Dienstag, 10. April 2012

Himbeertörtchen und Gewitter.

Dienstag, 10.04.2012
Villefrance-en-Rouergue nach Foissac
7 h / 30 km

Ich spare mir das Frühstück im Umgehungsstraßenhotel und baue auf den Supermarkt gleich gegenüber. Als die Hoteltür hinter mir zufällt, sehe ich einen ziemlich düsteren Himmel mit Gewitterwolken. Das kann ja heiter werden.

Der SuperU serviert mir das skurrilste Einkaufserlebnis, das ich mir vorstellen kann. Der Laden wird gerade komplett umgebaut -- bei laufendem Betrieb. Halbleere Regale, dunkle Gänge fast ohne Beleuchtung, Handwerker überall, abgesperrte Bereiche, schnell ausgedruckte Wegweiser zur Brotabteilung oder zum Gemüse, aus unfertigen Regalteilen aufgebaute Sackgassen, in denen sich alte Damen mit ihren Einkaufswagen verkeilen, überall suchende Gesichter und über allem das gehetzte Gefühl, daß man noch schnell alles zusammensuchen muß, bevor dieses Provisorium mit einem letzten pfeifenden Pfffff zusammenschnurrt. Die Dame von der Information läuft mir durch den halben Markt hinterher, damit ich meinen Rucksack vorne abstelle, ich finde die Getränkeecke nicht, aber alles egal: Neben dem Baguetteregal entdecke ich - Himbeertörtchen.

Draußen ist der Laden eine genauso große Baustelle wie drinnen, ich mache mich am Friedhof vorbei schnell aus dem Ort davon. Schon nach ein paar hundert Metern wartet eine niedrige Mauer auf mich und mein Frühstück und statt im Hotel für 8,50 EUR ein Croissant, ein bißchen Baguette mit Portionsmarmelade und eine Tasse Tee zu kriegen, frühstücke ich Himbeertörtchen, Joghurt, Baguette mit Käse und Schinken und einen Schluck Orangina. Daß mich dabei alle Anwohner der Siedlung, die mit ihren Autos an meiner Mauer vorbeifahren, anglotzen als wäre ich vom Mond, ist mir gerade herzlich egal.

Kurz darauf fängt es an zu regnen. Über Villefranche sehe ich die ersten Blitze, der ganze Horizont hinter mir ist eine dunkelgraue Wand. Ich äuge schon links und rechts auf die Felder, ob irgendwo ein Schuppen zum Unterstellen zu sehen ist, aber nein, statt dessen serviert mir die Straße: Bänke. Mit Mülleimern nebendran. Eine nach der anderen. Was für ein Hohn: Wenn ich bequem sitzen will, finde ich nix, wenn es regnet, gibt es Bänke.

Meine Suche nach Unterschlupf bleibt erfolglos, nach einer guten halben Stunde ist das Schlimmste vorbei, weiter hinten wird's schon wieder heller, aber ich bin erstmal getunkt. Die Hose könnte man mit dieser Nässe auch direkt aus der Waschmaschine angezogen haben und die Taschentücher aus der Hosentasche kann ich mit einer Hand auswringen. 

Das trocknet schon wieder. Und es braucht ungefähr eine gute Stunde, bis es kurz hinter Toulongergues wieder zu regnen anfängt. Selbstverständlich in dem Moment, als ich an einer Bank vorbeigehe. Erst tröpfelt es nur ganz leise, beim Aufstieg auf den Hügel spiele ich kurz mit dem Gedanken, in der Scheune da beim Bauernhof einfach Pause zu machen, sehe im letzten Moment aber noch den Hofhund, der im Heu pennt. Zwanzig Minuten später hätte ich alles geopfert, vor allem das Stück Wurst aus meinem Rucksack, um den Hund zu bestechen: Die Wolken werfen in einem guten Gewitterguß alles ab, was sie haben und ich stehe gerade auf freiem Feld. Ein paar hundert Meter weiter ist ein Futterplatz für die Kühe, mir scheißegal, da ist ein Wellblechdach drauf. Über eine halbe Stunde stehe ich klatschnass und bibbernd in diesem Metallkäfig mit Dach im Wind, bevor der Regen langsam nachläßt und ich mich wieder warmlaufen kann.

Den restlichen Tag verbringe ich mit sorgenvollen Blicken zum Himmel, die Gewitterschauer hängen immer wieder drohend an allen Fronten. Irgendwann läßt sich bei aller fotogenen Dramatik nicht mehr leugnen, daß die nächste Wand wahrscheinlich auf mich runtergehen wird, und so fängt es nur eine Dreiviertelstunde vor Etappenziel wieder an zu gießen. Wieder kein Unterschlupf zu finden. Als ich um die nächste Ecke biege, stehe ich vor einem Touristenparkplatz: Die Grotte von Foissac. Ein Büdchen bewacht den Eingang, verkauft Eintrittskarten für die nächste Führung, die in 10 min beginnt und schenkt außerdem kalte und heiße Getränke aus. Wenn mich die Straße eines gelehrt hat: An solchen Zeichen darf man nicht vorübergehen. Ich tue es zwar immer noch viel zu oft, weil ich meinen eigenen Kopfplan durchsetzen will, aber nicht hier. Nicht jetzt. Während die Dame meinen Tee bereitet, kippe ich ne Cola. Als ich den Tee getrunken habe, geht die Führung los. Dauer: Ca. eine Stunde. Das dürfte reichen, um das Gewitter vorbeizulassen.

Unten gibt es Stalagmiten und Stalagtiten, archäologische Fundstücke und Skelette, wir rennen mit dem Guide in fast 90 min durch die Höhle und als wir wieder oben ankommen, ist es draußen empfindlich kalt geworden. Dafür regnet es nicht mehr. Mission accomplished. Rucksack auf und weiter.

Aber nur eine Viertelstunde später hat mich der Regen erwischt und weicht mich auf den letzten paar Kilometern nochmal schön durch. Egal, was soll an einem Tag, an dem man Himbeertörtchen gefrühstückt hat, noch irgendwie zu meckern sein. Mein Hotel ist ein Landstraßenhotel an einer Kreuzung am Arsch der Welt neben einer Tankstelle; irgendwie konsequent, wenn ich mich an mein Umgehungsstraßenhotel von gestern erinnere.

Es gibt eine Badewanne, eine Heizung, genügend Kleiderbügel und Stühle, um alleallealle meine nassen Sachen aufzuhängen, ein Abendessen und doppelte Türen und Fenster gegen den Straßenlärm. Das alles zählt heute. Das Meckern oder Ärgern über das Weh und Ach von Hotelzimmern habe ich hier schon lange hinter mir gelassen. Waschen, schlafen, essen. Mehr braucht das Tier nicht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen