Sonntag, 22. Juli 2012

Tachchen, Brandenburg!

Samstag, 21.07.2012
Kamenz nach Senftenberg
8,5 h / 36 km

Beim Frühstück links: Ein freundliches Päarchen mit weichem bayerischen Dialekt. Beim Frühstück rechts: Ein Rentnerpäarchen aus Sachsen, der Mann grummelt in einer Tour seine Frau an. Anscheinend hat er aber vergessen, daß sie nicht in der Privatspäre der eigenen Küche sitzen, sondern in der Öffentlichkeit. Seine Frau kennt die aggressive schlechte Laune wahrscheinlich schon und lächelt alles nach außen hin locker weg. Mir läuft es kalt den Rücken runter

Was ist das? Sonne, blauer Himmel, laues Lüftchen? Ok, etwas kälter als gedacht, aber erstaunlich gutes Wetter. Auf zum Kilometerfressen. Vor mir liegt eine große Etappe, viel Wald, viele Teiche. Aber alles bretteben, was nach den Wochen im Vogtland und im Erzgebirge einfach mal wieder herrlich ist.

Gott sei Dank bin ich schon am Stadtrand, nach nur ein paar hundert Metern bin ich im Wald. Vorbei am Steinbruch und seinen leeren Gleisen, entlang der Nebenbahn, mit abgestellten Dieselloks, die auf dem Gleis stehen wie tote Tiere, denen man schon die ersten Eingeweide rausgerissen hat. Cunnersdorf liegt gleich hinter dem Bahnübergang und ist das Gegenteil: Aufgeräumt. Ordentlich. Überall wird gewerkelt: Rasenmäher, Häcksler, Flex und Kreissäge dröhnen um die Wette und man merkt, daß alle Heim- und Gartenwerker sich quasi dazu verabreden, ihren Krach am Samstagvormittag zu erledigen. Damit am heiligen Sonntag Ruhe ist.

An der Kreuzung dann ein unerwarteter Glücksfall: Der rumpeligste Klein-Dorfedeka, den ich je gesehen habe. Aber es ist alles da. Frische Mohnbrötchen, Getränke, was Wurstiges. Und lecker Blaubeeren als Dessert. Das alles fünf Minuten vor Ladenschluß um Zehn, perfekt. Beim Weg raus aus dem Dorf finde ich noch eine höchst absurde Investitionsruine, ein sehr seltsames Neureichenhaus. Alle Fenster außen und alle Türen drinnen: nur Rundbögen. Wer will denn bitte in so einem Haus leben? Auf den Nachbargrundstücken ist leider niemand zu sehen, ich hätte gerne mal bei den Nachbarn recherchiert, was diese seltsame Bauruine für eine Geschichte hat.

Dann beginnt der Wald. Sumpfiger Wald neben den Teichen, die nach den Regenfällen der letzten Tage allesamt am Überlaufen sind. Trockener Industriewald, in Reih und Glied angelegt. Weiter vorne dröhnen zwei Kettensägen, eine Gruppe Waldarbeiter säbelt im Wald herum. Ich warte kurz, bis der Kollege mit der blondgelockten Mähne mit dem Kran fertig ist und als ich vorbeiziehe, ruft er über den laufenden Traktormotor herüber: "Wo willst DU denn hin?!" Vor lauter Neugier macht er sogar den Motor aus und springt vom Trecker, als ich ihm zurufe, daß ich nach Berlin will. Als ich ihm dann verrate, daß ich in Spanien losgelaufen bin, ruft er sogar noch seine Kollegen herbei und wir plaudern ein bißchen. Seltsam -- in den letzten Tagen hatte sich kaum jemand für mein Woher und Wohin interessiert.

In Großgrabe folge ich dummerweise blind der roten Wegmarkierung, was mir am Ende eine kleine Abenteueretappe quer durch den Wald und durch ein paar Gräben einbrockt, um wieder auf den richtigen Kurs zu kommen. Die Sandgrube am Waldrand hat sich wohl in den Jahren seit Druck meiner Wanderkarte schwer vergrößert, der Weg, der da links sein sollte, ist schon lange nicht mehr da. Also noch mehr Abenteuer. Der Wald ist erschreckend monoton und leer, kein Unterholz. Nur Sand.

