Mittwoch, 16. Mai 2012

Hamlet wartet schon am Bushäuschen.

Dienstag, 15.05.2012
Villy-le-Pelloux nach La Roche-sur-Foron
6,5 h / 26 km

"Wer im Autobahnhotel schläft, wird wahrscheinlich erstmal auf der Straße laufen müssen." Diese Nichtweisheit hämmert mir durch den Kopf, als ich die erste Stunde an der Landstraße entlang husche. Tonnenweise Verkehr rast auf die Autobahn zu und damit mir entgegen. Bei erster Gelegenheit biege ich in den Wald ab, auch wenn's anstrengend wird: Ein Stück parallel zur Autobahn, dann eine gute halbe Stunde querfeldein durch den Wald, bis ich unten im Tal wieder auf eine kleine ruhige Straße treffe. Das Heulen der LKW auf der Autobahn liefert den unromantischen Soundtrack dazu. 

Ich lasse heute endlich mal den Kopf ein bißchen von der Leine und denke darüber nach, wie es eigentlich in den nächsten Wochen weitergehen soll. "Erstmal bis in die Schweiz, danach sehen wir weiter.", so war die grobe Planung bisher. In der Schweiz bin ich bald -- und dann? Gestern hab ich mich schon mal kurz auf die Wochen NACH diesem Urlaub gefreut, was ich dann als Nächstes machen kann. Heute freue ich mich statt dessen AUF diesen Urlaub.

Nach der lehrreichen Recherche-Aktion in puncto "Preise in der Schweiz" neige ich schwer dazu, nur einen kurzen Schlenker bei den Eidgenossen zu vollführen und mich ziemlich flott wieder nach Norden in Richtung Frankreich zu verdrücken. Das hätte vor allem auch den charmanten Nebeneffekt, daß ich mich nochmal im Jura rumtreiben kann, wo ich als Knilch schonmal Kajakfahren war. Und nachdem dieser Gedanke sich erstmal festgesetzt hat, sortiert sich plötzlich der Rest von alleine. Ach ja. Dann Schwarzwald (da war ich noch nie), quer rüber nach Franken undsoweiter.

Das Frühstück im Autobahnhotel heute morgen habe ich mir geschenkt. Zur Strafe laufe ich jetzt wie ein hungriger Tiger durch die Landschaft und suche was zu Futtern. Aber diese Pupsdörfer hier geben nix her. Kein Bäcker, kein Laden, keine Tankstelle. (Überhaupt: Wo tanken die Franzosen eigentlich? Ich sehe hier nur alle Jubeljahre mal Tankstellen?) Nach locker drei Stunden gibt es in Groisy endlich einen verzweifelten Dorfladen, wo ich für ein Baguette, eine Flasche Saft und eine Tafel Schokolade 8 EUR löhnen darf. Egal, eine Stunde Mittagspause auf der Bank vor der Kirche ist gesichert.


Es ist relativ kalt und windig, ich hätte eigentlich Lust, noch irgendwo im Gras zu liegen und zu lesen, aber länger als eine Viertelstunde halte ich das - trotz mehrerer Versuche - nicht aus. Also weiter... Mit jeder Stunde sind mehr Berge und mehr Felsen und mehr Schnee zu sehen, und irgendwann kurz vor La Roche taucht im Norden die große Bergkette auf, die ich übermorgen auf dem Weg zum Lac Léman in Angriff nehmen werde. Schnee liegt da netterweise nicht mehr, erst ab ca. 1.600m wird's weiß.

Mein Tageshighlight ist die Bushaltestelle von Fontaine Vive, an der sich die Dorfjugend ausgiebig in Schriftform verewigt hat. Mein Favorit: Der altkluge "bobcat", der mit Edding nicht nur ein ziemlich vorhersehbares Hamlet-Zitat auf deutsch an die Wand gezaubert hat, sondern auch einen Spruch, der mir irgendwie schon aus der Schule bekannt vorkommt. Sinngemäß: "Lerne um zu leben, lebe um zu lernen." Der Philosophiefreund "bobcat" wird in diesen 200-Einwohner-Dorf bestimmt eine tolle Jugend haben, vergleichen mit den Verfassern der restlichen Bushäuschen-Inschriften, die genau das sind, was man von normalen Bushäuschen-Inschriften erwartet.

La Roche brodelt vor Verkehr und Menschen, nur einen Supermarkt finde ich nicht. Beim ersten Bäcker gibt es nur Brot, sonst nix. Auch einen Metzger finde ich nicht. Ok, dann eben erstmal ins Hotel. Schräger Laden, sorgt aber beim Anblick eines richtig großen Bettes mit ordentlich kuscheliger Decke und einer Menge Kissen für deutliche Schlafvorfreude. Bei der zweiten Runde durch den Ort stelle ich fest, daß es hier sogar zwei Buchhandlungen gibt, die aber beide vollkommen nutzlos sind. In der ersten Buchhandlung verkauft eine verhuschte ältere Dame vor allem Kinderbücher, aber keine Wanderkarten. In der zweiten Buchhandlung verkauft ein verhuschter Herr auf zwölf Quadratmetern Ladenfläche Philosophietexte (bobcat?) und Lebensratgeber - aber keine Wanderkarten.

Egal. Ich finde doch noch einen Bäcker und ziehe mir ne kleine Quiche. Das Abendessen ist gerettet und von meinem Fenster aus beobachte ich versonnen die routiniert-gelangweilte Belegschaft des leeren Restaurants La Renaissance, wie sie wieder mal vergeblich auf Gäste wartet.

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