Samstag, 7. April 2012

Besser gehts kaum.

Donnerstag, 05.04.2012
Bruniquel nach Le Bosc de Lacam (Saint Antonin Noble Val)
9 h / 33 km

Beim Abschied komme ich mit Marc doch noch ins Plaudern. Gestern Abend waren wir so von den Netzwerkproblemen eingenommen, daß wir vollkommen versäumt haben, festzustellen, daß wir beide gerne in der Natur unterwegs sind. Während wir auf der Mauer vor dem Haus in der Morgensonne sitzen, hört er sich meine Pläne an und versteht sehr gut, worum es geht. Für den heutigen Tag hat er sofort eine Wegalternative parat, was ich normalerweise freundlich nickend weglächele, aber nicht heute. Statt der Tour unten am Fluß entlang rät er mir zu einem markierten Höhenweg, der bis Saint Antonin führt. Wir verabschieden uns und ich zuckele über steile Kräuterhexenpfade runter ins Tal.

Auf der Brücke nochmal die Fische beobachten, aus irgendeinem mir immer noch fremden Impuls eine Münze in den flachen Fluß werfen und den Aufstieg in Angriff nehmen. Endlich ein kleiner schmaler Pfad, so wird es heute den Großteil des Tages bleiben. Der Weg hält sich brav weg von irgendwelchen Straße und es ist herrlich, endlich mal keinen Asphalt unter den Füßen zu haben. Als ich mich am Talhang nach oben schraube, eröffnet sich nochmal eine tolle Aussicht auf Bruniquel und vor allem auf die Frage, warum zur Hölle ich ausgerechnet heute eine lange Hose angezogen habe. Die Sonne scheint! Gestern habe ich vielleicht mal gefroren, aber jetzt schwitze mich schon nach 20min Weg wie ein Schwein. Im Gegensatz so sonst fackele ich nicht lange, bringe meinen Rucksack mitten auf dem Weg zur Explosion und krame von ganz unten die kurze Hose hervor.

Unter mir fließt träge der Aveyron, von hier oben aber gibt es mit der Vormittagssonne Aussichten zum Niederknien. Postkarten über Postkarten. Der Weg geht an der oberen Hangkante entlang, begrenzt durch moosbewachsene Steinmauern aus wasichfüreinem Jahrhundert. Ich komme gefühlt kaum voran, weil ich ständig Fotos machen muß, aber es sind stille schmale steinige Pfade durch den noch kahlen Bergwald. Was würde ich dafür geben, die Zeit ein paar Wochen weiter zu drehen, um hier alles in sattem Grün zu sehen.

Überall Spuren von alter Besiedlung, alter Landwirtschaft, alten Wegen. Über wieviele Leben ich wohl gerade gehe: Seit wie vielen Jahrhunderten gehen Menschen über diese Pfade? Jetzt wachsen wieder Bäume in den vor vielen hundert Jahren blutig der Natur abgerungenen Hänge. Jedes Dorf eine Zeitreise, jede Flußschleife eine neue Seite im Buch der Alten. Befestigte Dörfer, Châteaux, Ruinen, Brücken. Zuviel für einen einzigen Wanderer. Wie so viele Seiten, die ich schon habe liegen lassen, schlage ich auch dieses Buch nicht auf und ziehe meines Weges.

Seit ein paar Tagen spüre ich einen starken Zug vorwärts, den ich mir nicht erklären kann. Ich ahne zwar, daß ich vorankomme, aber die Relationen in diesem Land sind mir komplett fremd. Was bedeuten die 600 km, die ich bisher hinter mich gebracht habe? Wie auf einem Fluß ziehe ich langsam aber stetig durchs Land, spüre vieles sehr intensiv und streife doch nur kurz die Oberfläche. All die Häuser, an denen ich vorbeiziehe. All die Leben. All die Geschichten. Und hinten am Feldrand verschwindet der Wanderer um die nächste Kurve.



 Unten an der Straße bereitet sich offensichtlich alles auf den morgigen Start der Sommersaison vor. Ostern steht vor der Tür. Der Picknickladen verkauft mir kalte Orangina, obwohl er eigentlich er morgen aufmacht, und tut mir damit einen größeren Gefallen, als mir die 2 Euro wert waren.

