Donnerstag, 31. Mai 2012

Vive le Doubs..!

Mittwoch, 30.05.2012
Goumois (F) nach Saint Ursanne (CH)
7,5 h / 30 km

Die Nacht war eiskalt, aber wer mit offener Balkontür schlafen will, nachts frierend aufwacht und sich aber zu fein ist, aufzustehen um die Tür zuzumachen, muß sich nicht wundern, wenn am nächsten Morgen die rotzige Nase nach dem Taschentuch ruft.

Beim Frühstück seufze ich schon wieder innerlich, weil mal wieder nix Essbares zu sehen ist. Also wieder Zuteilungsfrühstück mit vorportionierter Marmelade. Aber es kommt keiner. Und als die Dame von gegenüber mit leerem Teller nach nebenan geht, ahne ich schon was Sache ist. Und tatsächlich: Nebenan ist eines der größten Frühstücksbuffets aufgebaut, die ich bisher in Frankreich gesehen habe. Vor lauter Schreck esse ich nur ein bißchen Müsli und Baguette mit Blaubeermarmelade. Käse und Wurst aufs Brot kann ich mir gar nicht mehr so richtig vorstellen...

Beim Start in den Tag ist es schon wieder dampfend heiß. Die feuchte Luft unten im Flußtal verstärkt das Hitzegefühl nochmal und kein Wind regt sich. Nach der ersten Stunde überhole ich etappenweise eine kleine Gruppe von Freiwilligen, die sich um die Erhaltung der Wege kümmert. Der Erste motorsägt, die Zweite hackt, der Dritte schneidet usw. Das machen sie alles schön im Laufen und so kann ich innerhalb von nur ein paar hundert Metern gleich 8x "Bonjour" trällern.

Nach einer guten Stunde weitet sich das Flußtal zusehends und die ersten Wiesen links und rechts des Doubs beginnen. Das ist einerseits schön, weil durch das breitere Tal der Wind auch mal eine Chance hat, einen Hauch Frischluft bis zum Fluß runter zu transportieren. Wenn aber gerade kein Wind geht, ist es umso heißer. Der Fluß riecht leicht algig und inzwischen ist mir bei dem Anblick des Wassers die Lust auf Baden vollkommen vergangen. Die Fische finden es allerdings super - wann immer man von einer Brücke oder von ein paar Steinen ins Wasser schaut, sieht man Forellen. Fette, große, kleine und Forellenkinder. An manchen flachen Stellen am Ufer drängeln sich so viele Jungfische um den besten Platz an der Sonne, daß nur noch eine wabernde grauschwarze Masse zu sehen ist. 

Später in der Schweiz merkt man langsam die Verschiebung der Sprachen. Die Informationstafeln sind alle auf französisch/deutsch, auch die zahlreichen Wanderer, die ich heute treffe, grüßen eher mal mit "Gruezi". Und die gute Frau vom Tante-Emma-Laden in Soubrey (wo ich immerhin eine kleine Wanderkarte bis zu meinem heutigen Tagesziel finde) wechselt gleich ganz ins Hochdeutsche, als sie mein schlimmes Französisch hört. Vielleicht hat mich auch verraten, daß ich bei ihr noch eine Flasche Rivella gekauft habe (das trinken, glaube ich, nur Touristen). Irgendwie lecker, aber wenn man beim Durstlöschen ständig an die stolz auf der Flasche prangenden Worte "mit Milchserum" denken muß, isses nun wieder nur noch halb so lecker. "Milchserum" hat für mich einen ähnlich erfrischenden Klang wie "Wurstwasser".

Meine Mittagspause halte ich standesgemäß auf einer schattigen Bank direkt unten am Fluß ab. Zu Rivella gibt es die Wurst und das Baguette von gestern und was halt noch so an Schokolade da ist. Danach beginnt der Unwille. Bei jeder Gelegenheit drücke ich mich vor dem Weiterlaufen, sitze hier mal zehn Minuten sinnlos auf der Bank herum, schaue mir da mal schnell die alte Mühle an -- aber nicht aus Schlenderlaune heraus, sondern weil ich irgendwie keine Lust habe, weiterzulaufen. Aber -- (naja, den Spruch kennt man ja schon...)

Ab der nächsten Brücke ist es dann plötzlich ganz einfach mit Vorwärtskommen, eben haben mich nämlich zwei Wanderer ganz unvermittelt überholt, als ich vor einer Informationstafel rumbummelte und interessante Fakten über die vier Jahreszeiten der Landwirtschaft studierte. Von zwei Freizeitwanderern überholt - das kann ich mir natürlich nicht bieten lassen und gebe Gas. Und eigentlich liefere ich mir die nächsten vier Stunden mit diesem und ein paar anderen Wandererpäarchen immer wieder die klassischen Taktikduelle "Wann macht wer Pause?" oder "Wann überholt wer wen?", die man aus dem Radsport kennt. Passt mir gut, lenkt ab, ich komme vorwärts. 

Am späten Nachmittag dann ein mittleres Formtief, ich merke daß ich schon viel zu lange nix getrunken habe und werfe mich erstmal neben die nächstbeste Kuhherde in den Schatten. Jetzt hab ich auch endlich mal Zeit, darüber nachzudenken, wie sinnvoll die beiden Seilfähren sein mögen, die ich auf den letzten Kilometern gesehen habe. Zwischen den Flußufern ist ein Drahtseil gespannt, an dem ein Boot hängt. Schön und gut und praktisch, aber wenn das Boot gerade auf der anderen Seite ist? Und keiner darauf wartet, mir mal eben das Boot rüberzubringen? Dann müssen die Seilfähren eben dazu herhalten, die Kinder zu beschäftigen, während sich die Eltern auf dem Campingplatz nebenan einen ansaufen. Auch fair, so hat jeder seinen Spaß.

Kurz vor Saint Ursanne dann plötzlich wieder Zivilisationszeichen in Form einer Eisenbahnstrecke, die plötzlich rechts oben am Hang auftaucht. Das monströse Viadukt gibt es gleich hinterher. Und Saint Ursanne ist nicht nur viel größer als erwartet, sondern auch viel schicker. Ein mittelalterliches Städtchen mit Stadtmauern, uralter Steinbrücke, fetten Forellen im Fluß, feisten Rentnern bei Kuchenauswahl auf der Caféterrasse. Mein Hotel baut gerade um, hat aber irgendwie vergessen, mir das mitzuteilen. Aber der Wirt ist ne coole Sau, trägt eine violette Schnellfickerhose aus Ballonseide, wie sie seit den 80ern niemand mehr zu tragen gewagt hat. Außerdem hat er einen Adapter für die französischen Stromstecker, ein kühles Bier und ein kaltes Zimmer.

Als ich am Abend auf der Suche nach Abendessen nochmal die Straßen durchkämme, wird mir klar, daß dies das erste mittelalterliche Städtchen seit vielen Wochen ist. Nach einer halben Stunde rumlaufen (durch 2x2 Straßen) habe ich auf einmal auch keinen Hunger mehr und zuckele zurück in Richtung Bett.

Morgen verlasse ich den Doubs, was irgendwie auch ok ist. Ich bin die letzten Tage wahrlich durch genug Insektenschwärme gerudert, durch genug Brennnesselmeere geschwommen und genug "geradeausamflußufer" entlang gelaufen. 

Noch 3 Tage, dann bin ich wieder in Deutschland. Brrr...

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