Donnerstag, 28. Juni 2012

Ich kann die Heimat schon riechen!

Mittwoch, 27.06.2012
Neuendettelsau nach Rednitzhembach
7 h / 27 km

Das christliche Leben beginnt früh. Gestern Abend war ab 21:00 Uhr Totentanz auf den Straßen, am Morgen herrscht schon ab 07:00 Uhr Hochbetrieb. Wir treffen uns zum frühen Frühstück, um Julias Zug in Richtung Heimat noch zu erwischen, ich drücke ihr ein bißchen Fracht für Berlin in die Hand, stecke noch den Segensspruch ein, den ich gestern statt der obligatorischen Schoko- oder Gummibärchen-Hotelaufmerksamkeit auf meinem Kopfkissen gefunden habe und ab geht's zum Bahnhof. Kurz vor unserem Abschied lernen wir noch, daß die Ghetto-Abkürzung für Neuendettelsau nicht wie vermutet NDA, sondern N'au ist. Und dann kommt Julias Bummelzug zurück in das Reich der Heiden, sie freut sich auf hauptstädtische Dinge wie thailändisches Essen und Club Mate und ich bin ab sofort wieder alleine unterwegs.

Auf dem Feld ist alles wie früher, das Korn wiegt im Wind und die Sonne knallt, soweit die Wolken sie lassen. Ich bin froh über solche Konstanten und über die Gewissheit, daß mich jeder Schritt der alten Heimat näher bringt. Mein heutiges Ziel Rednitzhembach kenne ich zwar nur vom Namen her, aber der Name riecht nach Nähe zu meinem alten Zuhause Feucht. Schon nach noch einmal zwei Stunden mache ich die erste Pause, lese ein bißchen und schaue den Ameisen auf dem Boden zu, wie sie sich über die Krümel meiner Käsestange freuen. Der nur auf den ersten Blick gut verpackte Wurstsalat vom Neuendettelsauer Metzger sorgt dafür, daß ich mich reichlich mit Wurstwasser einsaue -- ein Fest für alle Fliegen in der Nähe. Für alle Bremsen sowieso. 

Hinter Veitsaurach verschluckt mich der Wald, weite Fichten-Monokulturen, Blaubeersträucher am Boden. Es riecht nach warmem Waldboden und wilden Erdbeeren, von links ist das leise Fauchen der Autobahn zu hören, und ich sehe die ganzen Kilometer im Wald keinen Menschen. Erst kurz vor Kammerstein kommt mir ein Auto entgegen, daneben ein Schäferhund, der spazieren gefahren wird. Hinten sitzt die Tochter im offenen Kofferraum, Mutti fährt, Bello läuft. Die beiden Damen sehen auch sonst so aus, als ob sie ihre Probleme eher auf Redneck-Art lösen, wenn ich das mal so salopp sagen darf.

Irgendwann komme ich am ersten Ortsschild mit dem Zusatz "Landkreis Roth" vorbei und muß stehenbleiben. Das Ansbacher Land liegt jetzt hinter mir, Ansbach, Neuendettelsau, Dinkelsbühl -- alles fränkische Orte, die ich von früher her irgendwie kenne, aber zu denen ich kein wirkliches Verhältnis habe. Nicht daß ich das in intimerer Weise zum Landkreis Roth hätte, aber es ist der Nachbarlandkreis von meinem alten Landkreis Nürnberger Land. Plötzlich merke ich, daß Feucht und Altdorf wirklich nicht mehr weit sind. Die Routen meiner Radtouren führten durch diese Wälder. Beim Schild "Schwabach 3 km" wird das Gefühl noch stärker. Das liegt doch gleich um die Ecke von zuhause. Und langsam hämmert sich ein Gedanke seinen Weg durch die Hirnwindungen nach vorne und setzt sich dort fest: "Scheiße, war das weit." Zum ersten Mal beginne ich die Tragweite der 2.500 Kilometer zu ahnen, die ich hinter mir habe. Nicht nur ein Wiederfinden von Orten, die ich mal besucht habe, sondern ein Wiederfinden von Orten, in der ich aufgewachsen und groß geworden bin.

Noch ein Tag und ich bin zuhause.

In den Hügeln bei Kammerstein verlaufe ich mich noch ein bißchen, bummele die letzten Kilometer nach Rednitzhembach mal eben weg und bei all dem denke ich nur einen Gedanken: Noch ein Tag und ich bin zuhause.

Als ich das Mädchen an der Hotelrezeption frage, ob sie mir mal bitte Rednitzhembach erklären könne, weil ich irgendwie nicht verstehe, wie das mit den vielen kleinen Orten auf der Karte funktioniert, die alle irgendwie zu Rednitzhembach gehören, lacht sie ertappt auf, als würde auch sie sich für diesen Ort schämen. Ich tue es jedenfalls -- alles menschenleer und neubaufrisch, das Zentrum ist ein neu verunstalteter Rathausplatz mit gigantomanischem Brunnen, auf den Rasen drumherum hat jemand Metallfiguren aufgestellt, die wie umlackierte und geschrumpfte "Bahnsteig-Infotafel-Riesenmännchen in rot" aussehen. Das Zimmer ist überteuert, die Speisekarte zu billig um ihr zu trauen, aber egal. Noch ein Tag und ich bin zuhause.

Es ist wirklich so schlimm, ich kriege diesen Gedanken nicht mehr aus dem Kopf. Morgen wird es einen Moment geben, an dem ich Territorium betrete, wo ich schon hunderte oder tausende Male war. Ich weiß schon genau, wo ich entlang gehen werde, wo ich mir ein Eis kaufen werde, welche Abzweigungen ich nehmen muß. 

Morgen bin ich das erste Mal auf dieser Reise nicht fremd.

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