Samstag, 31. März 2012

Grounded.

Natürlich muß ich die gestern Abend in die Runde geworfene Frage heute mit "Nein!" beantworten. Ich bin nicht in die Stiefel gekommen. Die verfluchte Blase am kleinen Zeh machte jeden Schritt zur Hölle. Also hab ich heute früh das ganze Frühstück hindurch mit mir gehadert, ob ich noch eine Nacht verlängere. SCHON wieder! Ich bin seit dem letzten Pausentag ja erst 2 Tage gelaufen. STÄNDIG muss ich Pause machen. So komme ich ja NIE an! 

Als ich den Dramatikschalter dann wieder ausgeschnippt hatte, gingen mir nochmal kurz die Argumente "Billiger Laden, bequemes Bett, schnelles Internet für weitere Tourenplanung, Einkaufsmöglichkeit." durch den Kopf und schon war die Frage gegessen. Noch eine Nacht in Gimont. Dafür hab ich dann aber auch die kommenden Tage durchgeplant und weitgehend auch durchtelefoniert, meine Unterkunft für das Osterwochenende entschieden (meine große Horrorvorstellung: Kilian ohne Unterkunft, weil alle Welt über Ostern aufs Land fährt) und insgesamt einfach meine Vorfreude aufs Weiterlaufen morgen noch weiter gesteigert. Und: Es hetzt mich ja nix. Das fiel mir dann auch irgendwann wieder ein.

Als Trostpflaster habe ich dann wenigstens einen kleinen Stadtspaziergang gemacht und ein paar Fotos mitgebracht. Gimont besteht aus einer amtlich verschlafenen Altstadt und einer amtlichen Route Nationale außenherum (nicht im Bild).

Viva la France.

Freitag, 30. März 2012

Ich war halt doch nicht beim Bund.

Freitag, 30.03.2012
Auch nach Gimont
6,5 h / 31 km

Auch beim Frühstück sind die Rezeptionsmädels in meinem schrägen Hotel noch jut drupp. Die Decke des Frühstücksraums ist verspiegelt, das heiße Wasser für meinen Tee macht die Frühstücksdame ganz entspannt mit dem Top auf dem Herd warm und überhaupt fühlt sich das alles an wie in einem Ferienhotel in Bulgarien. Aber ich will nicht meckern: Wenn man sich nicht vom ersten Eindruck bzw. dem Plattenbaucharme abschrecken läßt, wartet dahinter ein gutes, preisgünstiges und freundliches Hotel. Ich hab hier jedenfalls gerne gewohnt.

Danach der vorläufige Tiefpunkt des Tages: Rucksack packen. Irgendwie ist alles schon komplett vollgestopft und auf dem Bett liegt noch ein ganzer Haufen, der noch mitsoll. Der Einkauf von gestern Abend war wirklich komplett kopflos. Am Ende geht's dann irgendwie doch, mit 5kg mehr und einem unförmigen turmartigen Etwas auf dem Rücken wanke ich auf die Straße. Wieder am Supermarkt vorbei, biege ich drei oder viermal ab, dann ist wieder Ruhe mit Autoverkehr.

In Pessan bietet sich der historische Dorfkern samt Benediktinerabtei zum kurzen Fotostop an. Knipsiknipsi und weiter, die Etappe ist lang... 



Auf der Straße wieder das alte Spiel. Hügelketten, zu viel Sonne, zu wenig Schatten. Leicht Wind, der alles erträglich macht, Aussicht und Asphalt. Schon am späten Vormittag reißt das erste Mal der Schmerz durch den linken kleinen Zeh -- ich bin gespannt auf den Zustand der Blase da unten, die ich heute früh verpflastert habe. 

Den Rest des Tages verbringe ich damit, Strecke zu machen. Im besten Sinne. Die Felder ziehen vorbei, manchmal blitzen kleine Besonderheiten auf: Die immerhin 8 Hunde bei Le Charles, die mich aus dem Garten anbellen. Die herrlich kleinen Wege, über die mich der zufällig gefundene Wanderweg führt. Der Bauer in Le Cros, der mir vom Hügel herunter zuwinkt. Das kilometerlange Feld mit den seltsamen Farbschattierungen am Hang unter La Rochette. Das alte Schloß hinter l'Isle-Arné. Aber im Großen und Ganzen bleibt es ein einsamer Ritt über kleine Bauernsträßlein.




