Montag, 9. April 2012

Transsylvanische Einsamkeit und Strategien zur Altstadtvermeidung.

Montag, 09.04.2012 (Ostermontag)
Najac nach Villefranche-de-Rouergue
6 h / 25 km

Endlich geht's wieder los. Dieser Satz dröhnt den ganzen Morgen in meinem Kopf. Um 0700 bin ich wach. Um halb acht stehe ich unter der Dusche. Um 0800 räume ich schonmal den Rucksack zusammen. Dann frühstücken. Danach nochmal schnell ein paar Sachen im Netz klären. Und los.

Um 1000 stehe ich mit einem furchtbar leichten Rucksack vor dem Hotel und ziehe endlich wieder los. Die zwei Pausentage waren herrlich, aber alles in mir will weiter, sowohl geistig als auch körperlich.

Der kleine Weg runter ins Tal zweigt direkt vom Platz vor dem Hotel ab. Auf Räuberwegen geht's langsam aber stetig am Hang entlang bis auf die Talsohle. Als ich mich aus Versehen nochmal umdrehe, thront das Château auf dem Berg wie ein Schloß aus einem alten Gruselfilm. Ein Gedanke, der die nächsten Stunden bestimmt. In diesem Tal gibt es nix: nur eine Eisenbahntrasse (auf der anscheinend alle 5-6h ein Zug fährt), einen Fluß und einen Wanderweg. Weit und breit kein Mensch zu sehen -- um es vorwegzunehmen: Die erste menschliche Seele werde ich erst 3h später sehen. Leere Wege, kein Auto zu hören, nur das Rauschen des Flusses. Das hätte eigentlich viel Friedliches, aber die Stimmung ist den ganzen Vormittag bestimmt von diesem schauerlich-schönen Anblick der Burgruine von Najac.

Nach einer guten Stunde biegt der markierte Weg am Tunnel Rouge ab, der geneigte Wanderer darf hier auf der Eisenbahnbrücke den Fluß überqueren und kurz darauf den ganzen Talhang wieder hochkeuchen und das Tal verlassen. Dazu habe ich eindeutig keine Lust, zumal auf der Karte ein mehr oder weniger durchgehender Weg markiert ist. Nach der Abzweigung wird es gefühlt noch einsamer - verlassene und verfallene Steinhäuser tauchen am anderen Flußufer auf, nirgends regt sich was. Würde nicht just in diesem Moment der einzige Bummelzug für diesen Vormittag durch das Tal tröten, wäre es noch unheimlicher. Kurz vor einem eingezeichneten Haus an einer Flußbiegung mitten im Nirgendwo ist es dann soweit: Ich stehe wieder vor Stacheldraht und vor der Entscheidung, entweder eine Stunde zurück zu gehen und auf dem langweiligen Standard-Pfad aus dem Tal rauszusteigen oder mir etwas einfallen zu lassen. 

Über den Stacheldraht klettern und einfach an dem Haus vorbeigehen kommt hier nicht in Frage, ich hatte gerade relativ frische Motorrad-Spuren auf dem Weg gesehen, also gehe ich mal davon aus, daß der Eigentümer vielleicht zum Osterwochenende auf seinem Landsitz im Nirgendwo sitzt. Bleibt Plan B: Der Eisenbahntunnel. Bitte jetzt kein Zug. Ist zwar theoretisch genug Platz nebendran, aber so eine Aktion könnte - wenn dich der Lokführer sieht - in Deutschland durchaus dazu führen, daß der Bahnbetrieb gestoppt wird und erstmal die Polizei ausrückt, um den Wanderer auf der Bahnstrecke zu suchen. Andererseits ist vor gerade mal 15 Minuten der wahrscheinlich einzige Zug für die nächsten Stunden auf der eingleisigen Strecke hier vorbeigefahren, wird schon werden. Mein Hasenherz pumpt Adrenalin, als ich die 700m im Stechschritt neben den Gleisen durch den Tunnel marschiere. Dahinter stoße ich wieder auf den Weg von vorhin und habe quasi die Flußbiegung samt Privatgrundstück abgeschnitten.

Danach wieder: herrlich einsame Wege, weit und breit kein Lebenszeichen von irgendwem. An der Kreuzung zur Straße isses dann echt genug. Der Weg, aus dem ich komme, ist von der Straße her mit sage und schreibe drei Schildern, der obligatorischen Strippe quer über den Weg, einem Sandhaufen UND einem tiefen Graben gesichert. Damit auch ja niemand...Kommt mal wieder runter, ihr Grundstückseigentümer Frankreichs.

Den Rest des Tages im Bummelschritt und bei gegenteiliger Stimmungskulisse parallel zur Bahnstrecke. Einen Zug, der mich im Tunnel hätte erwischen können, treffe ich die nächsten zwei Stunden nicht. Dafür einen weißen Peugeot, in dem ein junger Typ seiner Freundin illegale Fahrstunden gibt, drei Motocross-Fahrer auf der Suche nach spannendem Terrain, einem mißtrauischen alten Mann mit Traktor und kurz vor der großen Straße einen kleinen Pinscher, der sich beim Vorbeilaufen so nah von hinten ranschleicht und -kläfft, daß ich erst blind nach hinten trete und dann mit großer Geste und Fußstamper für Ruhe sorgen muß. Verfluchte Fußhupen, es sind immer diese kleinen Ratten...

Schon früh blitzt Villefranche am Ende des Tals auf, viel größer als erwartet, aber ganz offensichtlich auch mit historisch wertvoller Altstadt. Meine Lust, wieder Mittelalterfotos zu machen, ist heute auf dem Nullpunkt und ich umgehe das historische Kulturgut mutwillig und weiträumig. Durchs Industriegebiet mit seinen blinden Fenstern und zugenagelten Türen auf die Umgehungsstraße zu meinem Umgehungsstraßenhotel. Zu Essen gibt es heute nichts, der Supermarkt nebenan hat natürlich Feiertag bevor ich jetzt nochmal richtig runter in den Ort orgele, ziehe ich mir lieber eine Dose Schweppes am Automaten und gut isses. Dafür kann ich mir morgen gleich vor der Haustür ein schönes Picknick zusammenkaufen.

1 Kommentar:

  1. Coming soon: Bad Boy Kilian - Mein Leben am Rande der Legalität

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