Freitag, 11. Mai 2012

Fluchende Radfahrer und der Weg des Wanderers.

Donnerstag, 10.05.2012
St-Jean-de-Chevelu (Col du Chat) nach Vions
9,5 h / 29 km

Das geht ja gut los. meine gestern Abend frisch im Waschbecken gewaschenen Sachen sind noch naß. Ein herrliches Gefühl von Frische --- und feuchter Windel. Während ich noch ne halbe Stunde auf der Bank vor dem Hotel sitze und meine Zeilen in den Rechner hacke (und nebenbei meine Klamotten in der Sonne resttrockne), kommt die Wirtin und hält mir mein Telefon hin. Im Zimmer vergessen. Uff!

Die drei Kilometer runter zur Straße, die gestern qualvoll und zäh waren, gehen sich heute früh flott und locker weg. Und warum da auf der Straße so wenig los ist, erfahre ich auch bald. Der erste Radfahrer, der mir entgegenkommt, plärrt es mir zu: Die Straße ist weiter oben gesperrt. Jaja, klar. Ein paar Kurven später stehen dann die Absperrungen und ich könnte schreien. Gesperrt wegen Sicherungsarbeiten an den Felsen über der Straße. Und sie meinen es echt ernst: Nicht nur so eine laxe Absperrung zum drumrumkurven und weiterlaufen, sondern richtig. Mit Wachposten. Die Straße hoch zum Col du Chat ist die einzige Chance, heute noch auf die andere Seite der Berge zu kommen und einen Blick auf den Lac de Bourget zu werfen, bevor ich mich weiter nach Norden schlage. Also: Wachposten bequatschen.

Der Kollege entpuppt sich schnell als mein Held des Tages. Mit Walkie bewaffnet begleitet er mich einen guten Kilometer weiter zu einem Pfad durchs Unterholz, wo man die eigentlich gesperrte Stelle umgehen kann. Er hätte ja auch einfach faul im Auto sitzen bleiben und mich einfach - wie den Radfahrer - wieder runterschicken können... Macht er aber nicht. Er kümmert sich. Wir kommen ins Quatschen, Abde packt seine Deutschkenntnisse aus und am Ende sitzen wir noch ein bißchen auf der Mauer rum. Vielen Dank, Du hast meinen Tag gerettet!

Oben am Col du Chat sitzt schon sein Kollege und telefoniert, ich nicke kurz und biege nach links in den Wald ab. Kurz vorher kann ich die drei Rennradfahrer schon sehen, die ich gleich darauf laut fluchen höre. Umkehren, meine Herren!

Glücklich zuckele ich hoch über dem Lac du Bourget auf schmalen Pfaden nach Norden, ohne den See zu sehen. Erst eine gute Stunde später gibt es eine kahle Stelle am Hang, an der ich Blick auf Aix-les-Bains, Segelboote und die Berge am anderen Ufer kriege. Mittlerweise ist es brütend heiß, sobald der Weg aus dem Schatten der Bäume herausführt, schlägt mir schmatzend eine Keule heißer Luft ins Gesicht. Da hilft nur eine ausgiebige Mittagspause mit den Resten an Eßbarem, was geblieben ist. Ein einsames Frankfurter Würstchen. Eine Handbreit Baguette von vorgestern. Ein zerdrücktes KitKat. Und ein warmes Bier aus den Untiefen des Rucksacks, gestern Abend überteuert im Laden an der Hauptstraße erstanden.


 (Wer jetzt nach professionellen Panoramafotos schreit, kriegt eine gewatscht! Is nich!)

Später wird's besser. Am Touristensammelplatz mit Aussichtspunkt und mehrfacher Straßenanbindung gibt es überraschenderweise einen Kiosk. Ich warte ruhig auf einer schattigen Bank, bis die unterbeschäftigte Kioskdame ihr privates Mittagessen weggearbeitet hat und bestelle zwei Schinken-Sandwiches. Meine taktvolle Geduld, sie eben erstmal fertig essen zu lassen, ist anscheinend weder registriert noch gewertschätzt worden, denn die Dame ist knausrig. Bißchen Butter, bißchen Schinken, ein Gürkchen, vier Euro. Pro Sandwich. Was soll's. Wer weiß, wann ich wieder was kriege.

Unten auf dem See fährt gerade das Ausflugsschiff von der Abbaye d'Hautecombe in Richtung Aix-les-Bains ab. Ein paar Segler dümpeln auf dem See im Wind. Am anderen Seeufer ziehen die Autos lautlos auf der Uferstraße entlang. Fein so. Ich lese ein bißchen und eine gute halbe Stunde später ist die Aussicht immer noch genauso entspannend und schön anzusehen. 

Als sich die roten Plastikstühle vor dem Kiosk wieder mit dem nächsten Schwall Autotouristen füllen, zieht es mich weiter. Auf dem schmalen Pfad hoch nach Ontex verärgere ich eine Kuhherde nachhaltig, indem ich ihre eingezäunte Weide überquere. Ihr sich überschlagendes anklagendes Brüllen höre ich locker noch für die nächsten zehn Minuten. Oben angekommen schwöre ich mir, heute keinen Meter mehr weiter nach oben zu steigen. Das zweite Schinkensandwich, das eigentlich für später in den Rucksack wandern sollte, wanderte statt dessen doch direkt in den Magen (getreu dem Motto "Was de hast, haste.") und da fühlt es sich nicht wohl.

Für die letzten zwei Stunden auf dem Jakobsweg, ich keuche trotz gegenteiliger Vorsätze einen Weinberg hoch, der anscheinend von der örtlichen Anarcho-Kooperative betrieben wird und zwei Kilometer später verläßt mich die Lust. Erst in Chanaz an der Rhône lande ich auf einem aufgeräumten Touristenmarktplatz, gegenüber winkt schon der frischgemähte Rasen des Parks neben dem Kanal und an der Ecke - eine Bäckerei. Ich lasse für einige Törtchen und eine große Flasche Motivations-Cola (die mit 3,50 EUR zu teuer ist, deshalb von niemandem gekauft wird und daher schon ewig im Kühlschrank steht und also - und hier kommt der Kaufimpuls - eiskalt ist) genug Geld, um damit in Berlin auch ein schönes Abendessen mit Getränken zu erstehen. Egal. Angebot und Nachfrage. 

Ich habe Nachfrage nach Essen, meine Zimmervermietung heute Abend gibt nix her und die Dörfer hier mit ihren 400 Einwohnern halten keinen Laden am Leben. Also trage ich die letzte Stunde wie ein Depp den Törtchenkarton über die Landstraße und bin plötzlich der Magnet der Blicke. Magischer Törtchenkarton, du bist einfach der Beste.

Nachdem ich mir mit viel kaltem Wasser den Schweiß und den Dreck der Straße weggeduscht habe, gucke ich mir erstmal von der Terrasse meiner Unterkunft den weitläufigen Garten aka Teichlandschaft an, recherchiere die heutige Höchsttemperatur (schwülwarme 29°), esse zwei Törtchen, trinke zwei Liter Wasser und bin plötzlich so müde, daß nix mehr geht. Draußen fangen gerade die Frösche im Teich das Plärren an - dann kann ich wenigstens gleich mal rausfinden, ob das zum Einschlafen romantisch oder einfach nur nervig ist.

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