Über den Nachmittag macht die schlimme Stelle am kleinen Zeh noch zweimal fiese Faxen. Die letzte Stunde achte ich peinlich darauf, daß der linke Fuß nicht nach links außen abfällt (wie z.B. ständig der Fall, wenn ich einem Auto nach links auf den Randstreifen ausweiche), denn jedesmal fluche ich vor Schmerzen. Man gewöhnt sich dran, aber ich habe Schiß vor dem Auspacken später.

Und so kommt es auch. Unter dem Blasenpflaster hat sich die Blase nochmal verdreifacht, ich operiere ein bißchen daran herum und lasse es dann doch lieber bleiben. Davon wird es auch nicht besser. Ich beschließe, die sauteuren Hightech-Blasenpflaster zu boykottieren und zu den guten alten Heftpflastern zurück zu kehren. Die kannste Abends wenigstens entfernen...

Ich esse ein freudloses Halbpensionsabendessen im Restaurant, wobei die von der Kellnerin in einer schwungvollen Kurve vom Teller geschossene Kartoffel kein wirklicher Verlust war. Beim Versuch, meine Übernachtungen für die nächsten Tage klarzumachen, kriege ich konsequent niemanden ans Telefon und gehe frustiert auf meine Stube. Wer weiß, wozu's gut ist. Wer weiß, ob ich morgen wieder in die Stiefel komme.

Donnerstag, 29. März 2012

Idyllenschwerpunkt Montesquiou und kleiner Sonnenstich.

Donnerstag, 29.03.2012
Petit Haget (Montesquiou) nach Auch
7 h / 33 km

Gestern war Pausentag. Ich hab gerade lange darüber nachgedacht, wie ich den Tag eigentlich rumgekriegt habe, aber irgendwie hab ich wirklich nix gemacht. Außer frühstücken, etwas lesen, bißchen auf der Terrasse sitzen und ähnlichen Kram. Davon gibt es keine Fotos. Aber zum Abschied habe ich noch ein paar Fotos von den Gänsen gemacht, die hier wohnen. Brace yourself... Leider genügen die Aufnahmen in keinerlei Hinsicht den Erwartungen an die ultimative Tierfotografie -- schön gegen die Sonne aufgenommen und aus größerer Entfernung, weil die Biester ziemlich schreckhaft sind. Und vor allem laut, wenn sie aufgeschreckt werden. Also einmal Graugänse nach links:


Und einmal nach rechts:


Und jetzt ist auch wieder gut mit Tierfotos. Nach einem guten Frühstück und einer absurden Diskussion über den Zimmerpreis (Mme Brazzalotto wollte mich mit dem Halbpensionspreis für Pilger davonkommen lassen: 39 EUR pro Nacht incl. Frühstück und Abendessen. Das ist eindeutig viel zu wenig und vor allem weniger, als vorher die Rede war. Dabei war ich schon glücklich, daß ich das Zimmer für 41 EUR incl. Frühstück plus 18 EUR für das Abendessen gefunden habe. Von der Benutzung der Waschmaschine ganz zu schweigen... Wir einigen uns in der Mitte, ich lasse 100 EUR für 2 Nächte da und glaube, daß ich da irgendwann nochmal hin will.) ziehe ich los auf die Landstraße, die paar Kilometer bis Montesquiou, das oben auf einem Hügel thront. Ein uraltes Dorf mit alter Stadtmauer, schmalen Gassen und überhaupt Flair. Ein Google-Streetview-Rundgang lohnt sich... (--> rue nationale, montesquiou, gers, france)



Am Ortsausgang von Montesquiou dann erstmal der Schlag ins Gesicht: Ein Straßenschild mit "Auch: 29 km". ich bin heute schon 3 km gegangen, zu den Straßen-Kilometer-Angaben kann ich bei meinen kleinen Wegen und Umwegen immer locker 25% dazurechnen, das wären dann -- schon wieder 40km? Ich wußte ja, daß der Tag lang wird, aber so? Jammern hilft nicht, nur weiterlaufen. Und - am Ende war's ja dann doch nicht so weit...

Der Rest des Tages zerfließt in der Sonne. Gestern hatte es hier satte 26° (es ist März!) und heute ist es auch nicht viel kühler. Bei jedem Anstieg freue ich mich auf die Spitze der Hügelkette, weil da der Wind wiederkommt. Jeder Luftzug entlockt mir leise Seufzer des Frohlockens. 

