Samstag, 24. März 2012

Ein Tag komplett ohne Stacheldraht.

Samstag, 24.03.2012
Livron nach Tarbes
6,5 h / 29 km

Jaja, nur eine kleine Tour. Der klassische Zonk, dem man aufsitzt, wenn das Straßenschild nach Tarbes heute früh nur 22km bis zum Ziel verspricht. "Ach, dann habe ich ja Zeit, ein paar Umwege zu nehmen und schöne stille Wege zu suchen." Yep, die Zeit hab ich mir genommen und so wurde mal wieder aus einem viel zu kurz gedachten Tag ein ordentlicher, voll gefüllter Tag.

In der Nacht war es sternenklar und auch heute früh zeigte sich keine Wolke am Himmel. Schon nach 5 Minuten, noch im Dorf, muß ich dringend mein Softshell ausziehen, mit der ich heute früh die Etappe begonnen habe. Akute Sommergefahr. Plötzlich haben's auch die Büsche und Bäume begriffen. Die Kirschblüten sind ja schon länger draußen, aber jetzt sieht man auch an dem langsamsten Baum wenigstens die ersten Knopsen. Auf Blätter (und damit mehr Schatten auf der Straße) muß ich sicherlich warten, aber immerhin.

Kurz hinter Livron rast ein Düsenjäger über meinen Kopf hinweg und erst beim zweiten Anflug kapiere ich, daß hinter der Kuppe ein Modellflugplatz liegt. Der Pilot macht echt Faxen: Loopings, Immelmänner und was der Kunstflug sonst noch so hergibt. Als besonderen Spaß scheint er die zahlreichen pflügenden Trecker mit in seine Choreographie einzubauen. Ich muß es mir einfach bis zur Landung anschauen, das Technikkind in mir verlangt es.

Der Tag heute ist wie Deutschland in einer Nußschale. Kühe auf Wiese mit Bergen im Hintergrund: Allgäu. Brettebene Felder mit einsamer Landstraße mittendurch: Mecklenburg-Vorpommern. Verwunschene Mischwälder mit Aussicht auf die große Kreisstadt: Baden-Würtemberg. Kilometerlanger Motorradkorso: Mehr Technik. 

Den ganzen Tag die Berge im rechten Augenwinkel. Strahlendes Weiß von ganz links bis ganz rechts. In Luquet kommt mir ein Auto mit Skiern auf dem Dachgepäckträger entgegen. Keine Stacheldrahtzäune mehr. Alle Wege, die ich einschlage, existieren auch wirklich und führen dahin, wo die Karte es vorgesehen hat. Naja, außer vielleicht dem kleinen Wanderweg, den ich als würzigen Bonus noch mit einbauen wollte. Der endet irgendwie in 28 Verästelungen seiner selbst im Sumpf kurz vor Tarbes. Als ich nach 30 min durchs Unterholz kämpfend wieder auf dem Parkplatz stehe, von dem ich abgebogen bin, pflücke ich erstmal 3 Zecken von meinen Beinen und erwische auch bei der Nachkontrolle später noch eine.

Die Landschaft ändert sich jetzt drastisch.. Bin ich in den letzten Tagen den Hügeln und Aussiedlerhöfen und Schafsweiden nicht entkommen, zeigt sich heute das komplette Gegenteil (siehe links). Auf dem letzten zwei Stunden Weg bis zum Ziel tut sich vor mir eine flache Ebene auf, man sieht Tarbes schon von Weitem. Wie ein geplatzter Sack Reis liegt diese Stadt mitten zwischen Feldern, mit all den Ringen aus Industriegebieten, Fernstraßen, Neubaugebieten und Einfamilienhaussiedlungen, die anscheinend jede europäische Kleinstadt vorweisen kann. Als ich in die Enge und Kühle der Stadt eintauche, preise ich lauthals die Offline-Kartenfunktion meines Nokias, ohne die ich wahrscheinlich in diesem Straßengewirr ewig nach meinem Hotel gesucht hätte. Am Place du Verdun davor tobt das Leben, ganz Tarbes hat sich heute am Samstag fein gemacht und ist auf den Platz gezogen - deswegen war es in der Vorstadt auch so leer. Ich lande glücklich in meinem Hotel, das ein bißchen zu nett ist für ein Vertreterhotel. Kleinigkeiten wie eine Badewanne, doppelte Türen und Fenster für den Schallschutz und ein herrliches Treppenhaus (Foto folgt morgen) machen's dann doch aus.

Mit einer Dose Bier und einem Sandwich sitze ich auf dem Platz und bestaune das Rumoren der Kleinstadt. Nach nur wenigen Tagen auf dem Land ist dieses Gewusel hier vollkommen ungewohnt und ein starkes Gefühl von fehl-am-Platz befällt mich. Im wahrsten Sinn des Wortes. Alle hier haben erwartungsvolle Augen und gehen mit großer Geste in die Nacht. Ich nicht. Ich trinke mein Bier aus und gehe schlafen.

1 Kommentar:

  1. Hi Kilian,

    schade, dass es Dir und Deinen Füßen so gut geht - ich hätte so gerne noch über Deinen Abstecher nach Lourdes gelesen, welches ja hier gleich um die Ecke liegt. ;-)

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