Im Wald finde ich die Grenze zwischen Sachsen und Brandenburg und mache in Sichtweite erstmal ausgiebig Mittagspause. Mohnbrötchen, Partyknacker, Teewurst, Käse, Blaubeeren. Mit vollem Bauch überschreite ich ein bißchen stolz die Grenze zu Brandenburg und schmunzele dabei über den Wechsel von rumpeligem Sand-Waldweg in Sachsen zu makellos asphaltierter Fahrrad-Autobahn in Brandenburg. Die Radfahrer, die mir bald zahlreich entgegen kommen, werden sich freuen...

Kurz darauf stehe ich endlich wieder auf dem Feld, im Wind, in der Sonne. Ich habe schon gut Strecke gemacht, es läuft sich leicht, immer geradeaus und ohne Steigungen. Eine Zeitlang sieht es am Himmel mal wieder nach Regen aus, aber ich hacke einfach weiter meine Schritte in den Asphalt der Radwege. Zwischendurch nehme ich immer mal wieder eine Abkürzung durch den Wald, um auch mal einen etwas rumpeligeren Weg zu gehen, aber auch das ändert nichts daran, daß ich heute so schnell und so zügig laufe, wie schon seit Wochen nicht mehr.

Beim Grüßen höre ich schon Berlin/Brandenburg heraus, das erste "Tachchen!" habe ich schon geernet und der Dialekt dreht sich deutlich vom Sächsischen ins Brandenburgische. Alles klingt und riecht schon schwer nach Zuhause...

Im Wald laufe ich an der ersten Sandgrube vorbei, die maritimes Flair in den märkischen Wald zaubert. Willkommen in der Sandbüchse...

Irgendwann stehe ich am Sentenberger See, eine vollgelaufene Tagebaugrube. Der Radfahrer-Tourismus nimmt zu und ich laufe hart am Rand des Weges, um nicht von den Myriaden Radlern umgenietet zu werden. Der See ist ja ganz hübsch, allerdings warnen alle 20 Meter grelle Schilder vor Sperrgebiet und Lebensgefahr, Betreten verboten wegen Rutschgefahr der geschütteten Hänge. Auch toll: Da renaturieren die Kollegen einen alten Tagebau, direkt neben einer Kleinstadt, und dann darf niemand die Uferzone betreten. Well done...

Es folgen einige Kilometer absurder Weg entlang des Ufers. Es ist Samstag, also gibt es überall erholungssuchende Senftenberger, radelnde Tagestouristen, Segler undundund. Nach den vielen Stunden alleine im Wald ist das eine relativ schräge Nachbarschaft. Senftenberg als Kulisse ist leider spuckhäßlich. Plattenbauten überall, daneben der Hochwasserschutzkanal und das erste Gewerbegebiet. Ich erinnere mich daran, daß Senftenberg erst mit dem Braunkohletagebau groß geworden ist, vergebe der kleinen Stadt die öden Wohngebiete und setze all meine Hoffnung auf die Altstadt und vielleicht eine kleine Eisdiele...

Das Highlight des Tages folgt einige Momente später: Eine Katze läuft an den Balkonen des Plattenbaus entlang. Monorail-Cat. Die Brüstung in die Mitte nehmend, biegt sie die jeweils linken und rechten Pfoten wieder unten zusammen, um auf dem Betonteil laufen zu können. Bei jeder Querstrebe muß sie umständlich ausbalancieren, schafft das aber jedesmal, ohne Hinzugucken, Irgendwann ist Pause, Muschi setzt sich mit dem Hintern auf die Balkonfront und hängt sich mit den Vorderpfoten über die Brüstung, um nicht runterzufallen. Wahrscheinlich ganz wie Frauchen!


Meine Laune ist gerettet. Auch wenn der Marktplatz von Senftenberg totenleer ist. Immerhin gibt es einen Bäcker mit Eistheke. Zum ersten Mal seit gut 10 Kilometern setze ich mich mal wieder hin und bin froh, daß ich fast angekommen bin, für heute reicht's. Meine Pension Mandy ist gleich um die Ecke. Ich verzichte auf's Abendessen, trinke statt dessen noch viel Wasser und freue mich auf die erste 140er-Matratze seit vielen Nächten.

Fazit des Tages: Viel Wald, viele Kilometer. Und eine furchtbare Stadt. Am Stadtrand von Senftenberg hat ein Einwohner dem Dilemma ein Gesicht gegeben:


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