In irgendeinem der zahllosen Täler habe ich mir eine kleine Straße mit - mal wieder - der einzigen Brücke auf Kilometer rausgesucht. Als ich von der großen Straße abbiege, sehe ich ein paar hundert Meter vor der Brücke schon das erste rote Schild aufleuchten: "Voie privée". Röchel. Ich entscheide, daß mir das jetzt wurscht sein muß und gehe weiter. Direkt nach der Brücke geht das Sträßlein quer durch einen größeren Bauernhof. Hier gibt es jetzt eine amtliche Kette quer über den Weg, über die ich mannhaft drübersteigen müsste. Ich bin ein braves Kind und rufe freundlich, eine ältere Dame erscheint, hebt erstaunt die Augenbrauen, als sie hört, daß ich bis nach Auch will und läßt mich freundlich passieren. Geht doch! Alles andere hätte satte 8 km Umweg oder Schwimmen bedeutet.

Gegen Nachmittag mache ich zum gefühlt x-ten Mal Rast im Schatten (viel öfter als sonst, die Sonne raubt mir irgendwie die Kraft), lege Sonnencreme nach, schnippe eine verirrte halbvollgesaugte Zecke von meinem Rucksack, genieße das würzige Aroma in der Luft, das von dem abgebrannten Bauernhof nebenan kommt, gönne mir eine Dose Cola und eine Möhre und mache meinen Frieden mit der Tatsache, daß Frankreich nun mal hügelig ist. Den nörgelnden Gedanken "Menno, komme ich nicht langsam in Gebiete, die etwas flacher sind?" hat Monsieur Brazzalotto gestern Abend beim Essen mit einem lauten Lachanfall kommentiert. Non. Frankreich wird hügelig bleiben. Bis zum letzten Tag.

Am Ende der Etappe geht mir die Puste aus. Die Hitze macht mir schwer zu schaffen. Im Übrigen auch dem Asphalt, denn es ist immerhin warm genug, daß meine Stiefel Abdrücke im Bitumen hinterlassen. Beim Abstieg nach Auch merke ich, daß ich heute eindeutig zuviel Sonne abbekommen habe. Der Körper wehrt sich. Noch ne knappe Stunde bis zum Hotel, wobei die Zielgerade auf der Route Nationale ein schwimmender Kampf gegen Autos über Autos ist. 

Das schräge Hotel Robinson, das ich in meinen Recherchen als "obskuren Kasten" bezeichnet habe, ist tatsächlich ein ebensolcher. Allerdings verhindern die zwei entspannten Rezeptionsdamen, die draußen auf der Treppe sitzen und Kaffee trinken, daß ich sofort das Prädikat "Vertreterhotel" vergebe. Wäre auch nicht gerechtfertigt, denn trotz Augenkrebs-Badezimmer mit pinker Badewanne ist das Zimmer preiswert, ordentlich, mit Balkon und überhaupt sehr nett. Da das Restaurant mal wieder geschlossen hat, pilgere ich später am Abend nochmal 10 ekelige Minuten die Route Nationale entlang zum Carrefour, einem Supermarkt mit walmarteskem Ausmaß und Angebot (Orangina in Dosen! Ich habe morgen Orangina als Mittagspausen-Belohnung!). Ich kaufe wieder viel zu viel ein (wie soll ich das alles morgen in den Rucksack kriegen!?), picknicke noch schön auf dem Balkon und knacke mir ein gutes Budweiser-Dosenbier, das mir prompt in der Hand explodiert. Auch egal.

Tag geschafft.

Für Otti.

Ob ich dieses Baby allerdings bis Montag bei dir habe, damit du deinen Volvo transportieren kannst, ist leider fraglich.

Mutti wartet schon.

Mit dem Stock...

Wege durch die Gascogne.



Städtepartnerschaftsvorschlag.

Für dieses Dorf würde sich St. Blasius (Elsaß) als Städtpartner empfehlen:


Gott sei Dank gibt's da nur 2 Häuser, also entsprechend wenige Leute, die sich bei peinlichen Dorfbegnungsabenden gegenseitig ihr Leid klagen könnten. Abgesehen von solchen Phantasien muß ich übrigens spontan an einen Wasserfall im Wallis denken: Den "Pissevache". Vache ist die Kuh. Den Rest könnt Ihr selber lösen.

