Dienstag, 12.06.2012
Alpirsbach nach Herzogsweiler
7,5 h / 31 km
Meine Laune kocht schon am frühen
Morgen schon über. Wieder Regen. Langsam reicht's. Ich gewinne das
Gefühl, daß hier Scheißwetter herrscht, seitdem ich den Rhein
überschritten habe. Die letzten Wochen in Frankreich waren top,
dafür muß ich jetzt wahrscheinlich büßen. Mehrere Schweinehunde
sind heute früh kaltblütig zu ermorden, sie lauern überall. Beim
über die Maßen ausgedehnten Frühstück. Bei der Idee, den Rucksack
nochmal auszumisten. Beim Plausch mit der Juniorchefin über
Prenzlauer-Berg-Mütter. Beim umständlichen "Nochmal Karte
auspacken und ganz genau studieren." unter dem schönen
Glasvordach des Hotels. 4 tote Schweinehunde später mache ich dann
doch den Schritt raus in den Regen und kann mir fortan den Flunsch
nicht mehr aus dem Gesicht wischen. Denn - soviel darf ich schonmal
verraten - es wird den ganzen Tag durchregnen. Komplett. Mal sehr
viel mehr, mal etwas weniger, aber aufhören? Wird es nicht.
Das weiß ich beim Start natürlich
noch nicht, also halte ich mich beim Durchqueren von Alpirsbach ganz
eng an den Hauswänden, um den Pfützeninhalten zu entgehen, die mir
die Autos entgegen schleudern. In der guten Hoffnung, daß es
irgendwann aufhören wird, zuckele ich weiter das Kinzigtal hinauf.
Uralte Bauernhöfe liegen am Weg aufgereiht, teilweise um die 500
Jahre alt. Ein kluger Heimatverein hat Infotafeln mit alten Fotos und
Daten aufgestellt. Nach der zehnten Tafel bekomme ich langsam das
Gefühl, daß die Talbewohner alle nur untereinander und bis maximal
3 Höfe weiter geheiratet haben. Na, heidewitzka...
In Grillhütte Nummer 1 neben dem
Fischteich werfe ich das ganze nasse Zeug ab und lese erstmal ein
bißchen. Vielleicht hört es ja auf. Aktives Zuwarten. Auf dem Boden
zig Minifrösche, die unbedingt von irgendwo unter meiner Bank in
Richtung Betonmauer wollen, wo sie dann ratlos rumsitzen. Ein
Rentnerradfahrerpäarchen kommt vorbei, die Frau jubiliert "Hach,
guck mal, die Seerosen!". Auf ihre offensichtliche Fähigkeit,
das Scheißwetter zu verdrängen und sich statt dessen über Seerosen
zu freuen, bin ich dann doch etwas neidisch. Irgendwann ist mir kalt,
ich ziehe die klammen Klamotten wieder an, wodurch mir noch kälter
wird. Dagegen hilft nur Warmlaufen, also fällt es doch gar nicht so
schwer, wieder raus in den Regen zu stiefeln.
Die Kinzig ist statt eines vertiablen Flusses inzwischen nur noch ein
kleiner Bach, den man mit zwei beherzten Schritten überqueren
könnte. Wenn man denn wollte. Ich will nicht, denn drüben ist
Wiese. Bei diesem Wetter sind fünf Minuten quer über die Wiese so
wertvoll wie ein kleines Vollbad untenrum. In Loßburg rüttele ich
in verzweifelter Hoffnung an der Tür des Metzgereifachgeschäftes,
das natürlich gerade Mittag macht. Ich hätte jetzt für ein warmes
Fleischkäsebrötchen unerhörte Dinge getan. Der Bäcker gegenüber
hat nur Mist und während ich vor der ganzen Aufbackware stehe, muß
ich natürlich an all die zauberhaften französischen Bäcker denken.
Und an -- Törtchen. Buhu! Ein Schauer durchfährt mich und ich muß
wieder raus in den Regen, damit man meine Tränen nicht sehen kann...
