Mittwoch, 13. Juni 2012

Ein ganzer Tag: Davongeschwommen...

Dienstag, 12.06.2012
Alpirsbach nach Herzogsweiler
7,5 h / 31 km

Meine Laune kocht schon am frühen Morgen schon über. Wieder Regen. Langsam reicht's. Ich gewinne das Gefühl, daß hier Scheißwetter herrscht, seitdem ich den Rhein überschritten habe. Die letzten Wochen in Frankreich waren top, dafür muß ich jetzt wahrscheinlich büßen. Mehrere Schweinehunde sind heute früh kaltblütig zu ermorden, sie lauern überall. Beim über die Maßen ausgedehnten Frühstück. Bei der Idee, den Rucksack nochmal auszumisten. Beim Plausch mit der Juniorchefin über Prenzlauer-Berg-Mütter. Beim umständlichen "Nochmal Karte auspacken und ganz genau studieren." unter dem schönen Glasvordach des Hotels. 4 tote Schweinehunde später mache ich dann doch den Schritt raus in den Regen und kann mir fortan den Flunsch nicht mehr aus dem Gesicht wischen. Denn - soviel darf ich schonmal verraten - es wird den ganzen Tag durchregnen. Komplett. Mal sehr viel mehr, mal etwas weniger, aber aufhören? Wird es nicht.

Das weiß ich beim Start natürlich noch nicht, also halte ich mich beim Durchqueren von Alpirsbach ganz eng an den Hauswänden, um den Pfützeninhalten zu entgehen, die mir die Autos entgegen schleudern. In der guten Hoffnung, daß es irgendwann aufhören wird, zuckele ich weiter das Kinzigtal hinauf. Uralte Bauernhöfe liegen am Weg aufgereiht, teilweise um die 500 Jahre alt. Ein kluger Heimatverein hat Infotafeln mit alten Fotos und Daten aufgestellt. Nach der zehnten Tafel bekomme ich langsam das Gefühl, daß die Talbewohner alle nur untereinander und bis maximal 3 Höfe weiter geheiratet haben. Na, heidewitzka...

In Grillhütte Nummer 1 neben dem Fischteich werfe ich das ganze nasse Zeug ab und lese erstmal ein bißchen. Vielleicht hört es ja auf. Aktives Zuwarten. Auf dem Boden zig Minifrösche, die unbedingt von irgendwo unter meiner Bank in Richtung Betonmauer wollen, wo sie dann ratlos rumsitzen. Ein Rentnerradfahrerpäarchen kommt vorbei, die Frau jubiliert "Hach, guck mal, die Seerosen!". Auf ihre offensichtliche Fähigkeit, das Scheißwetter zu verdrängen und sich statt dessen über Seerosen zu freuen, bin ich dann doch etwas neidisch. Irgendwann ist mir kalt, ich ziehe die klammen Klamotten wieder an, wodurch mir noch kälter wird. Dagegen hilft nur Warmlaufen, also fällt es doch gar nicht so schwer, wieder raus in den Regen zu stiefeln.

Die Kinzig ist statt eines vertiablen Flusses inzwischen nur noch ein kleiner Bach, den man mit zwei beherzten Schritten überqueren könnte. Wenn man denn wollte. Ich will nicht, denn drüben ist Wiese. Bei diesem Wetter sind fünf Minuten quer über die Wiese so wertvoll wie ein kleines Vollbad untenrum. In Loßburg rüttele ich in verzweifelter Hoffnung an der Tür des Metzgereifachgeschäftes, das natürlich gerade Mittag macht. Ich hätte jetzt für ein warmes Fleischkäsebrötchen unerhörte Dinge getan. Der Bäcker gegenüber hat nur Mist und während ich vor der ganzen Aufbackware stehe, muß ich natürlich an all die zauberhaften französischen Bäcker denken. Und an -- Törtchen. Buhu! Ein Schauer durchfährt mich und ich muß wieder raus in den Regen, damit man meine Tränen nicht sehen kann...

