Foissac nach Devazeville
8 h / 32 km
Der Tag startet hart. Auch wenn ich mich in meinem Eintrag von gestern Abend frei von Ärgern und Meckern über Hotels gemacht habe, verlasse ich nach einem lieblosen Frühstück ein freudloses Hotel in einen trostlosen Tag. Als ich meine Rechnung bezahlen will, vollführt der alte Herr im Jogginganzug noch ein minutenlanges Ballet mit vier Türen, bevor er zur Sache kommt und ich meine Nacht bezahle. Zur Abschreckung habe ich für Erinnerungszwecke die Aussicht aus meinem Badezimmerfenster auf die Flaschensammlung des Etablissements fotografiert sowie eine kleine Panoramaaufnahme incl. der Bestlage neben der Tankstelle aufgenommen. Damit ich das ja nicht vergesse.
Denn nur eine gute Stunde später laufe ich an der zweiten vorab recherchierten Alternative für die vergangene Nacht vorbei: Ein kleines Hotel, das sich richtig Mühe gibt. Schön in einem einsamen Tal gelegen, altes Steinhaus, schöne Terrasse usw... Das nagt dann doch noch ein bißchen in mir, während ich vorbeiziehe und mir ausmale, wie wundervoll das hier doch hätte sein können...
Über mir die große Wetterdrohung, unter mir die kleinen Pfade. Immer wieder regnet es ein bißchen, aber nur genau soviel, daß ich nicht die komplette Regenchose anlegen mag. Der Himmel ist grau, sehr grau, aber immerhin haben die Vögel in den Hecken den Mut noch nicht verloren und das ist immer ein gutes Zeichen. Die Straße ist heute gnädig und all die kleinen Pfade, die ich mir auf der Karte so ausgesucht habe, existieren wirklich und sind auch frei von Stacheldraht und Elektrozaun. Ein Novum.
Schon bald stoße ich wieder auf eine Jakobswegmarkierung und im Wesentlichen laufe ich heute - mit Ausnahme einiger mißtrauischer Straßenetappen - den Jakobsweg in die falsche Richtung. Über lockere Waldwege, durch geheime Pfade zwischen den Feldern hindurch, quer über kurz geschnittene Wiesen. Mein Begleiter ist die rot-weiße Wegmarkierung, die ich inzwischen sehr liebgewonnen habe. Immer öfter vertraue ich ihr und schlage Wege ein, die ich in der Form eigentlich gar nicht geplant hatte. Auch die schöne zwei Kilometer lange Etappe durch den Wassergraben (längs...) hake ich elegant-verständnisvoll ab unter dem Thema "Da wollte der örtliche Wanderverein mal ein besonders spannendes Stück Weg markieren...".
Den ersten größeren Regenschauer warte ich in der offenen Scheune eines verlassenen Bauernhofes ab. Ich telefoniere ein bißchen, belustige mich an den erstaunten Blicken der vorbeifahrenden Autofahrer und als plötzlich die Sonne wieder hervorkommt, bin ich schon wieder unterwegs. Bäume und Felder sind durch den Regen der letzten Tage merklich grüner geworden, das grau-blaßgrün der letzten Woche habe sich schleichend in eine Palette aus blaß- bis sattgrünen Farbtönen entwickelt. Als mit meine Mutter am Telefon stolz erzählt, daß zuhause schon die Kirschen und der Raps blühen, lache ich nur zaghaft -- das hat's hier schon seit Wochen.
An einem namenlosen Bauernhof bellt mich mit tiefem Bass ein Hund aus der Garage an -- und die Garage steht offen. Heraus kommt ein großes graues Monster mit einem Kiefer, der zum Zubeißen gezüchtet wurde. Aber irgendwie geht alles gut mit uns beiden. Zwei-drei ruhige Worte und der Kollege wird neugierig und will dann doch kuscheln. Als ich ein paar Minuten später weiterziehe und der Nachbarshund mit seinem Bellkonzert beginnt, wird mein neuer Freund auch wieder laut. Allerdings nicht in meine Richtung, sondern in Richtung Nachbarshund, was ich irgendwie sehr rührend finde.
Der Rest des Tages geht unter in dem üblichen Spiel des Wanderers mit den Wolken. Es regnet ein bißchen, ich ziehe meine Jacke an, es hört wieder auf und als ich meine Jacke wieder ausziehe, fängt es wieder an. Bis ich nach Aubin absteige, denn nun regnet es sich ein. All meine Pläne, mich von hier über kleine Wege nach Decazeville durchzuschlängeln, ertrinken in den Bindfäden, die auf die Straße einprasseln und ich schalte wieder auf Lokomotivmodus. Kapuze auf, Rucksack enger schnallen und über die viel befahrene Landstraße geradeaus, quer durch den Regen. Auch wenn zwischendurch immer mal wieder Verzweiflung aufkommt, ist das immer noch das Beste, was man in so einem Moment tun kann. Trotzdem komme ich patschnaß an.
Der Einmarsch in Decazeville passt zum Wetter, eine bröckelnde Stadt mit vielen leeren Läden und vielen mühsam standhaltenden Geschäften. Seine guten Zeiten sind schon lange vorbei.
Das Hotel Malpel ist von außen ein grober Klotz, der mir neben einem "Ach du Scheiße!" sofort die Frage entlockt, ob ich mit der Auswahl meines Nachtlagers in diesem Fall nicht total ins Klo gegriffen habe. Aber wie so oft habe ich Unrecht. Die Dame an der Rezeption wartet schon auf mich und hat sogar meinen Namen parat. Im Badezimmer entdecke ich eine große Badewanne und während das Wasser einläuft, hole ich mir ein frischgezapftes Bade-Bier von der Bar. Die Sonne kommt draußen wieder zum Vorschein, durch das Fenster des Badezimmers fällt ein schmaler Spalt scharfes Licht und das hellblaue Wasser in der Wanne glitzert mich an und wirft Blitze an die Decke. Das Restaurant ist voll und das Abendessen ist endlich mal was komplett anderes als die letzten Tage und die Dame von der Rezeption serviert jeden Gang mit einem kleinen verschmitzten Lächeln und einer Nettigkeit, die ich auch mit meinem halben Französisch verstehe.
All die Sorgen, daß der morgige Tag viel zu kurz ist, daß es in den nächsten Tagen bis auf 1.200m hoch ins Massif Central geht, ob meine bestellten Wanderkarten wohl auch rechtzeitig geliefert werden, damit ich sie abholen kann -- alles weg. Ich höre durch das offene Fenster noch ein bißchen den Rauchern unten vor dem Hotel zu und bin glücklich für heute.
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