Am Ortsausgang lande ich plötzlich
mitten in einer Schafsherde, die neben dem Sportplatz grast. Kurz
darauf kommt von hinten rechts das erste Kommando und die Hunde jagen
los, um die Herde (die sich schon in die ersten Einfamilienhausgärten
vorgearbeitet hatte) wieder einzukreisen. Und man sieht den Hunden
an, daß sie wirklich in ihrem Element sind. Wie Hovercrafts rasen
sie über die Wiese, irgendwelche Beine kann ich bei der
Geschwindigkeit nicht ausmachen. Und in weniger als zwei Minuten ist
die Herde wieder zusammengetrieben.
In Grillhütte Nummer 2 hat sich auch
schonmal ein Pferd untergestellt. Da, wo sonst in einer Grillhütte
immer die Reste eines Lagerfeuers zu finden sind, nämlich zentral in
der Mitte, liegt hier ein schöner großer Haufen Pferdeäpfel. Kann
man auch gut anstarren, während es draußen weiterregnet. Ich
beobachte die zwei sportlichen Weinbergschnecken bei ihrem
Workout-Programm (1x Hürdenlauf, 1x Bouldern) und schrecke
irgendwann auf: Wie lange habe ich denn jetzt bitte den zwei
Schnecken zugeschaut? Mir ist sowieso schon wieder kalt, also weiter.
Zehn Minuten nach Grillhütte 2 - ich
bin gerade erst durch's Dorf durch - legt der Regen richtig los. Also
richtig richtig. Aus meiner Kehle kommt erst ein Knurren, das immer
lauter wird und irgendwann ist es soweit und ich muß zum ersten Mal
den Regen anschreien. Vorher war er nur lästig, jetzt sind meine
Nerven am Ende. Ich renne zum Waldrand in der Hoffnung auf ein
trockenes Plätzchen und als es da genauso naß ist, laufe ich
grollend weiter. (Im Dorf hätte sich sicher was zum Unterstellen
gefunden, aber der Stolz... der Stolz...)
Das sind Momente, wo man echt alles
hinschmeißen will. Man erträgt schon 3 oder 4 Stunden Regen, geht
irgendwie noch und dann? Kommt es noch dicker und man landet unter
einer Regenwolke, bei der einfach jemand herzhaft den Kaltwasserhahn
aufgedreht hat. Auf Anschlag. Die Hose fühlt sich wieder an wie eine
nasse Windel, das Wasser läuft schon die Beine hinab in die Stiefel,
und nichts ist mehr trocken. Taschentuch gefällig? Harhar, kannste
auswringen! Und wie immer in solchen Momenten härtester Prüfung:
Wenn nix mehr geht -- weiterlaufen.
Dornstetten hat ne tolle Altstadt, die
mir heute mal gepflegt am Arsch vorbeigeht. Die zwei Eisdielen am
Marktplatz haben geschlossen, was ich ihnen sehr übel nehme. Ein
dickes Eis in der Pfote hätte auch im Regen geholfen, meine Laune zu
stärken. So muß ich mir zwei Mürbteigkeksen und nem Schluck Cola
vom Bäcker Vorlieb nehmen, was zwar annehmbar, aber nicht der
Situation angemessen ist.
Irgendwann hinter Dornstetten läßt
der Regen langsam nach (hört aber nicht auf, worauf ich deutlich
Wert lege...), dafür ist der Weg jetzt auf kleinen Trampelpfaden
markiert, wo das nasse Unterholz links und rechts dafür sorgt, daß
sich meine Stiefel weiter füllen. Dabei fühlen sie sich jetzt schon
an, als hätte jemand sowohl links als auch rechts jeweils einen
Liter lauwarmes Abwaschwasser reingegossen. Auf dem letzten Stück
nach Herzogsweiler geht's dann auch nochmal zum Abschied ein bißchen
über die Wiese, aber jetzt isses auch schon egal.
Mein Dorfgasthof ist voll und ich habe
mal wieder alle Augen, als ich nass und tropfend am Tresen stehe. Mit
dem - zugegeben etwas billigen - Spruch "Kann ich auch draußen
sitzen?" bin ich der König für den Moment. In meiner Dusche
stehe ich so lange unter sehr heißem Wasser, bis es wehtut. Alle
Klamotten auswringen und zum Trocknen im winzigen Zimmer verteilen
ist dann die letzte Pflichtaufgabe für heute.
Scheißwetter.
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