Donnerstag, 26. Juli 2012

Einmal nach Berlin, bitte.

Mittwoch, 25.07.2012
Lübben nach Löpten
8,5 h / 35 km

Von meinem Hotel ist es nicht weit bis zum Bahnhof. Wenn ich nicht die Regionalbahn bis zum Flughafen Schönefeld nehme, sondern noch ein bißchen warte, kommt bestimmt auch noch der Regionalexpress Cottbus - Berlin. Dann nur noch am Alex aussteigen, mit der Tram nach Weißensee. Gott sei Dank stellt der Automat keine dummen Fragen, als ich mir das Ticket kaufe...

So oder so ähnlich gehen heute meine Tagträume ab. Der zweite fiese Tag. So fies, daß mir ein Abbruch kurz vor Schluß näher ist als jemals zuvor. Berlin und zuhause ist nur einen ganz kurzen Hüpfer entfernt. Überall Autos mit Berliner Kennzeichen, die sind alle spätestens in einer Stunde zuhause und haben im Auto wahrscheinlich auch noch die Klimaanlage an, die Schweine!

Aber natürlich geht das nicht. Ich kann nicht zwei Tage vor Schluß in einen Zug steigen und nach Hause fahren. All die Monate war Abbruch nie Thema und jetzt, kurz vor knapp, macht mir das alles so zu schaffen? Es ist echt schräg...

Immerhin versorgt mich Lübben nochmal gut aus dem Edeka-Sortiment, bevor ich raus aufs Feld tigere. Es wird warm werden, ich hab mir zwei Extra-Wasserflaschen auf den Buckel gepackt. Gott sei Dank hab ich vorgestern nochmal gut den Rucksack ausgemistet. Draußen auf dem Feld knallt die Sonne schon am Vormittag, als gäbe es kein Morgen. Die Radfahrer klingeln mich unverzagt von den Radwegen, als wüßten sie, daß das ihre letzte Chance ist.

Denn hinten an der Bahnlinie biege ich endlich auf die kleinen verhaßten Sandwege ein, auf die mir kein Radfahrer folgen wird. Vor mir liegt ein riesiges Waldgebiet, durchzogen nur von diesen schmalen Wegen. Das Gefühl von Endzeitstimmung und Wüste kommt auf, während ich durch die vollkommen ausgetrockneten Flächen ziehe. Ab und zu dröhnen links die Züge nach Berlin oder Cottbus vorbei (hhhnnnngh!), aber die Bahnlinie ist die einzige Orientierung in diesem seltsamen Gewirr aus Wegen, die kreuz und quer verlaufen. Und es ist so verdammt hart, in diesem weichen Sand zu laufen

An der Zufahrtsstraße zum Tropical Island halte ich zum ersten Mal an und saufe aus dem Stand fast zwei Liter Wasser. Auf der Straße nur Touristen: Niederländer, Dänen, Russen, Norweger, Potsdamer. Schnell weiter.

Die nächsten Stunden sind ehrlich gesagt ziemlich öde. Ich laufe viel auf der Straße, um schneller voran zu kommen. Jedes Stück Schatten nutze ich aus. Wenn ich auch nur einen Moment stehenbleibe, treiben mich die zahlreichen Mücken weiter. Es fühlt sich ein bißchen so an, als liefe hinter mir all das Übel, dem ich bisher auf meiner Reise entgangen bin, und peitscht mich grinsend: So, Junge, jetzt kriegst du doch noch deine Ration!

In Halbe fülle ich meine Getränkevorräte wieder auf und will mich ins schattige Bushäuschen setzen, aber da ist keine Bank! Maa-hann! Sich eine Denkfabrik leisten, aber zu geizig für eine Bank im Bushäuschen... Ich bin zerstochen, habe zuviel Sonne abbekommen, mein Deo hat auch schon lange versagt. Und für heute ist die Motivation auch schon lange dahin. Meine Aggressionen lasse ich an einzelnen Autofahrern aus, die für meinen Geschmack viel zu nah an mir vorbeifahren, ohne auszuweichen. Spätestens jetzt merke ich, wie sehr dieser Tag an mir schon genagt hat und wie wenig Kopf mich heute eigentlich noch steuert.

Es reicht immerhin fürs Ankommen. Mein Anblick im Spiegel ist furchtbar, schweißüberströmt wie frisch aus der Sauna. Abendessen? Fehlanzeige, die Küche hat zu. Die Leute sind unfreundlich. Es gibt kein Handtuch. Auf dem Boden liegen fremde Fußnägel.

Erst als ich frisch geduscht auf dem Bett liege und mich langsam beruhige, schießt mir ein Gedanke durch den Kopf, der mich den Horror des Tages sofort wieder vergessen läßt. "Morgen bist du in Berlin. Übermorgen bist du zuhause." Und schon ist da wieder dieses breite Grinsen, das sich in den letzten Tagen immer wieder in mein Gesicht geschlichen hat.

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