Freitag, 20. April 2012

Alleine auf der Hochebene.

Donnerstag, 19.04.2012
Marvejols nach Mende
8 h / 34 km

Der zuverlässige Regen. Er hat die ganze Nacht durchgearbeitet, am Morgen ist die Luft kalt und - nebelfeucht. Ich bin zu geizig für das Hotelfrühstück für 9 EUR und hole mir in der Bäckerei nebenan für 1,85 EUR zwei Croissants und ein Schokobrötchen. In der Schlange hinter mir mehrere Leute, die ich eben beim Auschecken im Hotel auch schon gesehen habe...

Auf dem Weg aus Marvejols raus verpasse ich erstmal die richtige Brücke über den kleinen Fluß. Die nächste Brücke gibt es nicht mehr, da ist jetzt ein Zaun und ein Garten. Dann eben doch auf der Straße weiter. Weil ich die Hoffnung auf eine Brücke und die damit verbundene Hoffnung auf den schönen kleinen Waldweg, den ich drüben auf der anderen Seite am Fuß des Hangs die ganze Zeit sehen kann, nicht aufgebe, gucke ich immer suchend in die kleinen Seitenstraßen, ob da nicht doch... Eine alte Dame, die gerade in Puschen und rosa Morgenmantel über dem Nachthemd ihr Brot beim fahrenden Bäcker abholt, fragt gleich, ob sie mir helfen kann. Es folgt ein sich selbst erhaltender Dialog zwischen der alten Dame (die sehr wohl versteht, daß ich zu Fuß unterwegs bin und gerne eine Alternative zur Straße hätte) und dem Bäckereifahrer, der mit Zigarillo im Mund kaum verständlich nur wunderliches Zeug von sich gibt. War das französisch? Die beiden diskutieren angeregt miteinander, ich komme kaum zu Wort sondern halte nur ab und zu zur Illustration z.B. die Wanderkarte hoch. Irgendwann verabschieden wir uns mit großen Hallo und Helau und ich hab so das Gefühl, daß die beiden bei ihrem nächsten morgendlichen Flirt noch weiter über das Brückenthema sprechen werden.

Eine Brücke gibt es aber trotzdem nicht, also weiter auf der Straße. Eine Stunde weiter in Chausserans stellen mich - ausgerechnet beim häßlichsten Haus des Dorfes - die drei Hofhunde auf der Straße und kreisen mich clever ein. Während ich mir mit Brüllen Respekt verschaffe und mich innerlich schon halb auf Kampf einstelle, öffnet sich ein Fenster im Haus und ich atme auf, weil die Frau jetzt bestimmt die Hunde zurückpfeift. Nix da, sie bläkt MICH an, daß ich verschwinden soll. Es ist besser, daß sie meinen dankbaren Fluch auf Deutsch nicht versteht, wahrscheinlich hätte sie ansonsten die Köter gleich nochmal losgeschickt.

Auf dem langen Waldweg auf dem Hügelkamm finden mich die ersten Schauerwolken wieder, ich finde zum ersten Mal eine kleine Hütte im Wald, in der sich wahrscheinlich sonst die Jäger besaufen. Aus Prinzip mache ich hier Pause, warte ein paar Regen- und Graupelschauer ab (was keine Kunst ist, denn alle 5 Minuten kommen welche) und hätte Lust, hier einfach sitzen zu bleiben. Aber mir ist kalt und ich zuckele weiter, als die Sonne gerade mal wieder rauskommt.

Der Tag zieht sich zwar, dafür laufe ich über Stunden alleine durch schönen saftigen Nadelwald, auf schmalen Wegen ohne Stacheldraht und eigentlich sogar ganz ohne Zäune. Ich treffe nur bei den Windrädern einen Förster in seinem Panda 4x4 und bin mir nicht ganz sicher, ob ich ihn nicht gerade bei einem Nickerchen im Auto erwischt habe.

Mein Etappenziel Mende ist - wie bisher fast alle mittelgroßen Orte zwischen 7.000 und 20.000 Einwohnern - ein komatöses Etwas, das vor allem durch Trostlosigkeit auffällt. Die Hotels und Restaurants, an denen ich vorbeigehe, sind in der Betongläubigkeit der 80er Jahre stehen geblieben, eine Bäckerei und damit die Chance auf Törtchen finde ich auch nicht, also schnell das Abendessen eingekauft und im einsetzenden Regen runter zum Hotel.

Dort wird die Horrorvision wahr, vor der ich mich seit Wochen fürchte: Der frischgekaufte Joghurt läuft im Rucksack aus. Reichlich angefressen entdecke ich erst viel zu spät, daß in dem überteuerten Laden für 62 EUR / Nacht (ohne Frühstück) die Farbe in DIN A6-großen Stücken von der Wand kommt, der Badewannenverschluß erst nur ganz offen und dann endgültig und für immer ganz zu ist (was das Baden von meiner To Do-Liste streicht, denn ich möchte der Reinigungsdame nicht morgen früh mein kaltes Badewasser vom Vorabend zumuten; die Dame kann nun echt nix dafür...) und das Waschbecken vor allem die Füße wäscht, weil das Wasser anscheinend nicht in den Abfluß, sondern einfach auf die Badezimmerfliesen läuft. Die Sache mit dem gelben Scheinwerfer vor meinem Zimmerfenster, der außer der Hausfassade auch das Zimmer nachts schön hell macht, streiche ich von meiner Reklamationsliste für morgen früh, als ich später entdecke, daß es doch noch ein paar vergessene Fensterläden an meinem Fenster hat.

Merke: Von mittelgroßen Orten fernhalten.

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