Wasserschlösser und andere Irrtümer.

Dienstag, 28.03.2012
Marciac - Petit Haget (Montesquiou)
6h / 26 km

Marciac am Morgen. Damit der Tag gut losgeht, ärgere ich mich über ein vollkommen überteuertes Frühstück für 9 EUR, das ich wahrscheinlich in jedem Café hier am Marktplatz günstiger und schöner bekommen hätte.

Wieder warm, wieder keine Wolke am Himmel zu sehen.Sofort auf der ersten Hügelkette hinter Marciac gibt es wieder Aussicht über noch mehr Hügel, noch mehr Täler, noch mehr zu verkaufende Häuser (gefühlt jedes dritte...). Und wieder stille kleine Bauernstraßen auf dem Hügelkamm entlang, nur alle halbe Stunde braust die Bäuerin mit ihrem Citroen Jumpy oder Peugeot 205 vorbei. Hier komme ich an einer wohlgemeinten Picknick-Einladung vorbei, die liebreizende Menschen aufgebaut haben. Wobei ich mir nicht sicher bin, was das "gratis" bedeuten soll: Kannste hier gratis dein mitgebrachtes Picknick auspacken, quasi Sitzgelegenheit powered by Bauernhof nebenan oder stehen hier im Sommer - Achtung, Tagträume - kühles Orangina und hausgemachte Spezialitäten für den hungrigen Wanderer parat, die man sich gratis einverleiben darf? Ich hör schon wieder auf...

Auf der nächsten kleinen Bauernhofstraße kommt mir ein bergab ein Auto entgegen, hält an -- ich rechne schon wieder mit Diskussionsbedarf ob irgendwelcher obskuren Eigentumsverhältnisse -- aber der Fahrer will plaudern. Ob ich den Jakobsweg mache? Ich erkläre ein bißchen und kann förmlich dabei zuschauen, wie dem Fahrer die Courage flöten geht: "Einen Wanderer am Wegesrand vollquatschen, vielleicht, aber der Typ kann ja noch nicht mal richtig französisch. Warum hab ich denn überhaupt angehalten..?" Schneller als erwartet zieht der Kollege dann doch wieder von dannen und ich muß zum Abschied grinsen. Er hat wenigstens ein waschechtes "Auf Wiedersehen" zustande gebracht...

Meine Wanderkarte verzeichnet ab und zu auf den Hügeln ein "château d'eau" (zu deutsch Wasserschloß; die Dinger waren mir schon in der Nähe von Tarbes auf der Karte aufgefallen, ich hatte sie nur nie gesehen). Nachdem der ganze Tag eigentlich ständig "Hügel runter, Hügel wieder rauf" heißt, versüße ich mir die Aufstiege mit der Vorfreude auf die Wasserschlösser, an denen ich dann aber entweder unbemerkt vorbeiziehe oder die meinen Erwartungen in puncto Schloßmerkmalen doch nicht ganz gerecht werden. Kurz vor Puylebon fällt endlich auch bei Herrn Grauel der Groschen. Beim Anblick dieses château d'eau (siehe unten) komme ich endlich drauf, daß mir meine Romantikerwartungshaltung einen totalen Streich gespielt hat. Ein château d'eau ist mitnichten ein Wasserschloß, sondern ein Wasserturm. Ein technisches Zweckbauwerk für die kommunale Wasserversorgung. Der Tourist in mir wollte nur einfach wieder an jeder Ecke alte französische Schlösser sehen. Auf Biegen und Brechen!


Jetzt machen auch meine leisen Zweifel vom Vormittag irgendwie Sinn, nach denen ich ein Wasserschloß eher unten in der Ebene vermuten würde. Sollte man die Wassermassen für die Gräben und Teiche im 18. Jahrhundert ernsthaft nach oben auf dieHügelspitzen befördert haben und vor allem - wie? Aber wer nur zur Hälfte denkt, kriegt auch keinen Preis.

