Samstag, 14. April 2012

Bergtraining.

Samstag, 14.04.2012
Entraygues-sur-Tryuère nach Espalion
7,5 h / 28 km

Die Bäckersfrau von gestern Abend erkennt mich sofort wieder, weil ich mit meinem Rucksack wieder nicht durch die Tür passe. Und sie ist nicht überrascht, als ich wieder Törtchen bestelle: Es gibt noch Himbeer... Das Frühstück im Hotel habe ich ausfallen lassen, für deutlich weniger Geld kriege ich hier viel köstlicheres Zeug mit auf die Hand. Draußen stehe ich lange vor der örtlichen Orientierungstafel und studiere die örtlichen Wanderwege.

Die erste knappe Stunde geht es denselben Weg zurück, den ich gestern schon gelaufen bin. Für mich die größte Strafe, aber anders geht es in diesem Fall nicht. Entlang des Lot-Tales führen nicht allzuviele Wege, also wer will wählerisch sein, der Tag wird sowieso hart genug. Nach ein paar hundert Höhenmetern geht es über zwei Stunden am oberen Rand des Tals parallel zum Fluß entlang. Das Wetter hebt sich, aus den klassisch-kühlen Morgenstunden ist ein warmer Mittag geworden, die Sonne schiebt sich zwischen den Bäumen bis in den Wald vor und alles duftet. In einer großen Pfütze beobachte ich Kaulquappen und irgendwas in Richtung junger Molch beim Sonnen. Als ich damit fertig bin, freue ich mich die nächste halbe Stunde beim Gehen, daß ich endlich die Zeit und die Ruhe für eine solche Beschäftigung habe.

Kurz vor der Landstraße, die mich endgültig aus dem Tal raus auf das Plateau bringen wird, treffe ich das Wandererpäarchen wieder, die ich vorhin schonmal im Wald getroffen habe. Da sind sie mir auch schon entgegen gekommen...? Ich grüße freundlich und lächle meine Fragezeichen weg, später fällt mir wieder ein, daß es da eine Art Rundweg gab. 
Oben kommt dann auch der Jakobsweg wieder, den ich gestern Nachmittag nach Norden verlassen hatte,. Und es dauert im Ernst keine zwei Minuten und ich treffe die ersten Pilger.

Hinter Saint Rames geht es die ganzen mühsam erkämpften Höhenmeter wieder runter zum Fluß, vorher serviert mir die Straße aber noch ein 180°-Panorama der nächsten 40-50 Kilometer. Links sieht man die langsam immer höher werdenden Schatten des Massif Central, nach rechts hin wird das Land wieder weiter und flacher. Ich sitze lange unter einem Baum und gucke, bis sich die erste Ameise auf meine Hose verirrt. Wieder auf eine Ameisenstraße gesetzt...


An Estaing vorbei, schönes altes Dorf sicherlich, Pilgerstützpunkt auch natürlich, ich gönne uns beiden aber nur ein paar Sekunden für zwei Fotos und bin wieder weg. Es ist schon spät, die schönen kleinen Waldwege an den Hängen haben nun mal ihre Zeit gebraucht und ich habe noch ungefähr 11 Kilometer vor mir. In Verrières fallen die ersten Tropfen. Ich fluche ein bißchen zu laut auf Deutsch, weshalb sich der heckeschneidende Opa nochmal umdreht und mich mit fragenden Augen anschaut. Nachdem ich wieder den ganzen Tag im Hemd gehen konnte, ist jetzt erstmal wieder Vermummungspflicht angesagt. Unschlüssig lasse ich die Jacke erstmal weg, beobachte statt dessen den Nässegrad der wenigen Autos, die mir entgegen kommen und irgendwie fängt der Regen nicht richtig an, hört aber auch nicht richtig auf. 

Die letzten zwei Stunden im Stechschritt beim Versuch, noch vor der Nachmittagsdusche anzukommen, vorbei an den mißtrauischen Jung-Gendarmeristen, der Oma im R4, die alle Gänge voll ausfährt, der neugierigen Familie im alten Renault Espace, die alle die Hälse verrenken, um mich besser sehen zu können.

Und irgendwie klappt es. Bis auf das bißchen Nicht-Naß bin ich heute wieder trocken geblieben, mein Hotel findet sich in Espalion direkt am Marktplatz. Es gibt einen traurigen Jahrmarkt, der aus einem einsamen Kinderkarussell besteht, das gerade "Life is life" spielt, als ich vorbeilaufe. Die ganzen Restaurants und Bars sehen sehr geschlossen aus (und werden es auch den Rest des Abends bleiben). Zum ersten Mal in meinem Leben gehe ich mit meinem Zimmerschlüssel wieder zur Rezeption und verlange ein anderes Zimmer, denn ich hätte für mein Klo dann doch gerne eine Klobrille gehabt und nicht nur die nackte kalte Keramik. Ich kaufe wieder zuviel Abendessen-Picknick im Laden neben an, denn das Restaurant hat seit Monaten geschlossen, sitze in einem blaugrünen Hotelzimmer und sage mir schon den x-ten Abend in Folge: Ich muß wieder raus aus den Vertreterhotels. Ich hatte gehofft, daß nun endlich der Regen über Espalion einsetzt und das abgestorbene Kleinstadtleben aus den Straßen spült, aber selbst dazu kann er sich heute nicht entscheiden.



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