Samstag, 2. Juni 2012

Letzte Schritte in Frankreich. Und: Kleine Mädchen im Wald.

Freitag, 01.06.2012
Le Petit Kohlberg (F) nach Lutter (F)
5,5 h / 22 km

Der Morgen beginnt genauso still, wie der gestrige Abend geendet hat. Im Frühstücksraum läuft im Radio James Blake und ich könnte hier noch stundenlang in aller Ruhe sitzen und aus dem Fenster schauen. 

Sowieso habe ich heute Lust auf Bummeln -- Zeit habe ich ja ga genug. Der Tag ist sowieso nicht voll, also habe ich noch einen kleinen Schlenker über Ferrette eingeplant - das einzige Kaff, wo ich vielleicht noch eine Wanderkarte für morgen finden könnte.

Auf dem Feld finde ich ein paar kleine Bunker aus der Epoche des Zweiten Weltkrieges. Im Tal dahinten sind ein paar Truppenunterstände in die Hänge gebaut, die noch immer deutlich zu erkennen sind. Eine Infotafel informiert mich darüber, daß hier der südlichste Zipfel der Miagnot-Linie war, mit der Frankreich seine Ostgrenze verteidigen wollte. Schwer vorzustellen, daß in dieser abgelegenen Landschaft mal Soldaten auf den Angriff gewartet haben.

Im nächsten Dorf merke ich plötzlich, daß die Häuser gar nicht mehr wie Frankreich aussiehen. Nicht, daß es ein allgemeingültiges Frankreich-Dorfbild gäbe, aber das hier sieht einfach anders aus als alle die Dörfer der letzten Monate. Genauso wie die Sprachen nicht an den Landesgrenzen Halt machen, sondern darüber hinweg fließen, ändern sich die regionalen Baustile nicht auf Kommando. Frankreich sah schon lange vor der Schweiz wie die Schweiz aus. Und hier sieht Frankreich nun wieder aus wie ein süddeutsches Dorf -- naja, eher wie eines, das in einen Farbtopf gefallen ist. Aber vielleicht ist das ja der französische Touch...

Ferrete meint es gut mit mir. Im Simply-Market gibt es nicht nur noch handwarme Baguettes, sondern auch wieder ein ganzes Regal mit Karten. Gleich neben einem Stapel Bibeln - für 1,50 EUR im Sonderangebot. Wahrscheinlich kommt der Pfarrer täglich gucken, ob eine davon verauft wurde. Und natürlich habe ich Glück -- bei den Wanderkarten ist genau das Blatt noch vorrätig, das ganz an der äußersten rechten Ecke mein Ziel für morgen noch abbildet: Weil am Rhein. Deutschland. Morgen ist es also soweit, ich werde über den Rhein gehen und wieder in Deutschland sein. 

Hinter der nächsten Kurve wird Ferrette dann auch noch plötzlich schön. Ganz unerwartet. Mit Château-Ruine, Altstadtgassen, Kräutergarten und allen anderen Requisiten der "Unser Dorf soll schöner werden"-Versuche. Die Terrasse der Pizzeria, an der ich vorbeiziehe, lockt mich ganz heftig für ein Mittagessen, aber ich habe im Rucksack die frisch eingekauften Leckereien aus dem Simply-Market. Und am Ententeich packe ich erstmal alles aus, es gibt Baguette mit Gänseleberpastete und Elsäßer Würstchen. Dazu köstliches Orangina.

Im Wald überhole ich eine kleine Gruppe hier deplazierter pubertierender Mädchen, die mich dank schlimmer Mucke aus dem Handylautsprecher nicht von hinten antraben hören. Ich kann mir ein kleines "Buh!" nicht verkneifen... Anscheinend sind die Damen zum schulischen Orientierungslauf verdonnert, sie haben eine Karte mit markierten Punkten dabei, die sie anlaufen müssen. Sie haben aber offensichtlich nicht mal die leiseste Ahnung davon, wo sie gerade sind, weil sie einfach einer Gruppe vor ihnen bis zu diesem Weg gefolgt sind. Ich zeige Ihnen die Richtung und ziehe das Tempo an, den es ist derselbe Weg, den ich auch nehmen wollte. Kurz darauf hab ich sie abgehängt und treffe dafür gleich die nächste Truppe, wobei diese Damen deutlich weiter in puncto Kartenlesen sind. Sie wissen immerhin schonmal ungefähr, wo sie sich befinden...Auch diese Damen kriegen noch einen guten Richtungstip von mir. Goldig...

Auch wenn der Himmel recht bewölkt ist -- es ist wie immer in den letzten Tagen ziemlich warm. Die letzte Stunde bis zu meiner Unterkunft brutzele ich langsam auf der Landstraße, bis ich gar bin. Mein Zimmer ist mau und als ich später runter ins Restaurant gehe, ist es da plötzlich so voll, daß ich fast rückwärts wieder raus und ohne Abendessen ins Bett gegangen wäre. Statt dessen pfeife ich auf's Geld und gönne mir zum Abschied das große Spargelmenü.

Mein letzter Abend in Frankreich. Aber wie gesagt -- Abschied gefeiert habe ich schon gestern. Wenn ich an morgen denke, denke ich vor allem ans Ankommen in Deutschland. Frankreich liegt schon hinter mir.


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