Am Ortsausgang lande ich plötzlich mitten in einer Schafsherde, die neben dem Sportplatz grast. Kurz darauf kommt von hinten rechts das erste Kommando und die Hunde jagen los, um die Herde (die sich schon in die ersten Einfamilienhausgärten vorgearbeitet hatte) wieder einzukreisen. Und man sieht den Hunden an, daß sie wirklich in ihrem Element sind. Wie Hovercrafts rasen sie über die Wiese, irgendwelche Beine kann ich bei der Geschwindigkeit nicht ausmachen. Und in weniger als zwei Minuten ist die Herde wieder zusammengetrieben.

In Grillhütte Nummer 2 hat sich auch schonmal ein Pferd untergestellt. Da, wo sonst in einer Grillhütte immer die Reste eines Lagerfeuers zu finden sind, nämlich zentral in der Mitte, liegt hier ein schöner großer Haufen Pferdeäpfel. Kann man auch gut anstarren, während es draußen weiterregnet. Ich beobachte die zwei sportlichen Weinbergschnecken bei ihrem Workout-Programm (1x Hürdenlauf, 1x Bouldern) und schrecke irgendwann auf: Wie lange habe ich denn jetzt bitte den zwei Schnecken zugeschaut? Mir ist sowieso schon wieder kalt, also weiter.

Zehn Minuten nach Grillhütte 2 - ich bin gerade erst durch's Dorf durch - legt der Regen richtig los. Also richtig richtig. Aus meiner Kehle kommt erst ein Knurren, das immer lauter wird und irgendwann ist es soweit und ich muß zum ersten Mal den Regen anschreien. Vorher war er nur lästig, jetzt sind meine Nerven am Ende. Ich renne zum Waldrand in der Hoffnung auf ein trockenes Plätzchen und als es da genauso naß ist, laufe ich grollend weiter. (Im Dorf hätte sich sicher was zum Unterstellen gefunden, aber der Stolz... der Stolz...)

Das sind Momente, wo man echt alles hinschmeißen will. Man erträgt schon 3 oder 4 Stunden Regen, geht irgendwie noch und dann? Kommt es noch dicker und man landet unter einer Regenwolke, bei der einfach jemand herzhaft den Kaltwasserhahn aufgedreht hat. Auf Anschlag. Die Hose fühlt sich wieder an wie eine nasse Windel, das Wasser läuft schon die Beine hinab in die Stiefel, und nichts ist mehr trocken. Taschentuch gefällig? Harhar, kannste auswringen! Und wie immer in solchen Momenten härtester Prüfung: Wenn nix mehr geht -- weiterlaufen.

Dornstetten hat ne tolle Altstadt, die mir heute mal gepflegt am Arsch vorbeigeht. Die zwei Eisdielen am Marktplatz haben geschlossen, was ich ihnen sehr übel nehme. Ein dickes Eis in der Pfote hätte auch im Regen geholfen, meine Laune zu stärken. So muß ich mir zwei Mürbteigkeksen und nem Schluck Cola vom Bäcker Vorlieb nehmen, was zwar annehmbar, aber nicht der Situation angemessen ist.

Irgendwann hinter Dornstetten läßt der Regen langsam nach (hört aber nicht auf, worauf ich deutlich Wert lege...), dafür ist der Weg jetzt auf kleinen Trampelpfaden markiert, wo das nasse Unterholz links und rechts dafür sorgt, daß sich meine Stiefel weiter füllen. Dabei fühlen sie sich jetzt schon an, als hätte jemand sowohl links als auch rechts jeweils einen Liter lauwarmes Abwaschwasser reingegossen. Auf dem letzten Stück nach Herzogsweiler geht's dann auch nochmal zum Abschied ein bißchen über die Wiese, aber jetzt isses auch schon egal.

Mein Dorfgasthof ist voll und ich habe mal wieder alle Augen, als ich nass und tropfend am Tresen stehe. Mit dem - zugegeben etwas billigen - Spruch "Kann ich auch draußen sitzen?" bin ich der König für den Moment. In meiner Dusche stehe ich so lange unter sehr heißem Wasser, bis es wehtut. Alle Klamotten auswringen und zum Trocknen im winzigen Zimmer verteilen ist dann die letzte Pflichtaufgabe für heute.

Scheißwetter.

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