Montag, 23. Juli 2012

Tagebau, Tagebau, Tagebau.

Sonntag, 22.07.2012
Senftenberg nach Altdöbern
5 h / 23 km

Raus aus Senftenberg? Gar nicht so leicht. Gibt ja sowieso nur Radwege hier, Wandern ist nicht vorgesehen. Wir erinnern uns: Die Stadt ist von zig Tagebaugruben umgeben, die allesamt gerade in Flutung sind, um irgendwann die unfreiwilligen Touristen mit Seen zu erfreuen (die dann - siehe gestern - nicht betreten werden dürfen). Ich will mich jetzt nicht weiter darüber auslassen, aber die Ausgangslage ist heute so: Die in meiner Uralt-Karte noch vorhandenen Wege sind natürlich allesamt weg. Geflutet. In meine Richtung - nach Nordosten - führt außer der Bundesstraße genau ein Radweg, den ich zwischen Tankstelle, Waldfriedhof und neu eingerichtetem Gewerbegebiet vollkommen entnervt suche. Und so bekomme ich gleich zu Beginn des Tages mal wieder das seltsamste Gefühl serviert, das einem als Wanderer so passieren kann: Alleine in einem menschenleeren Gewerbegebiet am Sonntagvormittag.

Der Radweg ist auch noch gesperrt, aber zwei ältere Walkerinnen zwängen sich gerade durch die Absperrung. Ich frage sie kurz, ob die Brücke noch existiert und sie zwitschern fröhlich: "Alles fußgängig!" Naja, immerhin. Aber hinter den letzten Häusern wartet nur geschundene Landschaft. Ewig weite Sandflächen, in den letzten Jahrzehnten mehrmals hin- und wieder hergeschoben, ein paar krüppelige Birken und Sträucher halten sich darauf fest. Halhb geflutete Senken, in der Ferne dampft und qualmt das Kraftwerk Schwarze Pumpe vor sich hin und neben mir dröhnt die Bundesstraße. Eigentlich will ich das nur so schnell wie möglich hinter mich bringen.

Da helfen auch alle gut gemeinten Infotafel mit den Themen Tagebau-Renaturierung, Spannungsfeld Kunst-Landschaft-Mensch und schiffbarer Fluttunnel Sedlitzer See nix mehr. Auch nicht die solarbeleuchteten orangenen Metall-Stelen, die als weithin sichtbare Landmarke und ... So ein gequirlter Voll-Shit! Schnell weiter!

Auf den Asphaltradwegen geht das Gott sei Dank relativ schnell. In Sedlitz stimmt mal wieder gar nix, den Bahnübergang, an dem ich eigentlich über die zig nebeneinander gelegenen Gleise gehen will, ist wie vom Erdboden getilgt. Alles an dieser Landschaft ist anscheinend vollkommen in Veränderung begriffen, alles ändert sich hier viel schneller, als das irgendeine Wanderkarte abbilden könnte. Oder wollte. Und so laufe ich auf überraschenden Wegen entlang von mir unbekannten Seen und orientiere mich peinlicherweise an den Radfahrer-Wegweisern. Heute bin ich mal wieder ein Fahrrad.

In Großräschen verzichte ich großzügig auf die nächste Kunst-Landschaft-Mensch-Landmarke, bei der irgendein in der Luft hängender Steg dem Auge versinnbildlichen soll, wie hoch eines Tages der Wasserspiegel im See sein wird. Damit man das jetzt schon erleben kann. Will ich aber nicht, ich hab schon lange auf Abwehr geschaltet. Das Einzige, was da noch hilft, ist ein Eisbecher. Großräschen enttäuscht mich nicht, es gibt einen menschenleeren Marktplatz, der sogar ein Café hat. Und das hat Eis. Der Rest von Großräschen ist Tagebau-Vergangenheit, sozialistische Zweckbauten, die man eben so gut wie möglich weitergenutzt hat. Schön ist aber anders.



Ich bin daher irgendwie froh, als ich endlich nach den letzten Häusern wieder in den Wald eintauche. Von hinten sind mal wieder einzelne fiese Wolken heraufgezogen, aber es bleibt alles trocken.

Der Wald riecht nach warmem Sand, der Geruch erinnert mich immer noch an meine Kindheit, wenn ich im Sommer mit dem Rad durch den Wald zum Baden an den Jägersee gefahren bin.

An einem Bahnübergang irgendwo im Wald - hinter mir Sandweg, vor mir Sandweg - gehen doch tatsächlich direkt vor mir die Schranken runter. Ich komme mir reichlich dämlich vor, weil ich ganz brav vor dem Bahnübergang stehenbleibe, aber es kommen sogar zwei Züge. Einer von beiden ist die Regionalbahn in Richtung Berlin, die ich eigentlich gerne genommen hätte.

WIE BITTE? Nein, keine Sorge. Nur mal wieder ein logistischer Seitensprung: Ich habe in Altdöbern kein Zimmer mehr bekommen, also setze ich mich am Bahnhof in den nächsten Zug nach Lübbenau, um morgen wieder hierher zurück zu fahren. Jede Stunde geht genau 1 Zug, und da der gerade an mir vorbeigefahren ist, muß ich drüben am Bahnhof eine Stunde rumsitzen und warten. Währenddessen kann ich mir anschauen, wie es doch noch anfängt zu regnen.

Im Zug stelle ich fest, was für eine große Prüfung ich mir da gerade auferlegt habe. Denn der Zug fährt bis zum Flughafen Schönefeld. Von da könnte man mit der S-Bahn weiter in die Innenstadt fahren. Ich könnte in vielleicht zwei Stunden zuhause sein... Tief durchatmen, in Lübbenau aussteigen, alles wird gut.

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