll" sagen, wie vorher behauptet wurde, sondern eher wohl „Dingllsblllll“. Gut, über g vs. gg lasse ich mit mir handeln, über das niemals gesprochene e und ü jedoch nicht. (Nebenbei, Oberbayern kennen das fränkische "Vlll zvlll Gflllll" auch als "Fui zfui Gfui", die machen's also gerade umgekehrt.)

    Ferner ist zu bemerken, dass das abschließende "lllll" in „Dingllsblllll“ der mit Abstand längste Laut im Wort ist: "lllll". Dabei schafft es der Mittelfranke - das kann nur er und genau daran erkennt man ihn ! - den Unterkiefer komplett auszuhängen und ihn mindestens 5 cm vorzuschieben. Charakteristisch ist auch, dass beim "llll" die Zunge stark gegen die oberen Schneidezähne gedrückt wird und die Zungenspitze dabei 2 bis 3 cm hervorsteht.

    Nachdem dies gesagt ist, jetzt alle noch mal gemeinsam: "„Ding-gllls-blllll“ !

    (Ja doch .. "gg" ist schon OK).

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