Ich genieße die letzten Aussichten des Tages, treffe überraschend eine Schlange im Straßengraben, die sich genauso schwer erschreckt wie ich. Wenigstens weiß ich jetzt, daß mir die Evolution einen Schockreflex mitgegeben hat. Als sich das Ding neben mir im Graben aufrichtet, merke ich einen heftigen Adrenalinschub und jede Bewegung friert ein. Erst zwei Sekunden später tickt die Uhr wieder, aber als ich nach er Kamera fummele, ist das Baby natürlich schon längst in seinem Rohr-Unterschlupf verschwunden. Leider bin ich ein totaler Loser im Schlangenbestimmen, selbst mit der Google-Bildersuche bin ich nicht so richtig sicher, was das denn nun war. Anyway. Ich gucke jetzt öfter in den Straßengraben als bisher.

Vorbei an dem schicken Schloßhotel (ja, echtes Schloß), für das ich zu geizig war, ziehe ich runter ins letzte Tal vor Montesquiou zur "Ferme des grisettes" (Bauernhof der Graugänse), wo Abendessen und Bett und ein Pausentag auf mich warten. Meine Gastgeber - und ich bin von den Chambres d'hôtes wieder nicht enttäuscht worden - sind von der aufgeschlossenen Sorte und alles wird gut. Die erste Frage von Mme Brazzalotto bei meiner Ankunft ist, ob ich ein kaltes Bier möchte. Ich möchte und ich könnte sie dafür umarmen. Und es bleibt gut: Zum Abendessen gibt es

Potage (Richtung Kartoffelsupppe)
Pilz-Quiche
Salat mit warmem Gänsefleisch (vom eigenen Hof)
Grießbrei

Auf den ersten Salat seit über 2 Wochen gehe ich dann doch ein bißchen ab. Über allem schwebt aber die Aussicht auf eine Waschmaschine für meine Klamotten morgen früh. Bebend vor Vorfreude schlafe ich ein, während draußen die Gänse noch ein bißchen im Dunkeln zetern.

Montag, 26. März 2012

Läuft doch.

Montag, 26.03.2012
Vic-en-Bigorre nach Marciac
5,5 h / 26 km

Au. Gestern schon: Au. Die kleinen Zehen melden sich, links und rechts. Rechts mit wund gescheuerten Stellen, links mit ner Blase. Heute früh gehe ich kein Risiko ein und tape alle Stellen neu. Die erste Stunde geht alles gut, danach muß ich mich zwingen, die Füße beim Laufen schön entspannt zu halten, ansonsten wird alles nur noch schlimmer. Fotos erspare ich den geneigten Leser hier jedenfalls. Dennoch erinnere ich mich gut, daß genau diese Stellen auch 2010 schon Thema waren. Sind zwar inzwischen andere Stiefel, aber noch dieselben Füße.

Damit steht auch die Entscheidung fest: Heute noch, morgen noch, dann ein Tag Urlaub. Kurz vor Montesquiou gibt es einen Bauernhof, der Zimmer vermietet. Mit Frühstück. Und Abendessen. Und bezahlbar. Und mit Gänsen (soweit sie nicht alle schon zu Foie Gras verarbeitet wurden...). Mit dieser Entscheidung, die die Unsicherheit der letzten Tage beendet und dieses ungute "weiterweiterweiter"-Hämmern im Hinterkopf unterbricht, kommt auch der Spaß am Laufen wieder zurück.

Hinter Vic: Ab in den Wald. Schon gestern Abend auf der Karte habe ich mich auf dieses Stück durch geschlossenes Grün gefreut. Die Realität: Ein seltsamer Pseudowald, unverbindlich nebeneinanderstehende Bäume ohne jegliches Unterholz. Anscheinend wird da regelmäßig um die Stämme herum gepflügt, um das Unkraut unten zu halten. Egal. Kurz danach Trinkpause an der Landstraße auf einem Holzstapel. Mutti auf Moped. Ein LKW. Ein paar Peugeots und Renaults. Ein Jogger, der Schiß kriegt und lieber rechts in den Wald abbiegt.

Abwechselnd quer über kleine Hügelketten, dann dahinter zwei Kilometer flaches Ackerland samt Fluß für die Bewässerungsanlagen, dann wieder eine Hügelkette. Es geht sich leicht heute. Der Wind weht mich zwischen den Feldern durch und rauf auf die Hügelspitzen, kühlt meinen Schweiß und erinnert an das Ferne. Überall schweres Gerät auf den Äckern, alles was einen Pflug oder eine Egge ziehen kann, zieht. Kurz vor Mittag holt die Bäuerin ihren Mann mit dem Auto von der Feldarbeit ab, der Traktor bleibt auf dem halbfertigen Feld stehen. Es ist 1215 Uhr, selbst wenn sich Vati noch schnell den gröbsten Dreck aus dem Gesicht wäscht, sind sie bestimmt pünktlich um halb eins am Mittagstisch.

Ich finde passend zur Mittagszeit ein kleines grünes Baumdreieck zwischen drei Straßen. Ich wage es, Stiefel und Socken auszuziehen, auch wenn ich Angst davor habe, das Elend anzuschauen, geschweige denn, später wieder in die Stiefel zu zwängen. Aber halb so schlimm. Zum Mittag gibt es ein Reststück Baguette, Möhren und Frischkäse. Wasser und Kitkat. Jetzt ist bis auf ein paar Fishermen's Friend alles aufgefuttert. Mit meiner Jacke zugedeckt schlafe ich mir ein kleines Mittagsschläfchen, immer wieder unterbrochen von einigen vorbeifahrenden Autos.

Später beim Aufstieg auf die nächste Hügelkette kommen mir Erinnerungen an einen Toskanaurlaub vor vielen Jahren. Die Aussicht auf die nächste Hügelkette und das Land dazwischen erinnert mich etwas daran. Alles glüht. Alles glüht in der Sonne, sogar die Bisam-nichtratte-nichtbiber, die ich in ihrem kühlen Swimmingpool beim Dösen erwische.

Als ich in Marciac mein Hotel suche, fühle ich mich leicht beobachtet. Irgendwas stimmt hier nicht, ich war hier schonmal. Der Platz, die Kreuzung -- verdammt. Google Street View. Hier hatte ich mich tatsächlich schonmal umgeschaut. Mein Hotel ist vorne schön und hinten nach guter alter amerikanischer Motel-Art gebaut, mit allen bekannten Nachteilen. Nur gut, daß ich nicht hier meinen Pausentag eingelegt habe. Am Platz gibt es noch einen Lädchen, ich kaufe mir kurz vor Toresschluß noch schnell eine Cola, genieße mein allabendliches Ritual und beobachte die Einheimischen. Abendessen fällt heute aus, die Pizza von gestern Abend ist mir anscheinend nicht so richtig gut bekommen (zumindest gebe ich ihr die Schuld daran). Morgen Abend auf dem Bauernhof gibt's wahrscheinlich sowieso wieder 4 Gänge...

Seltsame Dinge in Frankreich. Teil 2.

Ein Brotbriefkasten. Für das Baguette, das der Bäcker jeden Morgen frisch liefert. Die meisten Leute haben einfach irgendwelche Tütenlösungen an der Haustür hängen, aber es gibt anscheinend auch Brotbriefkästen.

Für Otti.

Oder vielleicht doch ein Panda 4x4? Mit Bullenfänger und Zusatzscheinwerfern? Und vor allem (aber da muß man richtig reinzoomen, um sie zu sehen) mit Motorhauben-Schnellverschlüssen?

Für die Tante.

Guck mal, heute gefunden. Man kann sogar noch den ehemaligen "Royal Mail"-Aufkleber identifizieren...

Sonntag, 25. März 2012

Bauern mit Gesprächsbedarf.

Sonntag, 25.03.2012
Tarbes nach Vic-en-Bigorre
5 h / 24 km

Nachdem mich erstmal die Zeitumstellung komplett aus dem Konzept gebracht hat, spare ich mir die 11,50 EUR für das Frühstück und kaufe lieber im Spar um die Ecke ein. Frisches Brot, Schinken, Frischkäse und - Orangina, der neue Treibstoff meines Körpers. Jede Cola lasse ich inzwischen für die himmlische Säure von Orangina in der Ecke stehen...

Der Platz vor dem Hotel ist mauseleer. Kein Mensch zu sehen. Vor dem Haus parkt ein Kleintransporter des "Super Rebelle Président!" mit dem herrlichen Slogan "Yes, tu peux!". (Abends finde ich im zittrig leeren Veranstaltungskalender der Region heraus, daß der Kollege einen humoristischen Auftritt in Ibos hatte. Ein Vordorf von Tarbes. Wahrscheinlich hat er auch seufzend seine Nacht in einem der Kleinstadthotels am Platz verbracht.) 

