Sonntag, 22.04.2012
La Bastide-Puylaurent nach Le Bez
5 h / 19 km
Draußen vergleichsweise
Sonntagswetter. Drinnen wieder vorportioniertes Frühstück. Auf der
Suche nach dem Briefkasten tröstet mich die Dorfbäckerei, die
erstaunlicherweise geöffnet hat, mit Mini-Quiches und Schokobrötchen. Nur zu gerne verzeihe ich ihr das
übersichtliche Angebot und decke mich mit einem zweiten und dritten
Frühstück ein.
Auf dem Spaziergang zur
Abtei Notre Dame des Neiges kommt mir ein Wanderer entgegen, der mich
erstmal mit der Information begrüßt, daß ich der erste Wanderer
seit 4 Tagen bin, dem er begegnet. Der Kollege meint es ganz hart mit
sich selbst. Eine Woche wandern und draußen schlafen. Bei dem Wetter hätte
ich da spätestens nach dem zweiten Tag keine Lust drauf. Wir
plauschen ein bißchen über Touren, Logistik und die Gegend und als
wir uns verabschieden, bin ich mit dem französischen Wanderklientel
wieder einigermaßen versöhnt. Endlich mal jemand, der abseits der ausgetretenen
Wege geht.
Die Abtei sieht aus wie
ein Ufo, das mitten in einem ansonsten unbewohnten Tal gelandet ist. Ich hatte sie gestern schon aus der Entfernung inmitten der Wälder gesehen.
Ein Steinklotz, genau vor 100 Jahren in die Abgeschiedenheit
der Berge gestellt. Drinnen ist gerade Sonntagsgottesdienst, ich
sitze aber lieber draußen in der Sonne und frühstücke meine
Quiche. Natürlich hat es Wolken und natürlich gibt es zwischendurch
immer wieder ein paar Tropfen, aber im Prinzip wird es ein windiger
Tag bleiben, an dem sich Weltuntergangswolken und hoffnungsvolle Sonnenmomente
abwechseln. Im Osten segeln einzelne Wolken über die flacheren
Landschaften des Rhône-Tals. Weiter rechts liegen die
schneebedenkten sanften Hänge des Mont Lozère. Und wieder kann ich
von ganz oben zwei Tagesmärsche weit die Hügelketten und Berge
entdecken, über die ich hierher gekommen bin.
Ich komme mit den
superdetaillierten Karten, die ich mir für diese Region zugelegt
habe, nicht zurecht. Ständig versuche ich zu bestimmen, wo ich denn
nun eigentlich bin, denn mein Bauchgefühl ist an ganz andere
Maßstäbe gewöhnt. Als ich kurz davor bin, vor lauter Pedanterie
den Kompaß zum Peilen rauszuholen, reiße ich mich zusammen, folge
der guten Wegmarkierung und dem deutlichen Weg auf dem Hügelkamm.
Locker lassen, Kontrolle Kontrolle sein lassen, das wird schon werden...
Später sitze ich auf ein
paar Felsen ganz oben und versinke im Panorama. Der Wind pfeift
ekelig, aber mit Jacke und Kapuze vergesse ich das ganz schnell. Ich
schneide mir einen Apfel zusammen, gucke in die Ferne und vergesse
die Zeit, bis mir plötzlich kalt wird und ich wieder aufbreche. Auf
den nächsten Kilometern muß ich schmunzeln angesichts meines in den letzten Tagen vergossenen
Ärger über sinnlos verrichtete und vernichtete Höhenmeter. Ich erinnere mich gut,
daß ich mich in den letzten Wochen innerlich mehrfach über jeden aufgestiegenen Meter
echauffiert habe, den ich bald darauf wieder abgestiegen bin. Heute weiß ich: Das soll so.
Ohne diese vernichteten Höhenmeter würde ich nie oben sitzen und in
die Ferne gucken. Rucksack enger schnallen und bergauf, das ist das
einzige Rezept. Es ist ein gutes. Und es stimmt auch heute.
Die Auberge du Bez kommt
ins Sichtfeld, einsam in einem Bergtal gelegen, die Wirtin hatte
mich am Telefon vorwarnt, daß sie zwischen 16 und 17 Uhr nicht da
sei, weil sie runter ins Tal zum Wählen fährt. Ich bin trotz allem
Sitzen und Bummeln sowieso viel zu früh da und weil es gerade
Kaffeezeit ist, gönne ich mir nach der Dusche zum Tee einen
hausgemachten Blaubeerkuchen. Mit Sahne. Und ich zerfließe fast vor
Zuckerglück.
Der Abend hält die Glückssträhne:
Den Speisesaal teile ich mit zwei Beamten des staatlichen Forstministeriums, die stolz in Uniform am Tisch sitzen. Ein
umwerfendes Abendessen mit ausgefallenen Kleinigkeiten wie
sauer/salzig eingelegten Kirschen zum hausgeschlachteten Schinken und
guter Rotwein macht mich reif für mein Zimmer, das alles hat, was
ich brauche. Ein warmes Bett, eine gute Heizung und einen Fernseher,
den ich bei Arte auf deutschen Ton umstellen kann, was meinem Heimweh
letztlich gar nicht gut bekommt.
Draußen beginnt es zu
regnen und ich schlafe mit der Erkenntnis ein, daß die günstigen
Berggasthöfe hier bisher die schönsten Übernachtungen geboten
haben. Je weiter weg von den Städten, umso besser...
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