Mittwoch, 18. April 2012

In eisige Höhen.

Montag, 16.04.2012
Saint-Geniez-d'Olt nach Col du Trébatut (Les Salces)
8 h / 34 km

In der trügerischen Sicherheit meines Bettes war ich mir am Morgen nicht ganz sicher, ob das Heulen da draußen vor dem Fenster der Wind oder der Motor von den Baumaschinen der Straßenbaustelle war. Zunächst war mir das auch herzlich egal, es gab warme Croissants zum Frühstück...

Heute: Die Angstetappe. Ein Tag, den ich schon seit einer Woche sorgenvoll betrachte, während ich ihn von links nach rechts drehe, immer wieder auf der Karte verfolge und mir alle möglichen Gedanken dazu mache. Reichlich lang. Mit 1.000 Höhenmetern Aufstieg. Eigentlich zu viel. Aber kürzer geht nicht, da oben gibt es nur wenige Übernachtungsmöglichkeiten.

Ich starte früh, um ein bißchen Zeitpuffer zu haben und entscheide mich im letzten Moment an der Kreuzung an der Brücke, daß ich für den Aufstieg doch nicht den steilen Traktorweg nehme, sondern lieber die Straße. Weil es nicht so steil ist. Weil ich zur Not den Daumen raushalten kann. In den zwei Stunden Aufstieg bis Naves-d'Aubrac überholt mich genau ein Auto: Der Müllwagen. Soviel zu Argument Nummer 2. Das Argument des weniger steilen Aufstieges war allerdings richtig, ich komme wesentlich schneller voran, als ich gedacht hatte. Es ist knackig kalt, es ist windig und ein entgegenkommender Opa in seinem Auto hebt anerkennend den Daumen, als ich auf der Straße bergauf zuckele. All das zusammen macht die Sache sehr viel leichter.

Irgendwann sehe ich zum ersten Mal den oberen Teil des Tals, durch das ich später weiter aufsteigen werde. Es ist weiß. Mit einer Mischung aus Vorfreude und respektvollem Schaudern ziehe ich weiter und treffe in den nächsten 2 Stunden nur einmal einen Bauern, der gerade einen Zaun am Hang repariert. Selbst in dem kleinen Bergdorf Les Ginestes rührt sich nichts, nur ein paar Hühner und zwei laute Hunde sind zu sehen. Kein Mensch, nicht mal Rauch aus irgendeinem Schornstein. Als ich hundert Meter weiter oben langsam in das Weiß eintauche, fühlt es sich so an, als wäre ich alleine in einer leeren Welt unterwegs.

Ich finde die Weggabelung, an der sich entscheiden wird, ob ich auf der Straße gehen muß oder kleine Wege gehen kann und mein Wunschweg existiert tatsächlich (ich traue der Wanderkarte immer noch nicht 100%ig).  Weiter in das verschwimmende Weißgrau von Schnee und Nebel. Je höher ich steige, umso schärfer nimmt mich der Wind in die Mangel. Immer schön von links, er greift sich immer wieder eine Handvoll Schnee und wirft sie mir ins Gesicht. Ich habe schon lange freiwillig Jacke, Kapuze und überhaupt alles angezogen, was mich wärmt. Ein Königreich für Handschuhe... Als ich den letzten Bauernhof hinter mir lasse, finde ich zwar plötzlich Spuren im Schnee, die aber nach ein paar Kilometern genauso unvermittelt wieder aufhören. Trotzdem ist mir der Gedanke, daß hier erst vor ein paar Stunden jemand gegangen sein muß, ein großer Trost.


 Beim letzten Aufstieg zum Col du Bonnecombe auf ca. 1.300m wird der Wind zum Kampf. Durch jede Ritze sucht er sich einen Weg unter meine Jacke, mir ist elend kalt und ich frage mich langsam, was das für eine absurde Idee war, sich hier hoch zu quälen. Aus den vorbeizischenden Wolken taucht auf einer weißen Wiese ein einsames Pferd auf, mit kleinen Eisbommeln an Fell und Mähne. Wir trösten uns gegenseitig etwas, bevor ich mich wieder umdrehe, dem Wind das Gesicht hinhalten muß und weiterziehe. Bald gibt es die ersten Schneeverwehungen auf dem Weg, die bis zu den Knien reichen und spätestens jetzt ringt mir jeder Meter Weg einen lautlosen Kampfschrei ab. Irgendwann muß doch endlich die Straße kommen. Dann wird bestimmt alles besser.

Die Straße kommt, in Gestalt eines durchgängig gefrorenen Eisbandes. Ich gehe im Straßengraben, auch wenn der Schnee da tief und das Gehen mühsam ist, aber auf der vollkommen vereisten Straße finde ich selbst mit meinem Wanderstiefeln kaum Halt. Jetzt kommt der Wind genau von vorne, ich halte Mütze und Kapuze fest, damit sie mir noch vom Kopf wehen und irgenwann bin ich am Paß. Kurz vor der Kreuzung kommt mir ein Range Rover entgegen, dessen Insassen beim meinem Anblick die Augen aus dem Kopf fallen, als ich aus der Suppe auftauche. Ich grüße grinsend und biege rechts ab auf die D52 und plötzlich ist alles gut.

Der Wind kommt jetzt von hinten. Es geht bergab. Dann liegt die Straße im Windschatten. Bald darauf hören die Eisplatten auf der Straße auf und ich kann wieder normal gehen. Es wird wieder wärmer. Und der Rest ist ein Spaziergang. Noch ein paar Kilometer die Straße entlang, dann taucht mein Berggasthof auf. Ein Schaudern überkommt mich bei dem Gedanken, wie schräg doch die Tatsache ist, daß ich mich stundenlang mit 50m Sichtweite durch Niemandsland kämpfe, um dann am Abend an einem Ort aufzutauchen, an dem man mich erwartet. Mit Dusche und Bett und Abendessen. Draußen heult der Wind.

Und es wird noch besser. Die Wirtsfamilie ist freundlich, meine Wanderkarten für die nächsten Wochen, die ich per Post hierher bestellt hatte, sind gerade heute Mittag angekommen, das Zimmer ist warm, die Dusche heiß und zum Abendessen gibt es - endlich - Pasta. Darauf hatte ich schon seit Wochen mal wieder Lust. Ich trinke zufrieden ein Bier, schaue aus dem Fenster runter ins Tal und zig Kilometer in die Ferne, wärme mir den Rücken am Kamin, während draußen der Wind heult und die Sonne langsam hinter die nächste Bergkette rutscht.

Als ich nachts nochmal wach werde, ist der Himmel tiefschwarz, im Tal leuchten die paar gelben Lichter von St-Germain-du-Teil und ich sehe meinen schönsten Sternenhimmel seit Jahren. Nur die Kälte der Nacht treibt mich schnell wieder ins Bett. In Sicherheit.

1 Kommentar:

  1. Ogott! Wie seltsam, da so in diese Winterwelt einzutauchen, sogar für die Leserin hier. Bin so froh, dass Du in Sicherheit bist!!! Liebe Grüße! Kannst Du jemandem Handschuhe abkaufen???

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