Mittwoch, 6. Juni 2012

Aussicht satt. (Schwarzwald 1 : Harz 0)

Dienstag, 05.06.2012
Schwand (Kleines Wiesental) zum Belchen
6 h / 21 km

Zum Frühstück gibt mir der Seniorchef des Gasthofes noch zahlreiche Tips für die heutige Tour zum Belchen, für ihn der schönste Schwarzwaldgipfel überhaupt. Er serviert einen Wasserfall aus Ortsnamen, von denen ich mir überhaupt keine merken kann, also nicke ich einfach interessiert und setze einen inspirierten Gesichtsausdruck auf. Eine halbe Stunde später verlasse ich einen Laden, in dem ich gerne länger geblieben wäre, nicht zuletzt, um mich mal durch den Rest der Speisekarte zu arbeiten. Auch wenn ich mit mindestens 25 Jahren Abstand der jüngste Gast war...

Draußen ist es kühl und wolkig, die Wiesen sind naß -- aber nach Regen sieht es nicht mehr aus. Eigentlich sehe ich erst heute den Schwarzwald zum ersten Mal (gestern an meinem Pausentag habe ich noch nicht mal mein Zimmer verlassen und statt dessen nur rumgegammelt) und das ganze Panorama ist voll mit kleinen und größeren Hügeln, Wald und Wiesen. Sehr schick. Dagegen kann der Harz leider einpacken.

Es geht fleißig bergauf und bergab, aber ich bekomme ständig kleine Aussichten serviert. Das tröstet. In den Dörfern versuche ich herauszufinden, wie hier eigentlich die gültige offizielle Begrüßung ist, aber alle Dorfbewohner trällern mir entweder ein "Guten Morgen!" oder ein "Hallo!" entgegen. Das kann doch nicht der originäre Schwarzwaldgruß sein -- ich unterstelle daher sofort Touristenmodus. Egal, die Dörfer sind schön, es gibt viele alte Häuser und die wenigen Neubauten sehen meistens weniger schlimm aus als im Flachland. Irgendwann wird mir klar, daß die klassischen Schwarzwaldhäuser mit ihren tief gezogenen Dächern ein bißchen aussehen wie Darth Vader, was auch ganz wunderbar zu meiner röchelnden Atemtechnik bei steilen Aufstiegen passt.

Eigentlich ist der Tag ein schöner Spaziergang, dessen Lieblichkeit von so Namen wie Galgenköpfle, Sägemättle oder Ahörnle unterstrichen wird. Le, le, le. Da isses wieder, das Standardanhängsel. 

[Einschub wg. akuter Textassoziation zu: "Verniedlung C-H-E-N / bleib nicht stehen wie the R-A-K-I-M / I made it this far / can't stop now / there's a will and a way and I got the know-how..." aus Kinderzimmer Productions, Quoterman; aber das nur am Rande...] 

Das zahlreiche Wandervolk, das ich so unterwegs treffe, ist durchgehend auf Schlendertour unterwegs. Kurz vor dem Aufstieg zum Belchen (1.414m) merke ich langsam, daß der Tag eigentlich schon fast geschafft ist. Seltsam -- bei der Planung hatte ich eher das Gefühl, daß heute furchtbar lang und anstrengend werden wird. Aber lieber mal nicht den Berg unterschätzen und so mache ich mich an einen langen Aufstieg und brauche für die 5 km bis zum Gipfel dann doch weit über zwei Stunden, vor allem weil ich zwischendrin auf herrlich sonnigen Aussichtsbänken dringend Mittagspause machen muß. Ansonsten kommen mir tonnenweise ausstaffierte Wanderer entgegen, die talwärts streben.

Oben warten schon die Massen. Naja Massen -- aber für einen Wochentag ganz ordentlich. Auf den Gipfel führt eine Seilbahn, daher ist hier von Gipfelromantik keine Rede. Den Gipfelrundweg hake ich im Eilmarsch ab, um mir nicht die ganzen Leute anschauen zu müssen. Da gucke ich lieber Aussicht, und die ist hier oben der Hammer. Hinter mir die Vogesen und meine Strecke von heute und gestern, links die Rheinebene, die sich mit einem doppelten Rhein und bretteben in der Ferne verliert, rechts unendlich mehr Täler und vorne Freiburg, der Feldberg und noch mehr Schwarzwald. Sehr schick. Das Meckern ist mir bei dem Anblick dann doch vergangen.

Auf dem Weg rüber zum Belchenhaus denke ich natürlich noch den Satz, der bei unseren Familienwanderungen eigentlich immer von irgendwem ironisch verkündet wurde: "Na toll, hier hätte ich auch mit der Gondel hochfahren können...", freue mich ein bißchen über dieses Ritual und werfe mich für ein Radler und eine Kartoffelsuppe auf die Terrasse des Belchenhauses und spiele Tourist. Dabei stelle ich:
Seit ein paar Tagen bin ich ja sprachlich wieder auf der Höhe. Französisch sprechen und verstehen ging ja zum Schluß ganz gut, aber mit der Muttersprache Deutsch ist es echt was Anderes. Ich kann wieder Plaudern, mit der Bedienung scherzen und auch mal Zwischentöne einfließen lassen, was mit meinem Murks-Französisch echt nicht drin war. Das ist super, aber: -- auf der Terrasse des Belchenhauses merke ich endgültig, daß das auch einen Riesen-Nachteil hat. Ich verstehe plötzlich wieder den ganzen Schrott, den Tischnachbarn im Allgemeinen so reden. In Frankreich war mir das immer zu anstrengend, daher habe ich die Konversationen um mich herum immer ausgeblendet, aber jetzt krauchen die Gespräche von anderen Leuten wieder automatisch an meine Ohren. Und all die Banalitäten tun schon etwas weh.

Die letzte halbe Stunde runter zum Jägerstüble ist ein Spaziergang mit den Händen in den Hosentaschen. Bisserl bergab bis zur Talstation der Seilbahn und willkommen. Ein schräger Laden, der sich noch nicht zwischen 60er Jahren und 2012 entscheiden konnte und daher mal beide Zutaten serviert. Am Abend im Restaurant muß ich mir vom Nebentisch her die HartzIV/Erntehelfer/Polen-Diskussion mit anhören und stöhne innerlich vor Schmerzen. Verdammte Muttersprache...

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