Dienstag, 24. April 2012

Die Berge haben mich noch nie enttäuscht.



Sonntag, 22.04.2012
La Bastide-Puylaurent nach Le Bez
5 h / 19 km

Draußen vergleichsweise Sonntagswetter. Drinnen wieder vorportioniertes Frühstück. Auf der Suche nach dem Briefkasten tröstet mich die Dorfbäckerei, die erstaunlicherweise geöffnet hat, mit Mini-Quiches und Schokobrötchen. Nur zu gerne verzeihe ich ihr das übersichtliche Angebot und decke mich mit einem zweiten und dritten Frühstück ein.

Auf dem Spaziergang zur Abtei Notre Dame des Neiges kommt mir ein Wanderer entgegen, der mich erstmal mit der Information begrüßt, daß ich der erste Wanderer seit 4 Tagen bin, dem er begegnet. Der Kollege meint es ganz hart mit sich selbst. Eine Woche wandern und draußen schlafen. Bei dem Wetter hätte ich da spätestens nach dem zweiten Tag keine Lust drauf. Wir plauschen ein bißchen über Touren, Logistik und die Gegend und als wir uns verabschieden, bin ich mit dem französischen Wanderklientel wieder einigermaßen versöhnt. Endlich mal jemand, der abseits der ausgetretenen Wege geht.

Die Abtei sieht aus wie ein Ufo, das mitten in einem ansonsten unbewohnten Tal gelandet ist. Ich hatte sie gestern schon aus der Entfernung inmitten der Wälder gesehen. Ein Steinklotz, genau vor 100 Jahren in die Abgeschiedenheit der Berge gestellt. Drinnen ist gerade Sonntagsgottesdienst, ich sitze aber lieber draußen in der Sonne und frühstücke meine Quiche. Natürlich hat es Wolken und natürlich gibt es zwischendurch immer wieder ein paar Tropfen, aber im Prinzip wird es ein windiger Tag bleiben, an dem sich Weltuntergangswolken und hoffnungsvolle Sonnenmomente abwechseln. Im Osten segeln einzelne Wolken über die flacheren Landschaften des Rhône-Tals. Weiter rechts liegen die schneebedenkten sanften Hänge des Mont Lozère. Und wieder kann ich von ganz oben zwei Tagesmärsche weit die Hügelketten und Berge entdecken, über die ich hierher gekommen bin.

Ich komme mit den superdetaillierten Karten, die ich mir für diese Region zugelegt habe, nicht zurecht. Ständig versuche ich zu bestimmen, wo ich denn nun eigentlich bin, denn mein Bauchgefühl ist an ganz andere Maßstäbe gewöhnt. Als ich kurz davor bin, vor lauter Pedanterie den Kompaß zum Peilen rauszuholen, reiße ich mich zusammen, folge der guten Wegmarkierung und dem deutlichen Weg auf dem Hügelkamm. Locker lassen, Kontrolle Kontrolle sein lassen, das wird schon werden...

Später sitze ich auf ein paar Felsen ganz oben und versinke im Panorama. Der Wind pfeift ekelig, aber mit Jacke und Kapuze vergesse ich das ganz schnell. Ich schneide mir einen Apfel zusammen, gucke in die Ferne und vergesse die Zeit, bis mir plötzlich kalt wird und ich wieder aufbreche. Auf den nächsten Kilometern muß ich schmunzeln angesichts meines in den letzten Tagen vergossenen Ärger über sinnlos verrichtete und vernichtete Höhenmeter. Ich erinnere mich gut, daß ich mich in den letzten Wochen innerlich mehrfach über jeden aufgestiegenen Meter echauffiert habe, den ich bald darauf wieder abgestiegen bin. Heute weiß ich: Das soll so. Ohne diese vernichteten Höhenmeter würde ich nie oben sitzen und in die Ferne gucken. Rucksack enger schnallen und bergauf, das ist das einzige Rezept. Es ist ein gutes. Und es stimmt auch heute.



Die Auberge du Bez kommt ins Sichtfeld, einsam in einem Bergtal gelegen, die Wirtin hatte mich am Telefon vorwarnt, daß sie zwischen 16 und 17 Uhr nicht da sei, weil sie runter ins Tal zum Wählen fährt. Ich bin trotz allem Sitzen und Bummeln sowieso viel zu früh da und weil es gerade Kaffeezeit ist, gönne ich mir nach der Dusche zum Tee einen hausgemachten Blaubeerkuchen. Mit Sahne. Und ich zerfließe fast vor Zuckerglück.

Der Abend hält die Glückssträhne: Den Speisesaal teile ich mit zwei Beamten des staatlichen Forstministeriums, die stolz in Uniform am Tisch sitzen. Ein umwerfendes Abendessen mit ausgefallenen Kleinigkeiten wie sauer/salzig eingelegten Kirschen zum hausgeschlachteten Schinken und guter Rotwein macht mich reif für mein Zimmer, das alles hat, was ich brauche. Ein warmes Bett, eine gute Heizung und einen Fernseher, den ich bei Arte auf deutschen Ton umstellen kann, was meinem Heimweh letztlich gar nicht gut bekommt.

Draußen beginnt es zu regnen und ich schlafe mit der Erkenntnis ein, daß die günstigen Berggasthöfe hier bisher die schönsten Übernachtungen geboten haben. Je weiter weg von den Städten, umso besser...

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