Conques nach Entraygues-sur-Truyère
6,5 h / 26 km
Kein Regen! Nur Nebel! Ich traue dem Frieden nicht, als ich aus Conques rausstapfe, nur schnell noch ein paar Fotos schieße, weil ich deutlich mehr Lust auf Laufen als auf Fotosafari habe. Vorhin bin ich in meine nassen Klamotten geschlüpft, die von gestern Abend nicht trocken geworden sind, jetzt kriege ich als kleine augenzwinkernde Erinnerung daran einen Ausblick auf die Kapelle auf der anderen Talseite serviert, wo ich mich gestern Nachmittag vor dem Regen verkrochen hatte -- die Nebelschwaden hängen genau darüber.
Beim Aufstieg verliere ich im Nebel leicht die Orientierung (wieso geht es denn plötzlich LINKS in den Abgrund, das müsste doch eigentlich rechts...?), aber oben wird alles gut und plötzlich kommt die Sonne raus. Sonne. Ich stelle mich in die Sonne wie ein Murmeltier nach dem Winterschlaf und mache erstmal die Augen zu. Als ich sie wieder aufmache, dampfen meine Klamotten in der Sonne. 'errlisch! (Einschub: Hatte ich mich vor wenigen Wochen nicht noch schwer über zuviel Sonne und 27° beklagt? Habe ich nicht just gestern Abend in einem unfairen Wettebwerb die Sonnencreme zum nutzlosesten Gegenstand im Rucksack gekürt? Einschub Ende.) Oben auf dem Plateau kommen mir auch schon wieder fröhlich die ersten Pilger entgegen. Es war zu erwarten.
Die Sonne löst den Nebel in den Tälern ringsum auf und dampft die Feuchtigkeit aus den Wiesen, an die Wolkentürme überall links und rechts kommt sie aber nicht ran. Plötzlich sehe ich vorne links was sehr weißes - äh... ach du Scheiße. Schneebedeckte Berge. So hoch sehen die gar nicht aus. Und so weit weg auch nicht. Das kann ja heiter werden...
Nach drei Stunden laufe ich in Sénergues ein, ein Straßenschild weist an mein Etappenziel: "Entraygues 25km". Ich stehe vor dem Schild und schaue abwechselnd auf die 25 und auf meine Karte und versuche diesen beiden Pole zueinander zu bringen. 25 km kann. nicht. sein. Erstens wären das noch locker 5-6h Weg, zweitens kann das einfach nicht sein. Ich verbiete mir, weiter drüber nachzugrübeln und schiebe alles auf die sicherlich großen Umwege, die die Landstraße bestimmt machen wird. Nur ein paar Minuten später der nächste Schlag in die Magengrube: Frische Wäsche auf der Leine, der Duft weht bis rüber zu mir. Plötzliches Heimweh kommt auf, schnell weiter, hilft alles nichts, ich lege einen Zahn zu und biege um die nächste Ecke.
Als ich kurz darauf in Espeyrac in Richtung Norden vom Jakobsweg abbiege, um nach Entraygues zu kommen, steht der Pilgerzähler für heute auf 59. Ich möchte nicht wissen, was hier im Mai oder August los ist... Auf der Landstraße bergauf grüßt mich freundlich der Fahrer des Kleintransporters von Transbagages, der für die bequemeren oder weniger fitten Pilger die Rucksäcke von Etappenziel zu Etappenziel transportiert. Jetzt weiß ich ja wenigstens auch, was dieser seltsame Haufen mit Reisetaschen heute früh im Hotelflur sollte...
Hinter Gours wird es etwas abenteuerlich. Nachdem ich vermeiden will, den ganzen restlichen Weg auf einer größeren Landstraße ins Tal zu laufen, suche ich mir kleine Wege durch die verbleibenden zwei Täler, bis endlich das Lot-Tal vor mir liegt. Endlich verändert sich die Landschaft, endlich läßt sich sowas wie ein Vorankommen spüren. Bis jetzt dürften es ungefährt 750 Kilometer gewesen sein, die ich unterwegs bin. Aber nach wie vor kann ich diese Strecke überhaupt nicht einordnen. Die ersten Wochen durch das kleinteilige Hügelland sind von ein paar Tagen in der Ebene unterbrochen worden, dann kam wieder Hügelland. Jetzt liegt was Neues, Größeres vor mir, wie mir mit dem Blick in das Tal und dem Gedanken an die weißen Bergspitzen vom Mittag langsam klar wird.
Ein super Tag, ich laufe endlich mal wieder im Hemd, fühle mich endlich mal wieder nicht naß und mein Tagesziel liegt mir schon zu Füßen. Die feuchten Klamotten hängen hinten an meinem Rucksack und baumeln im Wind einer trockenen Zukunft entgegen, was mich schwer motiviert. Es ist trocken geblieben, aber ich fotografiere vorsichtshalber nochmal schnell die Wolke, die mir bestimmt gleich die Nachmittagsdusche verpaßt und fünf Minuten später fallen auch schon die ersten Tropfen. Meine Kiefer mahlen vor Wut... Zwanzig Minuten vor dem Ziel... Aber wie ein boshafter Witz läßt es die Wolke bei 18 Tropfen bleiben, einfach nur um mich daran zu erinnern, wer hier der Stärkere ist.
In Entraygues angelt alles am Fluß, ich finde den kleinen Dorfladen und decke mich mit Orangina ein, danach Besuch beim Bäcker und der Bäckersfrau, die mich beim Vorbeigehen schon feindselig angeguckt hat, weil ich nicht sofort in ihren Laden gegangen bin. Auf der Mauer neben dem Fluß gibt es für mich Mini-Quiche, Orangina und die Vorfreude auf sowohl Zitronen- als auch Erdbeertörtchen. Später, wenn der kleine Hunger wiederkommt. Im Hotel verzichte ich dankend auf Abendessen und Frühstück und freue mich statt dessen lieber auf den morgendlichen Besuch beim Bäcker nebenan.
Das Hotelzimmer ist nett, aber ein bißchen schräg. Rosentapete, Rosenkacheln, Rosenmülleimer. Und die gleiche Tagesdecke wie letzte Nacht. Als ich mich noch über die halbe Badewanne wundere, die wahrscheinlich für Sitzbäder konzipiert wurde, fällt auch bei mir der Groschen. Mir war es nicht gleich aufgefallen, aber in diesem Badezimmer liegt Teppich auf dem Boden. Hab ich auch noch nicht gehabt...
Das ist keine halbe Badewanne, sonder eine napoleonische!
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