Freitag, 25. Mai 2012

Schluchtenwanderung - und am Ende bin ich pötzlich in den Bergen.

Donnerstag, 24.05.2012
Goumoens-la-Ville nach Vallorbe
8,5 h / 29 km

Hrmpf. Schon wieder Kaiserwetter. Nach einem Frühstück mit hausgemachtem Brot (noch warm), selbstgemachter Marmelade, dem guten Apfelsaft usw. stehe ich wieder auf der Landstraße in der Sonne. Meine Vorurteile / erste Abneigungen gehen die Schweiz schmelzen langsam...

Vorbei am Golfplatz "Le Brésil", dessen Name mir den ganzen Tag einen furchtbaren Ohrwurm beschert. Wenn ich mir den Parkplatz des Clubs so anschaue und dabei auch noch die vormittägliche Uhrzeit in Betracht ziehe, kann es den Leuten hier ja nicht allzu schlecht gehen. Aus reiner Boshaftigkeit stehe ich noch ein bißchen am Waldrand rum und beobachte zwei Damen beim Üben, die sich wunderbar irritiert fühlen.

Der Weg führt runter in ein schattiges Flußtal, was zur Mittagszeit eine super Idee ist. Vom Wasser hier riecht es zwar ein bißchen wie am Gauchsbach hinter der Kläranlage, aber was soll's. Das krasse Gegenteil sind kurz danach die Plaines de l'Orbe, ein brettebenes Tal, wie ein ausbegreitetes Handtuch am Pool der Sonne ausgesetzt. Und die knallt heute wirklich gut! Von Norden kommt aber ein kräftiger Wind und macht das Ganze wieder erträglich. Auf der anderen Seite des Tals gibt es Weinberge, die ich hier nicht vermutet hätte. Und - das können die Schweizer echt - in der Kurve, mit Aussicht, im Schatten: eine schöne Bank. Eine solche Einladung zum Sitzen kann ich in der Mittagshitze einfach nicht ausschlagen. Und so lasse ich mich solange vom Wind trockenpusten, bis ich mir kalt wird.

In Orbe durchsuche ich wieder Kioske und Schreibwarenläden nach französischen Karten: nüscht. Dann muß ich eben morgen sehen, ob ich "im Lauf" irgendwas finde. Falls nicht, heißt das einen ganzen Tag auf der Landstraße. Bis nach Pontarlier, das Kaff ist groß genug, daß ich da auf jeden Fal was finden kann.

Weiter ins nächste Flußtal. Die nächsten 4 Stunden sind schlichtweg der Hammer. Die Orbe fließt durch tiefe Kalksteinschluchten mit steilen Hängen, leider führen die Wege relativ weit oben entlang und nicht unten am Wasser. Ständig schaue ich sehnsuchtsvoll runter in die Schlucht, das Wort "Baden!" blinkt in meinem Kopf, aber bei jedem Abwägen von Badevergnügen und Kraxelstreß bis runter zum Fluß gewinnt die Vernunft und ich bleibe lieber oben auf dem Weg. Als ich etwas später vor einem Wasserkraftwerk stehe, wird mir auch klar, daß ich hier vielleicht lieber nicht baden sollte... Dafür folgt der Weg jetzt den Fallleitungsrohren. Man kann das Wasser drinnen rauschen hören und die Rohre sind wunderbar kalt. So kann man wenigstens mal schnell den Armen eine super Abkühlung bieten (auch wenn das reichlich dämlich aussieht).

Es wird immer wärmer, an manchen Stellen des Weges schlägt mir die heiße Luft wie mit einer Keule in die Fresse. Nur ein paar Meter weiter im Schatten ist es wieder herrlich kühl. Und dieses Wechselbad schlaucht. So schade es ist, daß ich nicht unten am Wasser wandern kann, so froh bin ich, daß dieser Weg ohne größere Steigungen verläuft. Nach einer weiteren Stunde geht erstmal nix mehr. Weil ich schon nichts mehr zu Trinken habe, zapfe ich mir an der Quelle mit dem eiskalten Wasser schnell zwei Liter und suche den nächstbesten Schattenplatz. Da hinten auf dem alten Baumstamm neben dem Weg, da wird Pause gemacht! Entgegen aller Gewohnheiten entledige ich mich der Stiefel und Socken. Das Gefühl der brennend heißen Füße auf dem kalten Wandboden ist eine Sensation...

