Sonntag, 29. April 2012

Über den Fluß.

Samstag, 28.04.2012
Saint-Jean-le-Centenier nach Montélimar
7 h / 27 km

Aufgewacht von dem Geräusch von irgendwas, das im Dunkeln durch das offene Fenster in mein Zimmer springt. Während ich im Hochschrecken nach dem fremden Lichtschalter taste und rumore, springt es wieder raus. Auf dem Vordach vor dem Fenster keine Spur, wahrscheinlich eine Katze. Den Rest der Nacht wälze ich mich durch die Stunden.

Ich breche auf in ein warmes Wochenende, begleitet von dem Geruch von Sonnencreme auf meinen Armen. Beim Check-Out große Augen und interessierte Fragen, zum ersten Mal seit Längerem. Im Schatten hinter dem Hotel ziehe ich den Rucksack enger, schaue nochmal in die Ferne und atme lächelnd tief durch. Mit Blick auf die Karte wundere ich mich immer noch, daß es außer der Route Nationale keine einzige Straße und keinen einzigen Weg nach Osten gibt. Als ich die RN an derselben Stelle wie gestern Abend wieder überquere, ist der ganz kurze Gedanke, doch auf der Straße zu gehen, sofort wieder verpufft. Unmöglich. Als winzige Fliege zwischen all den Autos und 40-Tonnern. Also nach Süden.

In den Hügeln finde ich neben der nächsten Toskana-Postkarte einen Wegweiser, der ungefähr in meine Richtung geht, und schlage mich durch. Vorbei an leeren Ferienhäusern. Vorbei an dem Mountainbiker, der mich tierisch erschreckt. Vorbei an der örtlichen "4x4 im Alltagsfahrzeug"-Gruppe, die witzelnd auf den Hügeln und Kämmen motorsägend und zaunsetzend an den Wegen arbeiten. Runter nach Alba-la-Romaine, wo das Dorf auf ein Volksfest wartet und die Kaffeeseligkeit der Touristen mir reflexartig auch nur die kleinsten Gedanken von "hinsetzen und was trinken" vertreibt. Während ich durch das Dorf ziehe, hält mich nichts auf. Nur weiter. 

Auf denn nächsten Höhenzug sitze ich eine halbe Stunde auf einem Steinhaufen, hänge mein nasses Hemd in den Busch und mich in den Wind. Hier ist wieder alles menschenleer, nur eine gute Stunde später komme ich an einem einsamen Bauernhof vorbei, in dem noch jemand wohnt. Ein paar Ziegen, ein Wellblechdach über einem noch nicht eingestürzten Teil des uralten Steinhauses, ein klappriger Citroen-Kleinwagen. Der rostige Briefkasten ächzt dazu im Wind. 


Ich will die Rhône sehen. Der einzige französische Fluß, den ich hier unten schon vorher - wenigstens vom Namen her - kannte. Die einzige Landmarke, deren Überquerung ich in dieser mir vorher so fremden Ecke einordnen kann. Das Erste, was ich vom Rhônetal sehe, sind Strommasten. In allen Größen und in alle Richtungen. Danach eine wabernde Masse von Häusern und Siedlungen, durch die ich mich in den nächsten Tagen kämpfen muß und dann davor: Der Fluß. 

In Le Teil kaufe ich beim kämpfenden Dorfladen was zu trinken. Die örtlichen Händler haben eine Kampagne mit dem Slogan "Ich kaufe in Teil!" gestartet, um die Kunden an etwas zu erinnern, was anscheinend seit Jahren sowieso niemand tut. Der Ort ist schon lange ausgeblutet und das einzig Bunte hier sind die gelben Nummernschilder der niederländischen Kennzeichen, die zuhauf auf dem Weg von oder in die Provence hier durchfahren. Die Leuchtreklame der Apotheke zeigt 29° an, die des Optikers 27° und ich preise den Wind, der das einigermaßen erträglich macht.

Mit einem Stück Pizza vom Bäcker sitze ich vor der Rhônebrücke auf dem leeren Platz vor der örtlichen KFZ-Prüfungsstelle, der von den Tauben zugeschissen und vom Verkehrslärm zugedröhnt ist. Ich hab nicht aufgepaßt und ein Pizzastück mit Muscheln erwischt, die durch die Theke ein bißchen wie Pilze aussahen. Frustriert probiere ich einen Bissen, könnte fast kotzen vor Ekel und schmeiße die Bäckertüte in den nächsten Mülleimer.

Auf der Brücke ein kurzer Stich ins Herz: Ich verlasse Ardèche. "À bientôt" steht auf dem Schild, in diesem Fall nehme ich es wörtlich. Mit einem Mal wird mir bewußt, wie verwöhnt ich die letzten Tage von Landschaft und Bergen und Dörfern war, vor mir liegt eine häßliche Kleinstadt und die nächsten Tage werde ich wohl im Wesentlichen damit verbringen, im Rhônetal, wo sich der Verkehr kanalisiert, die großen Hauptstraßen zu umgehen. Das schmutziggelbe Wasser des Rhône-Seitenkanals rauscht schwefelig unter der Brücke durch, im Hintergrund dampfen die Kühltürme des Kernkraftwerks. Hart am Rand der Straße durch unbarmherzigen Verkehr, hier geht niemand zu Fuß. Durch blätternde Vorstädte, in denen die Stadt den Einfamilienhäusern links der Straße eine Lärmschutzmauer spendiert hat, den Wohnblocks rechts der Straße statt dessen einen Basketballplatz mit Gitterzaun. Kurz hinter dem Bahnhof plötzlich ausgelassene Wochenendstimmung im Park, die ganze Stadt scheint auf den Beinen und flaniert. Und streichelt stinkende Streichelzootiere. Alle sind da, alles ist da. Ich fühle mich dabei heute nur fehl am Platz.

Ich finde das Hotel, schließe mich sofort im Zimmer ein und sperre erstmal die Sonne aus.

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