Die Straßen raus aus der Stadt sind wieder leer, alle schlafen noch. Nur ab und zu sieht man einen vereinsamten Alten, der ein Baguette fürs Frühstück holt. Und die Sonne ist auch schon früh aufgestanden. Volles Rohr, kaum Schatten, immer feste druff. Bei meiner Frühstücksrast sitze ich herrschaftlich im Schatten eines uralten Baumes, 200m weiter romantisch die Fernverkehrsstraße, schräg gegenüber wartet eine einsame Mülltonne auf meine Abfälle, eigentlich alles perfekt. Daß ich mehr oder weniger in einem Ameisenhaufen sitze, merke ich erst etwas später (P.S.: Die letzte Ameise habe ich noch am frühen Abend aus meinem Bett entfernt...).

Zwei Stunden weiter in Andrest ist das Wanderglück wieder da. Kurz vor dem Dorf verästelt sich der Bach, der mich bis zu den ersten Häusern begleitet, in zig kleine Kanäle, die sich durch das ganze Dorf ziehen. Überall gluckst und rauscht es, also ich durch die leeren Straßen zuckele. Und überall riecht es nach frischer Wäsche. Von diesem Geruch bekomme ich inzwischen weiche Knie -- frische Wäsche heißt immer auch zuhause. Bei meiner Zuhausesituation muß eine schnelle Handwäsche im Hotelwaschbecken ausreichen. Immerhin der Dorfplatz von Andrest ist gnädig: Eine echte Bank im Schatten der Kirche. Für genau 20min darf ich da sitzen, dann ich die Sonne um den Kirchturm rum und treibt den Wanderer wieder auf die Straße.

Endlose Feldwege ohne ein Fitzelchen Schatten, staubtrockene Nebenstraßen und toujours Sonne, das ist heute mein Schicksal. Hinter Pujo folge ich brav dem dick und deutlich eingezeichneten Weg auf meiner Karte, den seit 2km eine wunderschöne, 3m hohe Hecke begleitet und schon beginnt wieder der Murks. Großes Tor, geschlossen. Schild, "défense d'entrer". Dahinter pflügt der Bauer und ich kann durch das Tor wunderschön auf dem nächsten Kilometer den Verlauf des Weges verfolgen, den ich gerne genommen hätte. Mist. Also weiter an der Hecke entlang, über ein etwas improvisiertes Brücklein aus alten Telefonmasten, der seltsame Popel-Pfad hier geradeaus endet doch bestimmt gleich wieder, also gehen wir mal auf Nummer sicher und biegen trotz geschätzten 2km Umweg nach rechts zum Dorf ab. Vor dem ersten Haus wartet der Bauer im Freizeitlook auf mich. "Vous êtes sur une propriété privée." Er schickt mich wieder zurück, wenigstens erklärt er mir einigermaßen freundlich noch den Verlauf des weiteren Weges. Daß sich ein Bauernhof derart mit Zäunen und Hecken und Toren kilometerweit von der Außenwelt abschottet, hab ich auch echt noch nicht erlebt.

Auf den letzten Kilometern komme ich noch an einem interessanten Wochenendhäuschen vorbei. Irgendein Freak hat sich neben seinen Fischweiher ein kleines Betonschloß hingestellt. Es fehlt eigentlich nur die Zugbrücke. Disneyland fürs Wochenende.

Direkt dahinter beginnen die Neubaugebiete. Familien auf den Terrassen. Autos vor der halbfertigen Gartenmauer. Scheuklappen hoch - Augen zu und durch. Beim Einmarsch in Vic formt sich immer mehr das Wort "Eisdiele!?" in meinem Hirn, denn für ein 6.000-Einwohner-Kaff reihen sich hier viele Läden und Bars an der Hauptstraße entlang. Eisdiele ist nicht, dafür ein herrlich kühles Zimmer mit geschlossenen Jalousien, wo ich die ersten 2h meines restlichen Nachmittags erstmal die Sonne draußen vergesse. Das Restaurant ist heute Abend geschlossen und als mich später der Hunger auf die Straße treibt, reihe ich mich brav in die virtuelle Warteschlange des Pizzaladens ein, aber die Aussicht auf eine frische Pizza ist es mir echt wert. Lecker war es am Ende nicht, aber so kann ich wenigstens mit einem Bier in der Pfote noch ein bißchen dem Reigen der Dorfjugend zuschauen. Ist ja jetzt Gott sei Dank auch ne Stunde länger hell...

Frühling is.