Montag, 28. Mai 2012

Weiter nach Nordosten. (Und voll im Wohlfühlbereich...)

Sonntag, 27.05.2012
Gilley (F) nach Les Brenets (CH)
7h / 28 km

Shit. Schon wieder Prachtwetter. Wieder keine Wolke am Himmel. Wieder schon am frühen Morgen das Gefühl, daß ich mich heute über jeden Meter im Schatten freuen werde. Es ist ja nicht so, daß ich mich in den letzten Tagen nicht mindestens 1x täglich bei dem Gedanken erwischt hätte, daß ich nix gegen ein bißchen Regen hätte. Aber immer, wenn ich das denke, gehe ich mir schnell den Mund mit Seife auswaschen.

Valdahon liegt feiertagsmüde da, nur vor der Bäckerei stapeln sich die Autos und die Leute stehen bis auf den Bürgersteig Schlange. Am Bahnhof sitze ich noch ein bißchen auf der Bank und schaue dem fluchenden alten Mann zu, der irgendwann auch mich anranzt. Was er will oder was er meint, verstehe ich noch nicht mal im Ansatz. Ob sein Ärger hausgemacht ist oder ob er tatsächlich irgendwas von mir möchte, weiß ich nicht. Jedenfalls überlasse ich beim Einsteigen in den Zug den anderen Fahrgästen die Sorge darum, ob der Opa denn die Stufe schaffen wird.

Am Bahnhof in Gilley nehme ich meine Spur von gestern auf, was sich gut anfühlt. Es war eine komische Aktion, das mit der Bahn hin und zurück, aber es fühlt sich im Nachhinein richtig an. Ich hätte keine Lust gehabt, gestern Abend nach 7h weiter verzweifelt durch kleine Dörfer zu ziehen und nach einem freien Bett zu suchen, bevor es dunkel wird.

Wieder kommen die Wolken mit dem Tag, es ist nicht ganz so heiß wie gestern. Und ein leichter Wind macht alles wieder gut. Ich ziehe wieder durch sanftes Weideland und Wald, vorbei an Kuhherden, verliebten Päarchen im Gras und grillenden Familien auf der Veranda. Morteau wäre ein großer Ort, wenn nicht Sonntag wäre und sich alles in den Wohnungen verkriecht oder auf irgendwelchen Straßen spazierenfährt. Der Ort ist leer, wie ausgestorben. Nur der guten Ordnung halber laufe ich nochmal eine Schleife durchs Industriegebiet, um sicher zu gehen, daß die Supermärkte auch wirklich geschlossen haben. Natürlich sieht es dort noch viel leerer und ausgestorbener aus. Umso besser - das macht es mir leichter, den Ort einfach wieder hinter mir zu lassen. Etwas in mir hatte auf eine Eisdiele gehofft, aber das kann ich mir ja in Frankreich (bis auf mein Schätzchen Évian-les-Bains) offensichtlich abschminken.

Im Wald hinter Morteau muß ich erstmal einen Liter Wasser auf Ex trinken, weil ich's vorher immer vergessen hatte. Und erst, als ich mein heutiges Tagsziel schon am Talende winken sehe, setze ich mich zur Mittagspause hin. Immerhin mit frischem Baguette, Tomaten, Gurke, Frischkäse und viel Salz. Überhaupt, Salz!

Unten am Doubs schwappt plötzlich der Tourismus über mich herein. Es gibt Abfahrtsstege für die Ausflugsschiffe, Großparkplätze am Hafen, Campingplätze und allerlei Unnützes. Nachdem ich bisher bei meinen Grenzübertritten F <-> CH immer über die grüne Grenze gegangen bin, fotografiere ich stellvertretend den ersten Schweizer Grenzübergang dieser Reise. Dahinter verbirgt sich ein ausgeblutetes schweizer Grenzstädtchen, das daran krankt, daß in Frankreich alles billiger ist.

Meine Unterkunft entpuppt sich als Kiosk, der ein paar Plastikstühle rausgestellt hat, sich deswegen auch Bar nennt, und aus Versehen auch noch ein paar Zimmer vermietet. Es sind - oh Gott! - Mottozimmer. Mir wird "Marylin" zugewiesen, und fürderhin muß ich in einem Zimmer mit fünf Marylin Monroe-Bildern, rosa Wänden, einer Marylin Monroe-Waage, Blümchentapete und Vorhängen mit Quaddeln nächtigen. Wie immer egal, ist nur für eine Nacht, und es ist für schweizer Verhältnisse billig, solange man nicht den Fehler begeht, das Ganze in EUR umzurechnen.

Später gehe ich noch runter in die Bar und setze mich zu den Dorfalkoholikern, die von der ausgezehrten Wirtin mit der ledernen Haut und der Reibeisenstimme unterhalten und ausgehalten wird, trinke zwei Bier und freue mich zum ersten Mal auf Deutschland, während im Radio melancholische schweizer Popmusik läuft.

1 Kommentar:

  1. monsieur lombrage28. Mai 2012 um 22:25

    ich und alle anderen leser wollen wissen: welche weiteren mottozimmer gab es noch? mit der bitte um aufzaehlung!

    liebe gruesse,
    monsieur l'ombrage

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