Donnerstag, 22. März 2012

Raus aus den Vertreterhotels. Rein in die "chambres d'hôtes"!

Mittwoch, 21.03.2012
Oloron-Sainte-Marie nach Iseste
7 h / 27 km

Zum Aufwachen das übliche Zimmerdamen-Ballett. Alle Türen werden durchgeklopft, man will ja fertig werden. Als ich zum Frühstück gehe, liegen in allen 3 Etagen schon haufenweise Bettbezüge, offensichtlich bin ich der Letzte. Unten im Frühstücksraum sitzt aber noch ein Verlorener, der genau wie ich - mit dem Rücken zur Wand - beim Frühstücken vom Hotelwirt überwacht wird, der drei Meter weiter auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes seinen Schreibtisch (oder eher: seinen Thron) hat.

Ich verlasse Oloron-Sainte-Marie mit einem Gefühl von Abscheu. Nicht nur ist das der bisher abgewrackteste Ort, den ich hier in Frankreich gesehen habe (das schicke mondäne Gebäude ist übrigens die lokale Gendarmerie...), über der ganzen Stadt liegt auch ein schwerer süßer Geruch, wie von Schokoladenkonfitüre. Aber nicht lecker.

Im Ortsausfallstraßensupermarkt "Leader Price" erstehe ich neben einem Baguette und Schinken auch noch zwei große Flaschen mit Orangensaft und Cola. Als ich draußen alles im Rucksack verstauen will, wird mir klar, daß ich mal wieder den Hals nicht vollkriegen konnte. Tiefer Seufzer: Für heute ist der Rucksack dann also gefühlte 5kg schwerer und überragt meinen Kopf jetzt deutlich.

Im Wald folge ich wieder glücklich einer zufälligen Wandermarkierung, die mir gnädig die schönen Wege weist, vorbei an einer Schulklasse, die auf einem kleinen Feld einen kleinen Esel portraitiert. Gestern Abend beim Kartenstudium habe ich mich auf diese Route eingeschossen, weil es hier auf viele Kilometer die einzige Brücke über den Fluß gibt. Die Karte hatte den Wegverlauf nur etwas verschämt dargestellt, ich hatte sogar mit Google Maps und vollem Zoom nachgeholfen, um ganz sicher zu gehen, daß diese Brücke auch da ist und sowohl vorher als auch nachher ein Weg existiert. Eine Abfolge von UND-Funktionen, die hier nicht ganz selbstverständlich ist.

Als ich nach der nächsten Kurve die Brücke sehe, zögere ich nicht; rüber ans andere Ufer. Naja, der Weg ist da oben schon irgendwo. Und keine zehn Minuten später stehe ich irgendwo im Niemandsland. Das passiert mir am liebsten dann, wenn ich mir ganz sicher bin und die Scheuklappen aufsetze. So wie eben gerade: Ich denke nur "Brücke-Brücke-Brücke nicht verpassen", renne über die erstbeste Brücke drüber, die locker einen Kilometer zu früh war. Statt den Fehler einfach zu korrigieren, packt mich dieser ätzende Stolz und ich versuche, querfeldein und damit auch mehrmals querstacheldraht wieder in die richtige Richtung zu kommen. Was mir ungefähr eine Stunde harte Arbeit durchs Unterholz, eine bis zum Hintern rauf verschlammte Hose und einen ätzenden Start in den Tag beschert. Als ich auf der anderen Seite des Tals an der Route Nationale wieder einigermaßen weiß, wo links und rechts ist, merke ich, was schiefgelaufen ist: Ich. Statt einfach entspannt der Landschaft zu folgen, statt einfach entspannt neu anzusetzen, schaltet der Herr auf stur und will. mit. dem. Kopf. durch. die Wand. Getting lost is not a waste of time.

Nur wenig später ist alles in Butter. Sanfte Wege oben auf dem Kamm der Hügelkette, Aussicht in beide Richtungen, wolkenverhangener Himmel, dahinter schneebedeckte Berge. Es hat in den letzten Nächten wieder bis ca. 700m runter geschneit. Auch bei mir sieht es eher nach Rückkehr des Herbstes als nach Sommer aus (hab ich den nicht vor ein paar Tagen schon vollkommen voreilig eingeläutet?). Bei Temperaturen um die 10° und Wind laufe ich freiwillig in langer Hose, Windstopper und Jacke. Volle Montur. Ich telefoniere aus Heimweh ein bißchen mit der Heimat, mache mein Pensionszimmer für morgen Abend klar, gönne mir zwei Stunden später eine Mittagsrast bei Apfel und Möhren (und zuviel von dem Orangensaft, der aus meinem Rucksack verschwinden soll und mir dann dafür aus den Ohren quillt) und habe alles in allem eher den Schlenderschritt drauf. Als ich wieder loslaufe, beginnt es zu regnen.

Nicht der verhuschte, hastige, jugendliche Schauerregen. Nein, der gute alte hartnäckige Regen, langsam setzt er ein, wird stetig stärker und macht mit sanftem Druck ganz klar, daß er den Rest des Tages in der Hand behält. Die nächsten drei Stunden verbringe ich mit Mutmaßungen, ob der Regen gerade stärker wird, nachläßt oder nur eine Pause macht. Kurzum: Es bleibt naß. Es gibt Schlimmeres. Wie sagte die Eisverkäuferin damals in Welzheim? "Bei schönem Wetter kann ja jeder!" 

Die letzte Stunde eiere ich wieder über irgendeine Route Departmentale durch Arudy, kaufe mir im Carrefour noch ein schönes Picknick für heute Abend zusammen (heute und morgen: kein Abendessen im Angebot der Zimmervermieter), und komme an. Ich stehe vor dem Haus und klingele, oben gehen die Fensterläden auf und eine lustige Frau kräht munter heraus. Sie zeigt mir Zimmer und Frühstücksraum, und an so kleinen Details wie kleinen Blümchen aus dem Garten auf meinem Nachttisch merke ich, daß ich hier viel besser aufgehoben bin als in Vertreterhotels (auch wenn ich eigentlich kein Blumenfan bin). Ich bringe meinen Rucksack zur Explosion und belege alle möglichen Ecken, um alle möglichen Dinge zum Trocknen aufzuhängen. Mein Abendpicknick ist gänsehautmäßig gut, zum frischen knackigen Baguette gibt es Serrano-Schinken, kleine Frischkäseröllchen mit Knoblauch und - endlich! - eine Dose Bier.

In einem sehr grünen Zimmer - natürlich mit grünem Bettzeug, grünen Handtüchern und sogar grünem Klopapier - schlafe ich glücklich ein. Vom Nachttisch her glänzt sanft die grüne Carlsberg-Dose. Als hätte ich es gewußt.

1 Kommentar:

  1. Hehe, vollkommen grünes Zimmer - erinnert mich spontan an das vollkommen blümerante (äh, geblümte) Zimmer in Neuseeland. Auch wenn das Klopapier dort weiss war :)

    Gute Weiterwanderung; finde ich gut, deine Tour, und deinen Blog!
    Wiebke

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