Der Weg hat echt was. Kurz hinter Les Clées geht es nochmal fruchtig bergauf, dann führt der Weg wieder ohne einen einzigen Meter Höhenunterschied hoch über dem Fluß entlang. Und weil da ab und zu ein paar große Felsen im Weg sind, gibt es kleine Fußgängertunnels. Außer einem Angler habe ich in den letzten Stunden niemanden getroffen, was klasse zu der Abgeschiedenheit dieses kleinen Tals passt. Nur Bäume, Felsen und ein paar verrostete Überreste alter Stauwehre. Ganz am Ende der Schlucht liegt plötzlich ein Teich mit Kiesstrand, ich muß sofort an den Abschiedssee aus "Herr der Ringe 1" denken, nur deutlich kleiner. Hinter der nächsten Ecke liegen zwei Rucksäcke zwischen den Felsen und ein Stück weiter neben dem Wasserfall die beiden unbekleideten Besitzerinnen. Hmm, willkommen in den Gentleman-Falle. Wie soll ich jetzt bitte das fällige Trophäen-Foto vom Wasserfall machen, ohne die Mädels mit aufs Bild zu kriegen? Das würde mich ja schon stören, die beiden Damen aber sicherlich umso mehr...

Also spare ich mir grummelnd das Belohnungsfoto, kraxele dafür noch ein bißchen durch die verlassenen Kraftwerksschächte und -röhren und wuchte mich dann den großen Anstieg nach Vallorbe hoch. Vorbei an Kletterwänden, riesigen moosbewachsenen Felsbrocken, tollen Höhlen und all so Dingen, die mir schon als Zwerg Spaß gemacht haben. Beim Anstieg merke ich, daß heute so langsam Essig ist mit meinen Kräften. An einem etwas steileren Stück mit Geländer ziehe ich mich keuchend wie eine alte Frau mit Teerlunge am Handlauf hoch, als müßte ich gerade den Mount Everest ohne Sauerstoff besteigen. Aber es sieht mich ja Gott sei Dank keiner.

Kurz vor Vallorbe dann zur Belohnung für einen sowieso schon tollen Tag noch ein optisches Törtchen. Vor vielen Stunden habe ich die heiße Ebene mit ihren kilometerweiten Blicken und endlosen Feldern verlassen, quasi eine Agrarschweiz. Ich bin eingetaucht in ein enges Flußtal, dem ich gefolgt bin, nur einmal unterbrochen von einem kleinen Dorf. Von der Landschaft ringsrum war bis auf die Hänge der Schlucht und den blauen Himmel nix zu sehen. Und jetzt, sechs Stunden später, bin ich plötzlich in den Bergen. Warum die Schweizer in diesen Blick so ein monumentales Getreidesilo gekloppt haben, weiß ich leider nicht, aber irgendwie passt es zu dem schrägen Moment.


Vallorbe ist größer, als ich gedacht hatte. Ich zähle drei Bäckereien, zwei nebeneinanderliegende Mini-Dorfsupermärkte, vier Bars und drei Restaurants. Das alles auf 300m Hauptstraße. Not bad. Meine Unterkunft ist - naja - basic. Jugendherbergsstandard mit Leinenschlafsack und Stockbett. Offensichtlich habe ich immerhin das einzige Zimmer mit eigenem Waschbecken bekommen, Dusche und Klo sind natürlich für die ganze Etage. Egal, das Zimmer ist billig. Und das gesparte Geld investiere ich sofort in eine Pizza im "Restaurant Le France". Von außen schlimmer Laden, die Pizza kann allerdings zur Abwechslung mal was. Was will man mehr? Nach einem guten runden Tag ein gutes rundes Stück Futter.

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