Zum x-ten Mal schraubt sich der Weg wieder vom Talniveau hoch auf die Bergplateaus, ich folge ihm dankbar. Zielsicher zwischen allen Hindernissen durch, gekonnt vorbei an allen Stacheldrähten, gewitzt mit einem kleinen Pfad am Fluß die große Straße vermeidend. Ich weiß zwar von meiner Karte her, wo ich gerade bin, da der markierte Weg dort aber nicht eingezeichnet ist, habe ich keine Ahnung, wo ich als Nächstes langgehen werde. Für mich ein hartes Stück Brot, aber es funktioniert so gut, daß ich dem Weg irgendwann einfach vertraue. Bis er am Pech de Peloffe irgendwann links abbiegt. Naja, vielleicht will er dann so - und so - und so... Pustekuchen. Unentschlossen folge ich dem Weg und laufe an allen möglichen Abzweigungen vorbei die ganzen 250 Höhenmeter, die ich eben raufgekeucht bin, wieder runter. Zwar in einem sehr abgefahrenen Tal aus Kalkstein und Schotter, das mich irgendwie an Arizona erinnert, aber nach einer Stunde stehe ich wieder unten an der Straße. So haben wir nicht gewettet, mein Freund.

Kurz vor Brousses folge ich ihm noch ein letztes Mal, um auf die kleine Nebenstraße zu kommen, dann ist es aus mit der Freundschaft. Den nächsten 300m-Anstieg, den der markierte Weg anscheinend vollführen will, um gerade mal zwei Flußschleifen abzukürzen, macht er ohne mich. Ich bleibe auf der totenleeren Nebenstraße und gucke mir das Tal und die Felsen an. Überall an den senkrechten Wänden sieht man Höhlen im Fels, in mir steigt ein Klettern-Abenteuer-Erkunden-Reflex auf, mit dem man hier wahrscheinlich Wochen zubringen könnte.

Der Himmel zieht sich langsam wieder zu und ich warte auf den Regen.

In Saint Antonin empfängt mich der heißersehnte Supermarkt. Abendessen gibt es in meiner Unterkunft heute Abend nicht, also will ich mir was Schönes kaufen. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, in Saint Antonin einfach mal keine Fotos zu machen und das Dorf links liegen zu lassen, es ist schon spät und ich habe noch eine Stunde Weg vor mir. Aber nach zweimal Abbiegen in der Altstadt kann ich nicht anders und fummele die Kamera aus der Tasche.


Überall im Ort Menschen, die sich offensichtlich auf das lange Osterwochenende freuen. Jugendliche beim Grillen. Alte Männer beim Boule-Spielen. Alle machen ihren Abendspaziergang.

Im Carrefour überkommt mich wieder ein Kaufrausch, noch im Laden hasse ich mich dafür, diesen Lebensmittelberg noch eine Stunde und ein gutes Stück bergauf schleppen zu müssen. Mit einem turmhohen und sauschweren Rucksack und einer Zusatz-Einkaufstüte in der Hand quäle ich mich wieder den Hang hinauf. Oben wird dann plötzlich alles ganz leicht. Die Sonne steht schon tief unter den Wolken, ich ziehe durch ein sehr stilles Dorf, das schon geschlossen hat und gütig lächelnd der alten Katze neben sich den Kopf tätschelt, während ich vorbeiziehe, ohne auch nur einen einzigen Menschen zu sehen.

Meine Unterkunft ist hinter den Bergen bei den sieben Zwergen, nach dem Dorf noch zweimal abbiegen, das vorletzte Haus am Feldweg. Monick (ja!) wartet schon, zeigt mir mein Zimmer und nach der Dusche sitze ich draußen in der Dämmerung vor einem Tisch, der sich unter meinen Einkäufen biegt. An denen ich wahrscheinlich noch 3 Tage essen werde, wobei ich nicht weiß, ob ich das morgen überhaupt alles tragen kann.

Aber das sehen wir morgen. Über das Osterwochenende mache ich ein paar Tage Pause in Najac, ich freue mich darauf, endlich mal wieder morgens nicht meine Tasche packen zu müssen.

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